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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Man kann wohl sagen, so wie die Bilder der „Fliegenden Blätter“ das äußere Leben der deutschen Nation spiegeln, so ist der – bekanntlich von überallher beiströmende – Text als Gradmesser des deutschen Humors in allen seinen Schattierungen zu betrachten. Und da wird man, trotz des vielgehörten Jammers über Nervosität und „Decadence“, sich nur freuen können, wieviel prächtige Laune, wie viel guter und schlechter Witz heute noch in Deutschland gedeiht und per Post in das große Haus am Maximiliansplatz befördert wird. Dort liegt dann der Redaktion die schwere Aufgabe ob, das Massengeschiebe zu sichten und das Brauchbare herauszufinden. Sie thut aber nicht allein das: sie hält zielbewußt an dem alten Kurs fest und giebt dadurch der großen Vielheit die bestimmende Richtung und den unveränderten Charakter. Längst sind die Väter Schneider († 1864) und Braun († 1877) ihren ersten Mitarbeitern gefolgt, oder die Söhne führen das von ihnen überkommene Werk im alten Geist, wenn auch mit neuen Mitteln, aufs glücklichste weiter. Julius Schneider ist Chefredakteur und teilt sich mit Kaspar Braun jun. in die eigentliche Hauptarbeit, Hermann Schneider, selbst ein Maler von Ruf und Bedeutung, steht an der Spitze der künstlerischen Abteilung und pflegt den Verkehr mit den zeichnenden Fachgenossen, sein eigener Stift ist indessen nur selten in den Blättern vertreten.

So wie es für den einzelnen Menschen charakteristisch ist, was er lächerlich findet, so auch für ein humoristisches Blatt. Und da sieht man denn die „Fliegenden Blätter“ heute, wie im Jahr ihres ersten Erscheinens, im launigen Kampf gegen Schwindel, Hochmut, Großthuerei, Roheit, Eitelkeit, Blasiertheit und soziale Lügen aller Art. Als neuer Ton ist hinzugekommen die scharfe Satire gegen das moderne Evangelium der gemeinen Prosa und des Schmutzes in Kunst und Litteratur. Was bei dessen Autoren für unmöglich gilt: amüsant zu sein ohne Anstößigkeiten, das vollbringen die „Fliegenden Blätter“ siegreich jahraus jahrein; ihr Text ist so sittlich rein, daß ihn ein heranwachsender Mensch ruhig lesen darf, und so belustigend, daß die Alten und Erfahrenen stets aufs neue darüber lachen.

Die Verbreitung des Blattes ist außerordentlich und noch in fortwährender Zunahme begriffen. Den äußeren Erfolg braucht man ihm also zum Jubiläum nicht mehr zu wünschen, nur den Fortbestand der geistigen und künstlerischen Kräfte, welche Mitarbeiter und Redaktion zu einem festgeschlossenen Ganzen vereinigen auf dem gesunden natürlichen Münchener Boden, der auch mitgenannt werden muß, wo es sich um die Ursachen eines so glänzenden Gedeihens handelt.

Die „Fliegenden Blätter“ stehen heute an hervorragender Stelle unter den guten geistigen Mächten unseres Volkes und mögen noch lange dort stehen bleiben! R. Artaria.     




Die Sprengstoffe der Neuzeit.
Von C. Falkenhorst.

Ein halbes Jahrtausend hindurch war das Schießpulver, jene Mischung aus Salpeter, Kohle und Schwefel, der einzige Sprengstoff, der zu Bedeutung gelangt war. Allerdings liest man hin und wieder in alten Büchern kurze Mitteilungen über neue Knallkompositionen. Die „Goldstudien“, denen man in früheren Zeiten mit großem Eifer oblag, führten z. B. zur Entdeckung einer explodierenden Goldverbindung, die schon im 15. Jahrhundert als aurum fulminans oder aurum tonitruans (blitzendes oder donnerndes Gold) beschrieben wurde. Es ist dies das Goldoxyd-Ammoniak, ein grünliches Pulver, das wir heute „Knallgold“ nennen und das schon bei der leisesten Berührung mit größter Heftigkeit explodiert. Im Jahre 1648 berichtete ferner Glauber über eine „Komposition, welche fulminieret gleichwie ein aurum tonitruans“; es handelt sich dabei um das „Knallpulver“, eine Mischung von Salpeter, kohlensaurem Kali und Schwefelblumen, die, an der Luft erhitzt, selbst in geringer Masse mit äußerst heftigem Knall sich entzündet. Derartige Entdeckungen und Erfindungen blieben jedoch Jahrhunderte hindurch vereinzelt und wenig beachtet. Erst die moderne chemische Wissenschaft, deren Anfang in das Ende des vorigen Jahrhunderts fällt, sollte auch auf diesem Gebiete einen ungeahnten und, wie die Ereignisse der jüngsten Zeit lehren, nicht immer erfreulichen Aufschwung bringen.

