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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Glaubens am lebendigsten. Im Vogtland und im Orlagau untersucht Frau Perchtha am Abend vor dem Dreikönigstag die Spinnstuben, bringt den Spinnerinnen leere Spulen mit der Weisung, daß dieselben in einer bestimmten Frist vollgesponnen sein müssen, und straft mit Verwirrung und Verunreinigung des Flachses, wenn das Geforderte nicht geliefert wird. Aehnlichem Glauben begegnen wir in Tirol. Vor den Weihnachtsfeiertagen ist es gebräuchlich, die Flachs- und Wergwickel vom Rocken ganz fertig zu spinnen, sonst nistet die Perchtl darin. Auch in Wälschtirol ist die Spinnerin Perchtha nicht unbekannt. In Trambileno, unweit von Rovereto, sind die „Froberta“, die „bilden Beiber“ und der „Bedelman“ (wilde Mann) wohlbekannt, und der letzte Faschingstag heißt dort noch jetzt „il giorno delle Froberte“. Im Ronchithal (nördlich von Ala) saßen eines Abends zwölf Weiber beim Spinnen, da klopfte es an die Thür, und herein trat Frau Bertha. „Padrona, Froberta dal nas longh!“ („Seid gegrüßt, Frau Bertha mit der langen Nase!“) riefen die Frauen, denn so mußte man sie immer anreden; und eine stand auf und räumte der Frau Bertha ihren Platz ein. Alsbald indes klopfte es wieder, und eine zweite Frau Bertha mit einer noch längeren Nase erschien. Man bietet ihr den gleichen Gruß und auch ihr macht eine der Spinnerinnen Platz. Aber es klopfte fort und fort, und jede neu ankommende Frau Bertha hatte eine längere Nase als die anderen, bis endlich das Dutzend voll war. Die zwölfte hatte die allerlängste Nase, und die Unholdinnen saßen auf den Stühlen, die Weiber aber standen und zitterten. Zwar kamen sie mit dem bloßen Schrecken davon, immerhin aber nahmen sie das nächste Mal einen Mann in die Spinnstube mit und versteckten ihn. Als dann die Frauberte wieder sich einstellten, sprang er hervor und erschlug alle zwölf. – Auch unheimlich, doch wenigstens in der Einzahl bleibt die Perchtha, wenn sie in Tirol am Abend vor den heiligen Dreikönigen als steinaltes Mütterchen in den Häusern erscheint, um von den Speisen zu kosten, die man vom Nachtmahl für sie übrig läßt. Dann hat sie ein Gefolge von Kindern mit sich. Kinder, die ungetauft gestorben sind, zerlumpte Kinder mit flatterndem Haar. Daher werden ungekämmte Kinder im Innthal „Berchteln“ genannt, und im Pusterthal heißt infolge der ganzen Sage der Dreikönigstag auch der „Perchtentag“. Im Laufe der Zeit ist in Alpach und Umgegend die strahlende Perchtha der Germanen zur Frau des Pilatus geworden, die bis zum jüngsten Tag verdammt ist „umzugehen“.

Aber anderer Glaube, anderer Brauch weisen wieder sonnenklar auf ihre Gemeinschaft mit Wodan, dem wilden Jäger, auf ihre Theilnahme an seinen schauerlichen Heer- und Jagdfahrten hin. Am Nikolausabend laufen im Unterinnthal, Pusterthal u. s. w. verlarvte Bursche umher, bewerfen die Leute mit Kehricht und Kohlblättern und lärmen wie die wilde Fahrt. Diese Winterposse heißt man das „Perchtenlaufen“. Auch bei Lienz war früher das Perchtenlaufen üblich. Es war eiue Art Maskenzug. Die Vermummten hießen Perchten. Man unterschied „schöne“ und „schieche“ (häßliche) Perchten. Jene waren schön gekleidet und geschmückt; letztere zogen sich so häßlich wie möglich an, behängten sich mit Ratten und Mäusen, Ketten und Schellen. So ausgestattet, sprangen und liefen sie über die Gassen und kamen auch in die Häuser. Es ging laut und fröhlich her, wenn die wilde Perchtha nicht selbst darunter kam. In diesem Fall liefen die Perchten bald aus Furcht auseinander, denn wer nicht in den Bereich einer Dachtraufe und damit in den Hausfrieden gelangte, wurde von der Wilden zerrissen. Noch heute zeigt man Stätten, wo von der wilden Perchtha zerrissene Perchten begraben liegen sollen. Aehnlich, aber ohne die Furcht vor der wahren Perchtha, und zu anderer Zeit, nämlich in den Nächten zwischen Weihnacht und Neujahr, geht der „Perchtenlauf“ im Salzburger Gelände vor sich. Und von diesem giebt uns das Bild Oskar Gräfs eine lebendige Vorstellung. Männer, in Felle gehüllt, den bekannten Jägerhut mit gesträubten Federn bekränzt, das Gesicht durch Ruß und falsche Riesenbärte entstellt, „die wilden Perchten“, stürzen durch die nachtschlafenden Dörfer, schwingen lodernde Fackeln und machen mit Kuhglocken, Schlittenschellen, Stierhörnern und Kupferkesseln einen Heidenlärm, wie weiland die Anbeter der Kybele, die wuthfreudigen Korybanten. Aber es ist ein gemüthliches „wildes Heer“. Außer ihren barbarischen Instrumenten führen sie auch Geige und Zither („Brettl-Zither“) mit sich. Es sind gesunde, „trinkbare“ Gespenster. Denn wo ein gastlich Haus ist, das wissen sie genau und da kehren sie ein.

