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Blätter und Blüthen.

Wirren in Kamerun. (Zu dem Bilde S. 53.) Recht düstere Weihnachten haben diesmal unsere deutschen Kolonialbeamten in Kamerun gefeiert. Um die Mitte des Dezember vor. Jahres empörte sich plötzlich ein großer Teil, 60 Mann, der aus Dahomenegern bestehenden schwarzen Polizeitruppe, denen sich 40 bewaffnete Weiber anschlossen. Es gelang den Meuterern nicht nur, den Munitionsschuppen zu erbrechen und sich in den Besitz von Geschützen, Gewehren und reichlicher Munition zu setzen, sondern auch trotz fünfzehnstündiger heftiger Gegenwehr der Regierungsbeamten, des zu Hilfe geeilten Vermessungskommandos, sowie der treugebliebenen schwarzen Soldaten das Regierungsgebäude zu erobern. Erst mit Hilfe des am 21. Dezember von einer Erholungsreise zurückkehrenden Kreuzers „Hyäne“ war es möglich, das Verlorene wiederzugewinnen und die Bande der Aufrührer zu zerstreuen.

Soweit die spärlichen telegraphischen Nachrichten, die in dem Augenblick vorliegen, da diese Nummer zum Druck geht. Unser Bild zeigt dem Leser das auf der Höhe der Joßplatte über dem Kamerunfluß gelegene deutsche Regierungsgebäude, davor, von Palmen überschattet, das schöne von den deutschen Kaufleuten in Westafrika gestiftete Grabdenkmal Gustav Nachtigals, des hochverdienten Forschers, der einst vor zehn Jahren hier die deutsche Flagge gehißt hat, bald darauf aber, am 19. April 1885, ein Opfer seiner treuen Pflichterfüllung geworden ist. Erst wurden seine sterblichen Ueberreste auf dem Kap Palmas bestattet, dann aber zum Beginn des Jahres 1888 nach Kamerun übergeführt und dort in dem prächtigen Parke bei dem Regierungsgebäude aufs neue beigesetzt.

Zum Todesjahr des Königs Gambrinus. Wer das Bier erfunden hat, das wird ewig dunkel bleiben; die Volkssage will es allerdings wissen, sie schreibt dieses Verdienst einem flandrischen König Gambrinus zu. Die Entstehung dieser Sage verlegen die Geschichtsforscher in das 13. Jahrhundert n. Chr. Damals regierte Johann I. als Herzog von Brabant, in der Volkssprache hieß er Jan und lateinisch nannte man ihn Jan primus. Er war ein Schutzherr der Gewerbe und ließ sich auch bewegen, den Ehrenvorsitz der Brüsseler Brauergilde zu übernehmen. Die dankbaren Brauer haben infolgedessen in ihrem Innungssaale sein Bildnis aufgehängt, auf welchem der Herzog mit einem schäumenden Bierpokale in der Hand dargestellt wurde.

Jan primus wurde nun als der Schutzherr des Bieres gefeiert, um so mehr, als um jene Zeit das Bier in den Weinbauern starke Gegner hatte und vielerorts zum ersten Male die Biersteuer eingeführt wurde. Aus Jan primus wurde das Wort Gambrinus, aus dem Herzog ein König, dem man nicht nur die Beschirmung, sondern auch die Erfindung des Bieres zuschrieb. Jan primus, das Urbild des Gambrinus, starb gerade vor 600 Jahren, im Jahre 1294. Der Todestag ist uns nicht bekannt. – Wir möchten Freunde des Bieres auf dieses Jubiläum aufmerksam machen; es bietet Gelegenheit, dem verdienten Fürsten ein stilles Glas zu weihen. *     

Gehversuche.
Nach einem Gemälde von L. Deschamps.

Ein mittelalterlicher Fastnachtsbrauch. (Zu dem Bilde S. 57.) Es ist eine bekannte Thatsache, daß das Mittelalter reich war an Volksbräuchen, die sich durch eine für unser heutiges Empfinden mehr als befremdliche Derbheit auszeichnen. Das allgemeine Behagen an drastischer Belustigung trieb natürlich die tollsten Blüten zur Zeit der Fastnacht, wo ja auch in der sonst zarter fühlenden Gegenwart noch da und dort „die Bande frommer Scheu“ sich bedenklich lockern. Der Maler unseres Bildes schildert uns nun solch einen mittelalterlichen Fastnachtsbrauch, der auf dem Leipziger Boden zu Hause war. Dort mußte, so wird berichtet, jede Fastnacht ein Hagestolz mit einem Strohkranz um das Haupt einen Pflug lenken, dem alte Jungfern vorgespannt waren. Auch wir Heutigen sind ja geneigt, das ehelose Leben nicht als die idealste Erfüllung der menschlichen Bestimmung zu betrachten; insbesondere bilden die älteren Junggesellen auch heute noch den Zielpunkt manchen schlechten Witzes, sie müssen es sich sogar gefallen lassen, daß man ihnen mit einer eigenen Steuer droht. Aber das sind doch alles sehr harmlose Dinge gegen die grausame Verhöhnung, welche das fünfzehnte Jahrhundert für angebracht hielt. Und die Bitterkeit eines solchen öffentlichen Schimpfs wurde auch damals schon heiß empfunden. Im Jahre 1499, so wird erzählt, stach eine Jungfer den, der sie anspannen wollte, tot.

