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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Liebhaberinnen der deutschen Bühne.

Wir haben vor Jahresfrist ein Gruppenbild unserer Heroinen gebracht; heute lassen wir ihm eine Reihe hervorragender Vertreterinnen des Liebhaberinnenfachs folgen. Die meisten der ersteren sind hervorstechende Berühmtheiten, sie haben zum Teil schon eine abgeschlossene Künstlerlaufbahn hinter sich. Anders verhält es sich bei der Mehrzahl der ersten Liebhaberinnen; da finden sich auch jugendliche Kräfte, welche wohl schöne Erfolge errungen haben, aber noch keinen nationalen Ruhm, der in allen Kreisen des Volkes, in Nord und Süd als vollgültig anerkannt würde. Damit hängt es zusammen, daß das kritische Thürsteheramt, welches den Zutritt in den Kreis der Auserwählten bestimmt, schwierig ist. Es giebt junge Talente, denen die Aufnahme mit gleichem Recht gewährt werden könnte. Doch der Raum gebot Beschränkung für Bild und Text – keineswegs soll man glauben, daß die Blumen, die wir hier nicht zum Kranze gewunden, achtlos von uns beiseite geworfen wären. Sie hätten mit Farbe und Duft, Anmut und Talent diesen Kranz noch reicher gestaltet. Jedenfalls suchten wir die verschiedensten Richtungen darstellender Kunst im Fache der Liebhaberinnen zu berücksichtigen.

Auch nach den Heroinen hin ist die Grenze fließend: es giebt Darstellerinnen, welche beide Fächer beherrschen. Das galt schon von Pauline Ulrich, welche wir den Heldinnen zugerechnet, dies gilt ebenso von Franziska Ellmenreich, welche ihre glänzende Vielseitigkeit neuerdings auch dadurch bekundet hat, daß sie im höchsten Sinn tragische Rollen in ihr Repertoire aufgenommen und mit schönem Gelingen durchgeführt hat. Als wir im Jahrgang 1878 unseres Blattes ihr Bild und ihre Lebensbeschreibung brachten, da mochte sie für eine der hervorragendsten deutschen Lustspieldarstellerinnen gelten, die auch auf dem Gebiete der Tragödie die mittleren Aufgaben, die nicht allzu hoch auf dem Kothurn stehen, mit Glück zu lösen verstand. Jetzt ist sie auf dem ganzen Feld der Tragödie heimisch. Ihr Fleiß, ihre geistige Begabung, welche stets das Richtige erfaßt, befähigten sie zu dieser weitreichenden Herrschaft über verschiedene Kunstgebiete. Zwar die elementare Naturgewalt, durch welche sich einzelne Heldenspielerinnen auszeichnen, war ihr nicht gegeben, doch sie ersetzte dieselbe durch den leidenschaftlichen Zug ihres Wesens. Das Spröde, Schroffe, Grelle ist ihr fremd geblieben; sie kam vom Lustspiel her und verleugnete nie die Lustspielgrazie. Ihr Talent ist auf Harmonie gestimmt; immerhin läßt sie auch die Dissonanz, wo sie durch Charakter und Handlung geboten ist, zu ihrem Rechte kommen. Frau Ellmenreich besitzt viel Geist, aber er wirkt nicht aufdringlich störend auf ihre Kunstleistungen; er befruchtet nur ihr Talent mit neuen Eingebungen. Zum Lebenslaufe der Künstlerin haben wir nachzutragen, daß sie von Leipzig zuerst nach Hamburg und dann an das Dresdener Hoftheater kam, wo sie ein Liebling des Hofes und des Publikums wurde. Am 4. Dezember 1879 heiratete sie den Freiherrn Richard von Fuchs-Nordhoff, einen sächsischen Offizier. Damit hing es zusammen, daß sie das Dresdener Hoftheater verließ. Sie trat nun vier Jahre lang als Gast an größern deutschen Bühnen, später in Nordamerika auf, wo sie die „Maria Stuart“ sogar in englischer Sprache spielte. Sie fand auch jenseits des Oceans bei Kritik und Publikum großen Beifall. Dann gehörte sie noch einmal vier Jahre lang der Hamburger Bühne an; ihre außerordentliche Vielseitigkeit, ihre anmutige nie verkünstelte Spielweise machten sie zur beliebten Hauptvertreterin jener ersten Glanzzeit der Pollinischen Direktion, welche neben der Ellmenreich in Barnay und Friedmann künstlerische Kräfte ersten Ranges besaß. Seitdem ist sie nur einmal kurze Zeit, vier Monate lang, am Berliner Theater fest angestellt gewesen. Das Repertoire desselben bot ihr nicht den ausreichenden Spielraum. Dann unternahm sie von Berlin aus einzelne Gastreisen an hervorragende Bühnen. Gegenwärtig tritt sie im Wiener Volkstheater auf. Wie entwicklungsfähig das Talent dieser Darstellerin ist, das beweist die allmähliche Vervollständigung ihres Repertoires nach den verschiedensten Seiten hin. Sie war anfangs eine Stütze des deutschen feineren Lustspiels; ihre Adelheid in den „Journalisten“, ihre Katharina von Rosen in „Bürgerlich und Romantisch“ waren vorzügliche Leistungen; daran schlossen sich Aufgaben von mittlerer Tragik und Rollen der französischen Rührstücke, Maria Stuart, die Rutland in „Graf Essex“, Katharina Howard, die Kameliendame. Während ihres Hamburger Aufenthalts begann sie sich den großen tragischen Aufgaben zuzuwenden, und so spielt sie jetzt eine Brunhild und Theodora. Und daneben versagt ihr keineswegs der heitere feine Salonton. Jedenfalls ist Franziska Ellmenreich eine Zierde der deutschen Bühne.