Die ersten Chemiker versuchten alsbald, das alte Pulver zu verbessern. Lavoisier und Berthollet kamen auf den Gedanken, den Salpeter durch das chlorsaure Kali zu ersetzen, aber der Versuch mißlang, die Pulverfabrik von Essenne flog in die Luft und viele Arbeiter kamen dabei um. Immerhin war ein neues äußerst heftig explodierendes Gemenge bekannt geworden. Im Jahre 1788 stellte Berthollet ein dem Knallgold ähnliches Präparat her, das „Silberoxyd-Ammoniak“, aber dieser Stoff war für praktische Zwecke völlig untauglich, da er mit furchtbarer Gewalt explodierte, selbst wenn man ihn nur mit einer Feder unter Wasser berührte.

Einen anderen Weg schlugen der Engländer Howard und der Italiener Brugnatelli ein. Jenem gelang es im Jahre 1799, diesem im Jahre 1802, neue Explosivstoffe herzustellen, indem sie Metallverbindungen mit Salpetersäure behandelten. Howard erfand das „knallsaure Quecksilberoxyd“ und Brugnatelli das „knallsaure Silberoxyd“. Das waren nicht mehr explodierende Gemenge, sondern chemische Verbindungen, die bei ihrem Zerfallen eine weit größere Kraft als das alte Schießpulver entfalteten. Das Brugnatellische Knallsilber zersetzt sich indessen so leicht schon bei geringer Reibung, daß ihm nur ein beschränktes Verwertungsgebiet vorbehalten blieb. In äußerst kleinen Portionen wird es zur Herstellung von Spielereien wie Knallbonbons und Knallerbsen verwendet. Weit wichtiger wurde das etwas beständigere Knallquecksilber von Howard. Wegen der furchtbaren Heftigkeit mit der es explodiert, konnte es an Stelle des Schießpulvers nicht verwendet werden; nur in sehr geringen Mengen dient es als treibende Füllung in den Patronen der sogenannten „Floberts“ oder Zimmerpistolen. Die Leichtigkeit, mit welcher es durch Schlag zersetzt wird, brachte aber die Techniker auf den Gedanken, es als Zündmittel für das Pulver zu verwerten. Im Jahre 1815 verfertigte der englische Büchsenmacher Josef Egg die ersten Zündhütchen, die mit Knallquecksilber gefüllt waren und zunächst bei den Jägern, dann bei den Heeresverwaltungen Beifall fanden, so daß um das Jahr 1840 die alte Steinschloßflinte durch das Perkussionsgewehr in Europa völlig verdrängt war. Es bedeutete dies einen großen Fortschritt, denn nun war das Infanteriefeuer unabhängig von Wind und Wetter und anderen Zufälligkeiten. Mit dieser Errungenschaft schließt ein Abschnitt in der Geschichte der Explosivstoffe ab – die Knallpräparate sind in ihrer Eigenschaft als Zünder heute noch allgemein in Anwendung.

Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts geschah in der Forschung ein neuer Schritt von größter Tragweite, und wieder war es die Salpetersäure, welche unter der Hand des Chemikers neue Sprengstoffe entstehen ließ. Im Jahre 1846 erfand Schönbein in Basel die Schießbaumwolle und bald darauf den Knallzucker; ein Jahr später stellte der Italiener Sobrero in dem Laboratorium von Pelouze in Paris das Nitroglycerin her. Der Schießbaumwolle wandte man sofort eine lebhafte Aufmerksamkeit zu; sie sollte als Sprengmittel das alte Pulver verdrängen, aber sie zersetzte sich zu leicht und führte zu Selbstentzündungen von so furchtbarer Wirkung, daß ihre Verwendung lange Zeit hindurch beschränkt war. Das Nitroglycerin blieb anfangs als Sprengmittel unbeachtet, es wurde nur von einigen Aerzten als Heilmittel gegen Nervenleiden versucht. In der neuesten Zeit wird es von amerikanischen Aerzten sehr warm als Rettungsmittel bei Kohlendunst- und Leuchtgasvergiftungen empfohlen. Man soll den Betäubten kleine Mengen, 1/2 bis 1 Milligramm, in das Blut einspritzen. Erst im Jahre 1862 fand der schwedische Ingenieur Alfred Nobel den Mut, Nitroglycerin in größeren Mengen anzufertigen und es als „Sprengöl“ in alle Welt zu versenden. Die Folgen dieses Vorgehens blieben nicht aus. In Stockholm, Hamburg, Aspinwall, San Francisco und an anderen Orten fanden so entsetzliche Explosionen statt, daß die Einfuhr des schwedischen Sprengöls überall verboten wurde.

Nobel sah sich dadurch veranlaßt, auf Mittel zu sinnen, durch welche die zufälligen Entzündungen des Sprengöls auf dem Transporte, während der Aufbewahrung und der Handhabung verhütet werden könnten. Es gelang ihm auch in der That im Jahre 1866, die Verwendung des Nitroglycerins gegen früher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_030.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2021)