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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


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Die Wasserversorgung der Städte.

Von Dr. Friedrich Dornblüth.

Die genaue Beobachtung der Choleraepidemie, welche Hamburg in wirklich erschreckender Weise heimgesucht und von dort nach den verschiedensten Richtungen ihre Sendboten ausgeschickt hat, lehrt uns vielerlei, was für die Erkenntniß und für die künftige Verhütung der Seuche außerordentlich wichtig ist. Für die genauen Kenner mag nicht allzuviel Neues dabei herausgekommen sein. In mancher Beziehung aber sind die Anschauungen gefestigt, die Beweise für den Zusammenhang der Erscheinungen zahlreicher und klarer geworden, und endlich ist die Seuche mit solcher Gewalt aufgetreten, daß dadurch sicher nicht wenig Gedankenarme und Thatenträge aufgerüttelt worden sind, selbst mit Hand anzulegen an die Vertheidigungswerke der Zukunft oder wenigstens deren Errichtung nicht länger durch passiven oder aktiven Widerstand zu hemmen.

Die Hamburger Epidemie zeigt durch ihr explosionsartiges Auftreten, daß eine sehr schnell und in großer Ausdehnung wirkende Ursache ihr zu Grunde gelegen haben muß. Das längst als ganz außergewöhnlich schlecht bekannte Leitungswasser, das den größten Theil der Stadt versorgt und in dessen Gebiet die Krankheit fast ausschließlich gewüthet hat, setzt die Thatsache der Schädlichkeit dieses Wassers außer allen Zweifel; um so mehr als zahlreiche frühere örtliche Epidemien der Cholera und des Unterleibstyphus sich ebenfalls an bestimmte Wasserversorgungsanstalten angeschlossen oder um gewisse Brunnen oder andere Gewässer gruppiert haben.

Der Umstand, daß solche Epidemien oft ganz plötzlich nachließen, nachdem das verdächtige Wasser vom Gebrauche ausgeschlossen war, und noch mehr die Erfahrung, daß spätere Seuchenzüge an solchen Orten vorübergingen, die sich inzwischen mit besserem Wasser versehen hatten, mag nicht immer als entscheidender Beweis angesehen werden, da oft gleichzeitig andere gesundheitliche Verbesserungen, wie z. B. besssere Entwässerung und Reinigung, ausgeführt worden waren. Auch der trotz seiner großen Schwierigkeit mehrfach erbrachte Beweis der Anwesenheit von Kochschen Kommabacillen, die als unmittelbare Ursache der Cholera, oder von Typhusbacillen, die als Ursache des Unterleibstyphus nicht angezweifelt werden können, in den angeschuldigten Wassern mochte noch für ungenügend gehalten werden, da für dm Ortsepidemien auch noch andere Ursachen besonders die unreine Beschaffenheit des Untergrundes, wirksam sind. Aber bei der Elbe und ihren Nebenflüssen konnte doch von einer Verseuchung des Untergrundes nicht die Rede sein! Wenn demnach die Cholera unter den Elbschiffern so besonders mörderisch gewüthet hat, während zugleich in dem Wasser, auf dem ihre Schiffe schwammen, das sie täglich für alle möglichen Bedürfnisse benutzten, Cholerabacillen nachgewiesen wurden, so kann über den Zusammenhang zwischen diesem Wasser und der Krankheit ein Zweifel nicht mehr bestehen.

Die Kommabacillen müssen aber trotz Pettenkofers neuestem Versuch als nächste und eigentliche Ursache der Cholera angesehen werden. Denn wenn dieser berühmte und mit Recht verehrte „Vater der Hygieine“ infolge seines heldenmüthigen Bacillentrunks nur eine Choleradiarrhoe bekommen hat, so ist damit nur die Thatsache wiederholt, daß während jeder Choleraepidemie neben und zwischen den echten Cholerafällen und unter denselben Umständen und Lebensverhältnissen viele Leute nur an Choleradurchfall leiden, aber trotzdem ihrerseits die Cholera verschleppen können. Mag immerhin neben den Kochschen Bacillen noch eine andere Schädlichkeit einwirken müssen, um einen vollen Choleraanfall hervorzurufen, oder mag eine gewisse Widerstandskraft mehr oder weniger schützen, wobei namentlich auch die alte Erfahrung in Betracht kommt, daß Menschen höchst selten, während einer und derselben Epidemie fast niemals, wiederholt von der Cholera befallen werden – ohne Kommabacillen ist doch noch niemals ein Choleraanfall entstanden.

In Hamburg liegt die Sache vollständig klar: einerlei, wie der Cholerakeim zuerst hineingekommen sein mag, mit den Ausleerungen der Kranken mußte er auf dem Wege der allgemeinen Haus- und Abortsentwässerung in die Siele, weiterhin in die Elbe und von dort durch die Fluthwelle in die Sammelbecken der Wasserleitung gelangen.