Und das gilt auch von Frau Hedwig Niemann-Raabe, welche zwar den Ruhm der Vielseitigkeit nicht in Anspruch nehmen darf, aber dafür in ihrem Gebiete einzig und unerreichbar ist. Hedwig Raabe, in Magdeburg geboren, ging schon in ihrem vierzehnten Jahre zur Bühne. Sie trat zuerst am Hamburger Thaliatheater auf und wurde dann für das Berliner Wallnertheater gewonnen. Hier in Berlin wurde Frau Frieb-Blumauer, die eine lebhafte Teilnahme für das junge Talent empfand, ihre Lehrerin. Nach kurzen Engagements in Prag und Mainz war sie vier Jahre lang Mitglied des St. Petersburger Hoftheaters, und als sie nach Deutschland zurückkehrte, trat sie 1863 mit glänzendem Erfolg als Gast in Leipzig auf. Dies Gastspiel begründete ihren Ruf. Es war ein böses Jahr, ein Kriegs- und Cholerajahr; doch das Haus, das jetzige „Alte Theater“, damals das einzige in der Pleißestadt, war immer gefüllt. Das Publikum zeigte sich geradezu entzückt von der Quellfrische dieses Talentes, das zwar in die Fußstapfen der Friederike Großmann trat, aber doch dabei eine sehr anziehende Eigenart behauptete. Es waren Gestalten von holdseliger Mädchenhaftigkeit, welche Hedwig Raabe damals schuf. Charaktere, die wie ein unbeschriebenes Blatt waren, zeichnete sie meisterhaft; aber auch wo es eine kecke Natürlichkeit galt, wie im ersten Akt der „Grille“, wirkte sie mit den ihr eigenen Darstellungsmitteln. Der Ruhm, die erste Naive des deutschen Theaters zu sein, war ihr damals unbestritten. Im Jahre 1871 verheiratete sie sich mit dem gefeierten Sänger Albert Niemann und nahm in Berlin ihren festen Wohnsitz. Eine Zeitlang gehörte sie dem neugegründeten Deutschen Theater an, später tauchte sie auf als einer der Sterne, mit denen Barnay sein Berliner Theater ins Leben einführte. Gegenwärtig giebt sie in der Reichshauptstadt und außerhalb derselben Gastspiele. Natürlich sind die kindlichen Mädchenrollen von ihrem Repertoire verschwunden, dafür spielt sie jetzt Rollen des deutschen und französischen Salondramas vorzüglich; wir brauchen nur ihre Eva, ihre Cyprienne, ihre Hertha in „Ein Tropfen Gift“ zu erwähnen. Ihr Organ hat einen überaus sympathischen weichen Schmelz; ihr Spiel ist stets lebhaft, von bezaubernder Natürlichkeit, und wenn die Wolter ihren unnachahmlichen „Wolterschrei“ hat, so hat auch die Raabe etwas Unnachahmliches: ihr Lachen und ihr Weinen, das ihr noch keine andere Darstellerin abgelauscht hat.

Wie die Ellmenreich und die Raabe an keine Bühne gefesselt, als eine freizügige Künstlerin hat Marie Barkany in Deutschland, in Rußland, in Holland, in der Schweiz und in Amerika viel von sich reden gemacht. Marie Barkany ist ein Kind des Ungarlandes, in Kaschau geboren. Als Zögling des dortigen Ursulinerinnenklosters sah sie „Don Carlos“ und „Maria Stuart“ aufführen, und schon damals fühlte sie sich zur Bühne hingezogen. Als sie dann zur Vollendung ihrer Erziehung nach Wien geschickt wurde, ward sie die eifrigste Besucherin des Burgtheaters und Charlotte Wolter übte auf sie einen mächtigen Zauber aus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_063.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)