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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Sie senkte bejahend den Kopf.

„Warum denn, Julia?“

„Warum? Ich bin so vollständig unnütz hier,“ antwortete sie und lächelte dazu, aber in ihren Augen schimmerten Thränen.

„Unnütz – Du?“ sagte er und faßte ihre Hände. „Ach, Julia, mit dem nämlichen Rechte könntest Du die Sonne am Himmel verlöschen und fragen, was sie denn der Erde nütze.“

Und bewegt bog er sich hernieder und preßte ihre Hände an seine Augen, und als sie verwirrt aufsprang, da zog er sie sanft an sich und schaute ihr bang fragend in das bleiche Antlitz, mit Schrecken die feinen Linien bemerkend, die Gram und Schmerz hineingezeichnet.

„Julia, Du darfst nicht fort – bleib’ bei mir – wenn Du dem blind verbitterten Thoren zu verzeihen vermagst. Julia, was hast Du für mich gethan! Und ich habe nicht einmal gedankt!“

„Sei barmherzig – nur nicht Mitleid für Liebe,“ sagte sie leise.

„Ach!“ Er lachte kurz auf. „Mitleid! Wer von uns beiden ist denn des Mitleids bedürftiger? Von Dir will ich Barmherzigkeit, Mitleid, Geduld – alles – alles. Laß mich nicht allein, Julia, wenn Du nicht willst, daß ich zu Grunde gehe – denn Du allein, Du allein kannst mir den Glauben wiedergeben an Treue und Liebe.“

„Ich?“

„Ja Du, Du allein!“

Sie hob wie träumend den Blick. Drüben jubelten die Kinder beim Ballspiel und draußen rauschte der Rhein und in der Luft wogte der Duft von tausend Blüthen. Endlich der Lenz! Der süße berauschende Lenz!

„Mamsell Unnütz! Mamsell Unnütz!“ lockte der Pirol im Nußbaum.

Da lächelte sie. „Hörst Du es?“ fragte sie leise. „So rief er schon in unserer Jugend.“

„Quäle mich nicht!“ erwiderte er ungeduldig. „Ich weiß es genau in dieser Minute, ich kann ohne Dich nicht leben, Julia. Und Du?“

Da legte sie still die Arme um seinen Hals. Und aus ihren Augen lösten sich zwei klare Tropfen und flossen über die Wangen.

O, welch unnütze Frage! – –

Als die Räthin nach Hause kam und hörte, daß der Herr und Fräulein Julia im Garten gespeist hätten, lenkte sie verwundert ihre Schritte dorthin. Dann stockte ihr Fuß. Unter dem Nußbaum stand – na, sie hätte eher des Himmels Einsturz vermuthet – stand der verbitterte griesgrämige Geselle und hielt das Mädchen, die Mamsell Unnütz, im Arme und küßte sie, und beide schienen die ganze Welt um sich vergessen zu haben.

Sie machte eine kurze Wendung und ging wieder dem Hause zu. „Ja, ja – Wunder und Zeichen geschehen immer noch,“ flüsterte sie. Und in der Stube angelangt, löste sie vor dem Spiegel die schwarzen Bänder ihrer Ausgangshaube, legte sie mit gewohnter Umständlichkeit in die Kommode, stülpte ebenso gelassen die Alltagsmütze auf und band die Schürze vor.

„Na,“ murmelte sie, „bei Licht besehen ist’s die einfachste Lösung. Wäre freilich nicht darauf verfallen – hm. Und wunderbar ist’s doch auch,“ setzte sie hinzu, „wie einem etwas ins Herz hineinwachsen kann, ohne daß man’s merkt. Wie sie da heute sagt, sie will fort, hat mir’s inwendig ordentlich einen Ruck gegeben. Na, da ist’s denn nun doch so gekommen, daß aus der Mamsell Unnütz meine Schwiegertochter wird! Und eines muß wahr bleiben, brav ist sie, sehr brav, und sie hat ihn lieb – und –“

„Mutter, da hast Du eine Tochter!“ unterbricht sie die Stimme des Sohnes. Und sie treten über die Schwelle, Hand in Hand, der Doktor und seine Braut.



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Aus dem Leben der Sterne.

Von Dr. H. J. Klein.