Um aber vollends unserer Zeichnung und unserer Schilderung alles Grausige zu nehmen, erinnern wir unsere Leser daran, daß in eben der Zeit, wenn Perchtha und die wilden Perchten ihr Unwesen treiben, in Salzburg wie in Tirol die allerfriedlichsten Gesellen, die guten armen „St[...]nger“, gleichfalls ihren Umgang halten. Unter dem glitzernden Him[mel] ragen mit verschneiten Gipfeln die ernsten Berge; ferne schwarze Wälder gleichen rathlosen Heerzügen. Da zuckt in der schneeverwehten Dorfstraße das armselige Licht einer Stocklaterne auf, und in der feierlichen Winternacht singen – nicht gerade schöne, aber kindliche Stimmen:

Mir san die heilig’n drei König’ mit ihrem Stern,
Da’ Kaspar, da’ Melcher und Waldhauser …. K. H.     

Blumenschrift im Buche der Geschichte. Obgleich zu den vergänglichsten Dingen der Schöpfung gehörend, können die „stillreizenden Naturkinder“ – wie Goethe die Blumen und Pflanzen nannte – doch auch als dauernde Zeugen in der Weltgeschichte auftreten.

So haben die großen geschichtlichen Ereignisse, welche sich in der Wiener Gegend abspielten, auch in der schönen Flora derselben manch Denkzeichen hinterlassen. An die Herrschaft der Römer erinnert wie an vielen Orten Deutschlands so auch bei uns das unscheinbare Wand- oder Glaskraut (Parietaria officinalis), dessen Blätter znm Glasreinigen hie und da verwendet werden. Sein ursprünglicher Standort war an den Mauern und Wällen der römischen Kastelle. Von da aus gelangte es an Schuttplätze und ähnliche Orte, auch in die Auen der Donau, wo es stellenweise förmliche Dickichte bildet.

Nach der zweiten Türkenbelagerung Wiens (1683), an welche das nun vor der neuen Universität aufgestellte Denkmal des wackeren Bürgermeisters Liebenberg erinnert, blieb zugleich ein kleines Gewächs als Denkzeichen zurück, dessen Same wohl den Fouragesäcken der türkischen Rosse entstammt: es ist dies das syrische Schnabelschötchen (Euclidium syriacum). Mehr Andenken aus dem Reiche Floras hat indessen das längere Schalten der Türken in Ungarn hinterlassen. Der Feigenbaum auf dem Ofener Blocksberg steht seit der türkischen Herrschaft. Ferner haben die „barbarischen“ Türken den anmuthigen Flieder, die Tulpe, die „brennende Liebe“ (Lychnis chalcedonica), die Paeonie – magyarisch: basa-rósza, d. i. „Pascha-Rose“ – den syrischen Eibisch oder die Türkenrose (Hibiscus syriacus), die Kaiserkrone und Balsamine auf die ungarische Flur versetzt, von wo aus sie den Weg nach dem westlichen Europa gefunden haben. Wer die Geschichte der Zierblumen schreiben will, wird sich auch mit ihren volksthümlichen Namen zu beschäftigen haben, die oft deutlich auf den Einführungsweg hinweisen. Der Name „Tulpe“ z. B. kommt unmittelbar vom türkischen „tu1band“ oder „tulbent“, d. i. „Turban“, mit welchem die prächtige Blume ihrer Form wegen verglichen ward. Merkwürdig ist nun, wie sich in dem „Dulibana“ und „Tulapana“ der niederösterreichischen Mundart eine der ursprünglichen sehr nahestehende Form erhalten hat. Am Rheine, in der Gegend von Aachen, sagen die Leute „Tulepant“. Auch Immermanns „Tulifäntchen“ – das Kind eines Geschlechtes, welches die Tulpe im Wappen führt – klingt hier an.