Fürsorge für sprachlich zurückgebliebene Kinder. Zu den schönen Errungenschaften der Neuzeit gehört es, daß man das Wesen vieler Sprachgebrechen ergründet und Wege gefunden hat, dieselben zu heilen. Am erfreulichsten ist dabei, daß dank der allgemeinen Schulpflicht und der Fürsorge der Behörden die erprobte Hilfe den weitesten Kreisen zu teil wird. Stotternde und stammelnde Kinder sind gegenwärtig noch sehr zahlreich; man rechnet, daß von hundert Kindern, die in die Schule aufgenommen werden, eins mit irgend einem Sprachgebrechen behaftet ist. Die allermeisten dieser Kleinen können recht wohl richtig sprechen lernen, wenn sie in eine zweckmäßige pädagogisch-gymnastische Behandlung kommen. Darum werden in verschiedenen deutschen Staaten Kurse abgehalten, in denen gelehrt wird, wie man mit derartigen Sprachkranken verfahren muß. In Berlin bildet seit dem Jahre 1885 Dr. Gutzmann Lehrer und Aerzte in der geeigneten Heilweise aus, und bis jetzt haben 206 Lehrer, 3 Lehrerinnen und 20 Aerzte von ihm Unterricht erhalten, um in verschiedenen Gegenden segensreich zu wirken. Nach einem neuerdings veröffentlichten Berichte sind von den Schulkindern, welche von diesen Lehrern behandelt worden sind, 80% dauernd von ihrem Uebel befreit worden. In manchen Städten sind die Stotterer und Stammler fast gänzlich verschwunden. Wenn man bedenkt, wie störend ein Sprachgebrechen im praktischen Leben ist, wie oft es den fleißigsten Menschen am Vorwärtskommen hindert, so muß man diese Fürsorge aufs wärmste anerkennen.

Aber wir dürfen auf dem einmal beschrittenen Wege nicht innehalten, sondern müssen rüstig vorwärtsschreiten, damit kein neuer Nachwuchs von Stammlern und Stotterern entstehe. In dieser Hinsicht hat das Haus wichtige Pflichten zu erfüllen. Sprachgebrechen werden um so eher geheilt, je früher sie in zweckmäßige Behandlung kommen. Eltern von Kindern, die mit Sprachgebrechen behaftet sind, sollten darum nicht versäumen, frühzeitig sachverständigen Rat einzuholen. Dies ist auch deshalb notwendig, weil es vorkommen kann, daß Kinder, die sprachlich zurückgeblieben sind, für geistig zurückgeblieben gehalten und in Anstalten gebracht werden, in welchen sie nicht die für sie erreichbare Bildungsstufe erhalten. Auf diesen Umstand wies neuerdings Moritz Weniger in der Flugschrift „Nicht geistig, sondern sprachlich zurückgebliebene Kinder“ (Karl Bauch, Gera) hin. Man findet in dieser Schrift vielfache Belehrung, nur möchten wir nicht empfehlen, auf brieflichem Wege Auskunft über die Natur des Sprachleidens zu suchen; die persönliche Untersuchung durch einen Sachverständigen, sei es Arzt oder Lehrer, ist unbedingt nötig, und einen solchen zu finden, dürfte gegenwärtig nicht mehr schwierig sein; die Leiter der in so vielen Städten bestehenden Heilkurse für sprachleidende Schulkinder werden gern die gewünschte zuverlässige Auskunft geben. *     


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

A. Z. in Ansbach. Besten Dank für Ihre Mitteilung! Die freundliche Gesinnung, die Sie uns aussprechen, beweist am besten, daß derlei Angriffe der „Gartenlaube“ nicht schaden können!

Nr. 1259. Die Antwort auf Ihre Anfragen finden Sie in der Polizeiordnung Ihres Wohnortes. Allgemeingültige derartige Vorschriften giebt es nicht.

Fr. G. in W. Entschuldigen Sie das Versehen in Rücksicht darauf, daß vierundachtzigjährige Männer zwar oft noch sehr gut, aber häufig nicht mehr sehr deutlich schreiben. So konnte es geschehen, daß wir den Namen des Komponisten der Struwwelpeterlieder „Haßla“ statt „Hußla“ lasen.

E. G. in T....r. Die Wörter „Post“ und „Apostel“ haben nichts miteinander zu thun. Das erstere hängt mit dem lateinischen Wort ponere = niederlegen zusammen, das letztere kommt aus dem Griechischen, wo das Zeitwort apostellein „absenden“, das Hauptwort apóstolos „der Abgesandte“ bedeutet.

Hausvater in Schivelbein. Wie man ein Schattentheater macht? Ja, verehrter Freund, das ist nicht mit ein paar Zeilen unseres Briefkastens zu erklären! Doch können wir Ihnen ein kleines Heftchen empfehlen, worin Sie eine gute und praktische Anleitung finden. Es betitelt sich „Ein neues Schattentheater. Anleitung zur Herstellung von Bühne und Figuren nebst dem Schattenspiel ‚Die Bremer Stadtmusikanten‘. Von M. Reymond“ (Hamburg, Richter). Nach dem dort beschriebenen Muster werden Sie, wenn Sie etwas Zeichner sind, mit leichter Mühe auch noch andere Stückchen eigener Erfindung einrichten können.


Inhalt: [ Verzeichnis des Inhalts von Heft 4/1894 - hier nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_068.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)