Nichts im Weltall ist unveränderlich, Entstehen und Vergehen, Leben und Tod sind keineswegs auf die organischen Wesen unserer Erde beschränkt, sondern bilden die Grenzpunkte eines allgemeinen Entwicklungsgesetzes, dem alles unterworfen ist und das selbst über den Sternen des Himmels waltet. Wohl wird unser Gemüth mächtig ergriffen, wenn wir uns erinnern, daß Sonne, Mond und Sterne, welche wir heute sehen, schon in den ältesten Aufzeichnungen der Menschheit erwähnt werden; sie scheinen erhaben über den Wechsel der Zeiten und der Dinge. Seit jenen nebelgrauen Tagen, da zuerst menschliche Füße die Erdscholle betraten, hat sich das Antlitz unseres Planeten wesentlich verändert; Berge sind versunken und Flüsse entstanden, Inseln haben sich abgetrennt von den Festländern und Urwälder sich ausgebreitet, wo vordem Steppe war; Völkerstämme sind aufgetaucht aus unbekanntem Dunkel und wieder hinabgestiegen ins Meer der Vergessenheit. Ungestört von allem aber wandeln die Sterne ihre hohen Bahnen, gestern wie heute und morgen wie vor Myriaden von Jahren. Daher sagt mit Recht der Dichter, daß alles vergeht unter des Himmels Bogen, aber die Wissenschaft setzt hinzu: auch die Sterne des Himmels sind vergängliche Erscheinungen, sie haben ihr besonderes Leben, und dieses Leben hat nur eine zeitliche Dauer. Bloß die Kürze unseres eigenen Daseins läßt uns an Unveränderlichkeit und Bestand glauben, wo in Wirklichkeit nur Wechsel und Entwicklung vorhanden sind. Die heutige Kultur ist wie das erste Aufblitzen eines Strahles der aufgehenden Sonne nach langer und tiefer Nacht. Die Wissenschaft lehrt, daß die normale Dauer des menschlichen Lebens 70 Jahre beträgt; schreiten wir also nur 15 Generationen in die Vergangenheit zurück, so finden wir uns schon mitten in allgemeiner Barbarei; und versuchen wir, darüber nachzudenken, was in der 15. Generation nach uns noch von heutigen menschlichen Einrichtungen Bestand haben wird, so müssen wir sagen: wahrscheinlich nur wenig oder nichts. Diese rasche Vergänglichkeit menschlicher Einrichtungen ist es, welche uns eine Unveränderlichkeit der Himmelskörper vorspiegelt, die gar nicht besteht. Im Dasein der Weltkörper spielen freilich Jahrtausende keine größere Rolle als Minuten in der Lebensdauer eines menschlichen Wesens. Immerhin aber rauscht die Zeit nicht einwirkungslos vorüber an den Sternen, die den nächtlichen Himmel schmücken, auch sie haben ihre Jugend, ihre Blüthe und ihren Verfall.

Wie aber, fragt man, kann der Menschen kurzlebiges Geschlecht urtheilen über Entstehung und Verfall ganzer Welten, über die Entwicklung von Sonnensystemen, deren Dauer diejenige des Erdballes unermeßlich übertrifft? Aus der eigenen Erfahrung über die Reihenfolge nacheinander eingetretener Veränderungen des Sternenhimmels sicherlich nicht; aber der große Mann Friedrich Wilhelm Herschel, welcher zuerst das menschliche Auge für die Tiefen der Himmelsräume geschärft, hat gezeigt, wie man aus den zahlreichen nebeneinander bestehenden Formen der Himmelskörper, besonders der sogenannten Nebelflecke, die allmähliche Entwicklung derselben, das Nacheinander ihrer Bildungen herausfinden kann. „Unter diesem Gesichtspunkt,“ sagt er selbst, „gleicht der Himmel einem üppigen Garten, der eine große Mannigfaltigkeit von Erzeugnissen in blühenden Beeten enthält, und wir können bei dieser Betrachtungsweise den Schwung unserer Erfahrung gleichsam auf eine unermeßliche Dauer ausdehnen. Denn, um das dem Pflanzenreich entlehnte Gleichniß fortzusetzen, ist es nicht einerlei, ob wir fortleben, um nach und nach das Sprossen, Blühen, Belauben, Fruchttragen und Verwelken einer Pflanze anzusehen, oder ob zahlreiche Exemplare eines jeden Zustandes dieser Pflanze gleichzeitig uns vor Augen treten?“

Welches ist nun diejenige Gestalt der Materie im Weltenraum, die wir als die früheste Form der Himmelskörper anzusehen haben? Es ist nach Herschel diejenige der schwachleuchtenden, ausgedehnten Nebel ohne bestimmte Gestaltung. Diese Nebelflecke sind ohne Ausnahme dem bloßen Auge unsichtbar, sie können nur in großen Fernrohren wahrgenommen werden; die Menge dieses nebeligen Stoffes, der durch die Himmelsräume verbreitet ist, erscheint aber so ungeheuer groß, daß schon Herschel äußerte, sie überschreite die Begriffe des Menschen. Dabei ist diese Nebelmasse so äußerst zart und verdünnt, daß die kleinsten Sternchen, die über sie zerstreut stehen, sich in einem Glanze zeigen gegen den selbst der hellste Nebel als düster erscheint. Eine Reihe anderer Nebel zeigt sich heller, gewissermaßen verdichteter, viele darunter haben lichte Stellen, dann wieder trifft man auf Nebel, die offenbar in mehrere Stücke zertheilt sind, auf dreifache, vierfache

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 876. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_876.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2022)