Im warmen Wasser des Bischofsbades bei Großwardein und des Kaiserbades bei Ofen wächst eine merkwürdige Seerose, die Nymphaea thermalis, welche der ausgezeichnete Kenner dieser Gattung, Caspary, für ein und dieselbe Pflanze mit der ägyptischen Lotosblume erklärte. Man steht dem Vorkommen dieser ausgesprochenen Tropenpflanze in unseren Himmelsstrichen als einem pflanzengeographischen Räthsel gegenüber, das zu lösen sich verschiedene Gelehrte Mühe gegeben haben. Borbas hält dafür, daß auch diese Seerose von den Türken nach Ungarn gebracht worden sei. Kerner aber, der geistvolle Verfasser des „Pflanzenlebens“, sieht die Nymphaea thermalis als letzten Rest jener südländischen Flora an, welche vor der Eiszeit Europa mit Palmen, Pisangen etc. überdeckte und als wahres Paradies erscheinen ließ. An diesem einen Beispiel zeigt sich, zu welch weiten Ausblicken die Gewächse Anlaß geben, und daß Botaniker sein heutzutage nicht bloß Staubgefäßzählen heißt.

Gleichfalls an die Türkenzeit gemahnt eine Blumensage in Kärnthen. Die allgemein bekannte, duft- und blüthenreiche Erdscheibe (Cyclamen europaeum), welche auch auf den Hängen des Wiener Waldes reizende Arabesken bildet, wird in Kärnthen „Türkenkraut“ genannt, und zur Erklärung dieses Namens erzählt man folgende Geschichte: Als die Türken in Krain einfielen, da flüchteten Frauen und Kinder vor den rauhen Horden über die Karawanken ins Kärnthner Land. Aber die Heiden zogen ihnen nach und metzelten sie nieder. Der Boden trank das Blut der Unschuldigen und ließ zum Gedächtniß für ewige Zeiten das Türkenkraut hervorsprießen, dessen Blätter seither an der Unterseite blutig geröthet sind. Die Sage des Volkes bemächtigte sich hier der Erscheinung, daß die Blätter der Erdscheibe an der Unterseite durch wirkliches Blumenroth gefärbt sind.

Aber auch außerhalb Oesterreich-Ungarns treffen wir allenthalben auf Beispiele der nahen Beziehungen, in welchen die Blumen zu der Weltgeschichte stehen. Der giftige Zwerghollunder oder Attich (Sambucus Ebulus), der gern an alten Burgen wächst, soll zur Zeit der Kreuzzüge durch Troßknechte, welche die Beeren als Heilmittel für die Pferde von jenseit der Alpen mitbrachten, in Deutschland angepflanzt worden sein. Jetzt sorgen die munteren Vögel für die Verbreitung der Pflanze, deren Beeren sie nachgehen. Durch die großartigen Truppenzüge, welche die Kriege zu Beginn unseres Jahrhunderts verursachten, ist das russische Corispermum Marschallii an den Rhein, die orientalische Zackenschote bis nach Paris gelangt. Die amerikanische Wanderpflanze Galinsoga parviflora (Gängelkraut), die jetzt sogar auf der Wiener Ringstraße die armen Götterbäume zu trösten sucht, trat in der Gefolgschaft der Napoleonischen Heere in Norddeutschland auf. Die mittelalterlichen Tatareneinfälle ließen in Mitteleuropa den Kalmus zurück, der jetzt zwar überall mit seinen langen Wurzelstöcken die Sümpfe durchflicht, seine wärmere Heimath jedoch durch den Umstand darthut, daß er bei uns niemals Samen ausreift. Gustav Freytag, welcher im ersten Bande seiner „Ahnen“ duftigen Kalmus zum Feste ausstreuen läßt, begeht einen kleinen Anachronismus. Es ist möglich, daß auch der Stechapfel, dessen Name Datura (früher Tatura) an die Tataren erinnert, mit diesem Eroberervolk seinen Einzug in Europa hielt. Auch eine Kulturpflanze, der Buchweizen (Polygonum Fagopyrum), war vielleicht ursprünglich Trabant der asiatischen Eroberer. Hierfür spricht das slavische tattarka und tattar, dem freilich gretscka und gryka (Griechenkorn), sowie das italienische grano saraceno, endlich das französische blé sarasin (Sarazenenkorn) entgegenstehen. M. Couronne.     

„Gesammelte Schriften“ von Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Fülle dichterischer Kraft und geistiger Feinheit liegt in den sechs Bänden dieser „Gesammelten Schriften“ (Berlin, Paetel) beschlossen – und sie enthalten nicht einmal die ganze Summe dessen, was das Talent der österreichischen Dichterin geschaffen hat: neben dieser Sammlung laufen noch Schöpfungen her wie „Bozena“, „Margarethe“ und die „Erzählungen“, die im Cotta’schen Verlag erschienen sind. Marie v. Ebner-Eschenbach ist ebenso Meisterin der humoristischen Schilderung wie der tragischen Vertiefung, sie ist ebenso zu Hause im stillen Dorfe draußen wie unter den Menschen, den Leiden und Freuden der Großstadt. Und daß sie diese Fülle der Gestalten wiedergiebt mit einer herzgewinnenden Tiefe des Gemüths, in einer Sprache, die edel und markig zugleich ist, das wird ihren Schriften auch in dem vorliegenden Gewande zu den alten Freunden immer neue gewinnen.


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