Diese Sammelbecken, die fälschlich als „Klär“becken bezeichnet werden, da sie doch nur ganz besonders schmutzige Teiche darstellen, gewähren nach den Urtheilen unbefangener Besichtiger die besten Vermehrungsstätten für Zersetzungserzeugnisse organischen Ursprungs, unter denen bei der damals herrschenden großen Hitze auch die Kommabacillen die beste Gelegenheit zur Entwicklung und Vermehrung finden mußten. Aus ihnen wird das Wasser ohne irgend welche Reinigung in die Häuser gepumpt, wo die Bacillen in den Wasserkästen der Hausleitungen nochmals die günstigste Gelegenheit für ihre ungezählte Vermehrung fanden. Es ist genau so, wie ein offenbar höchst sachverständiger englischer Arzt als Berichterstatter der Londoner „Times“ schrieb: „Die Hamburger lassen ihren Unrath unten aus den Häusern heraus, um ihn vermittelst der Wasserleitung oben wieder hineinzupumpen.“

Die schlechte Beschaffenheit des Hamburger Leitungswassers war seit langer Zeit allgemein bekannt und die von dorther drohenden Gefahren sind von Aerzten und Hygieinikern oft und eindringlich gekennzeichnet worden. Auch an thatsächlichen Warnungen hat es nicht gefehlt, denn die Stadt hat von 1831 bis 1873 nicht weniger als vierzehn große Choleraepidemien zu überstehen gehabt! Unter dem Eindruck der letzten wurde die Verbesserung der Wasserversorgung durch große Sandfilter ernstlich geplant – die Ausführung verzögerte sich aber von Jahr zu Jahr, und je weiter die letzte Epidemie in der Zeit und im Gedächtniß der Menschen zurücktrat, desto säumiger scheint das Werk betrieben worden zu sein. Jetzt ist die Cholera wiedergekommen und hat gezeigt, was sie kann. Das Unglück ist hereingebrochen und schwer lastet die Verantwortung auf denjenigen, welche die Versäumniß verschuldet haben! Möge aber nicht in Hamburg allein die Mahnung beherzigt werden, sondern überall, denn es giebt noch gar viele schwerhörige und säumige Ortsverwaltungen innerhalb und außerhalb Deutschlands, denen es an der Einsicht oder an dem guten Willen fehlt, vorhandene Schäden zu bessern und kräftige Vertheidigungswerke gegen den lauernden und heimlich eindringenden Feind aufzuführen! Nicht um Cholera allein handelt es sich dabei, sondern auch um Unterleibstyphus und andere Krankheiten, die wir bei uns dulden und wohl gar großziehen.

Wie aus schlechtem Wasser gutes zu gewinnen ist, hat jetzt eben Altona der ganzen Welt gezeigt. Auch diese Stadt bezieht ihr Trink- und Nutzwasser aus der Elbe, und zwar nahe unterhalb Hamburgs, wo sie mit den gesammten Sielwässern dieser Stadt und allem Schmutzabfall ihres Hafens beladen ist. Zwar wird das Elbwasser vor der Schöpfstelle durch den mächtigen Strom der Süderelbe verdünnt, indessen das Wasser und der Ufersaum zeigen deutlich genug, daß es nichts weniger als rein ist. Aus den Altonaer Wasserwerken aber, wo es durch Sandfilter gegangen ist, fließt es völlig klar, geruchlos und für die sorgfälligste chemische und bakterioskopische Prüfung einwandfrei ab. Um den Beweis voll zu machen, so ist Altona, trotz des ungeheuren Verkehrs mit der Nachbarstadt Hamburg, insofern cholerafrei geblieben, als dort aus den von Hamburg eingeschleppten Cholerafällen keine eigentliche Epidemie entstanden ist.

Eine große Anzahl von anderen Städten hat ebenfalls durch Zuleitung guten Wassers, das entweder aus Gebirgsquellen oder aus dem Grundwasser eines reinen Bodens oder durch Filterwerke gewonnen war, die Gesundheitsverhältnisse unter ihren Bewohnern wesentlich gebessert, was sich theils durch die Verminderung der allgemeinen Sterblichkeit, theils durch das Fernbleiben gewisser Epidemien, die früher ständig geherrscht oder von Zeit zu Zeit ihre verderblichen Besuche gemacht hatten, kundgegeben hat.

Vor diesen künstlichen Zuleitungen hatte das Wasser von Seen, offenen Flußläufen oder innerhalb der Ortschaften gelegenen Brunnen den Bedarf mehr oder weniger reichlich und befriedigend decken müssen; allmählich aber wurde einerseits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 883. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_883.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)