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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Germania erheben, von zwei Genien geleitet. Unsere Leser finden auf S. 133 eine Abbildung dieser Gruppe.

Der Schöpfer des Monumentalbaues, Paul Wallot, hat im vorigen Jahre seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Er steht im Höhepunkte seiner ungewöhnlichen künstlerischen Kraft. Er ist am 26. Juni 1841 zu Oppenheim am Rhein geboren. Schon früh erhielt er durch einen Oheim, einen Münchener Maler, die Richtung auf das Künstlerische. Als Fünfzehnjähriger bereits ergänzte er drei Chorfenster der altberühmten Katharinenkirche seiner Vaterstadt nach den im Dom zerstreuten Scherben. In Darmstadt erhielt Wallot auf Realschule und Polytechnikum seine weitere Ausbildung. Damals hing seine ganze Seele am Malerberuf. Erst als er 1859 zu weiterer Ausbildung das Polytechnikum zu Hannover bezog, entschied er sich für die Architektur. Karmarsch, Luer und Debo waren hier seine bevorzugten Meister. 1860 ging der junge Wallot nach Berlin. War er in Hannover in das Wesen der Gothik eingedrungen, so lernte er in Berlin den strengen Hellenismus Schinkelscher Schule kennen; in Gießen, wohin er ging, um das großherzoglich hessische Staatsexamen zu machen, erschloß ihm bald darauf Ritgen, der Erneuerer der Wartburg, den mittelalterlichen Burgenstil. 1864 wurde Wallot großherzoglich hessischer Beamter, 1865 jedoch wieder Besucher der Berliner Bauakademie und Schüler von Gropius, später von Lucae und Hitzig.[1] 1867 ging er nach Italien, wohin er in späteren Jahren mehrfach zurückkehrte und wo er in dem Studium der Paläste Palladios seine eigene künstlerische Seele entdeckte, die ihn zu Renaissanceformen hinzog. 1869 ließ sich Wallot als Privatarchitekt in Frankfurt a. M. nieder. Hier stieg sein Ruf schnell. Er gewann mehrere Preise, darunter auch den, der seinem Leben die entscheidende Wendung gab, den ersten Preis für das deutsche Reichstagsgebäude. 1882 siedelte er nach Berlin über, von welcher Zeit an er unausgesetzt an dem großen Werke arbeitete, das nun mit Riesenschritten seiner Vollendung entgegengeht.

Giebel und Eckthurm der Südfassade am neuen Reichstagsgebäude zu Berlin.
Nach einer photographischen Aufnahme von Reg.-Baumeister Gräf in Berlin.

Wallots Prachtbau ist ein gewaltiger Anfang, an welchen sich ein wahrhaft monumentaler Ausbau des Königsplatzes angliedern ließe. Zwar werden noch ganze Generationen dahinschwinden, bevor der Königsplatz das sein wird, wozu er bestimmt ist: eine architektonische Verkörperung des neuen Deutschen Reiches, gerade so wie die Linden vom Schloß bis zum Brandenburger Thor eine Verkörperung des alten Sonderstaates Preußen sind. Das, was der Eintrachtsplatz für Paris und Frankreich, das Forum Romanum für das alte Rom bedeutete, das könnte der Königsplatz für Berlin und Deutschland werden, wenn die kommenden Geschlechter diesen einzigen Platz ausgestalten in dem Geiste, aus welchem Wallots Reichshaus geboren wurde. Otto Neumann-Hofer.     


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Elsa.“

Eine Ehestandstragödie in Briefen. Von Ernst Wichert.
1.

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Was Deine Nachschrift anbetrifft, Liebste, so kannst Du meinetwegen wirklich ganz beruhigt sein: wir leben in der glücklichsten Ehe miteinander. Wenn ich Dir mit der rücksichtslosen Offenheit, die unser freundschaftliches Verhältniß von ältester Zeit her gewohnt ist, auch über die Schwelle des eigenen Hauses hinaus treu von allerhand kleinen Erlebnissen berichte, wie sie der Tag bringt, und sie nach augenblicklicher Stimmung mit Glossen versehe, so rechne ich zuversichtlich darauf, auch dann von Dir nicht falsch verstanden zu werden, wenn Schilderung und Urtheil nicht ganz den rechten Ausdruck finden. Du kennst mich ja und wirst allemal aus dem Ganzen heraus zu ergänzen und zu berichtigen wissen. Ich habe den Grundsatz, meine Briefe, wenn sie geschrieben sind, nicht noch einmal durchzulesen – vielleicht in der heimlichen Befürchtung, daß mancher dann unabgesendet bleiben würde. Es soll nun einmal gerade das darin stehen, was die Feder in schnellem Anlauf zu Papier gebracht hat, bevor verständige Erwägungen aller Art auch nur den Zweifel aufkommen lassen, ob nicht die Tinte verschwendet sei. Warte vierundzwanzig Stunden, und bei aller Wahrheitsliebe lügst Du Dir und Deinem Nächsten etwas vor. Nicht mehr was Du mit Deinen Sinnen wahrgenommen, mit Deinen Empfindungen Dir angeeignet hast, giebst Du, sondern ein Phantasiebild mit möglichst verschwommenen Umrissen und verwaschenen Farben. Ich kenne Briefwechsel, die durch viele Jahre mit leidenschaftlichem Eifer geführt sind und in denen trotz der Versicherung auf jeder Seite, daß man kein Geheimniß voreinander habe, nicht eine einzige Zeile unmaskiert erscheint. Man besucht sich immer, nachdem man feierlich Toilette gemacht hat. Das hält man für Schuldigkeit. Und man ladet auch nur ins Putzzimmer ein; was und wie da gesprochen wird, ist eigentlich schon in alle Ewigkeit vorausbestimmt. Ich möchte, daß Du, wenn Du (eine schöne Konstruktion!) meine Briefe liest, mich immer so siehst, wie ich aussah, als ich sie schrieb. Es versteht sich ja von selbst, daß ich zu Deiner Lesezeit, so schnell jetzt auch Briefe befördert werden, bereits eine ganz andere bin. Es kann sein, daß Du über eine Eulenspiegelei laut auflachst, während ich mir irgend einen furchtbar schmerzlichen Kummer einbilde (zum Beispiel, daß mein Mann mich eigentlich gar nicht versteht) und in Thränen zerfließe, oder daß Du Dich über die abscheuliche Aeußerung blau ärgerst, mein Mann verstehe mich eigentlich gar nicht, während ich ihm auf dem Schoße sitze und den vollgültigsten Beweis seines innigsten Verständnisses für meine selbst nur in seiner Einbildung steckenden Vorzüge erhalte; daß

Du sein Lob hörst, wenn ich mit ihm zanke und daß ich bereits

  1. WS: Fehlender Punkt ergänzt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_141.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)