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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Er muß rein blind gewesen sein, oder er hat schon wieder eine Dirn’ im Kopf. Das macht ihn wirblig wie der Drehwurm die Gems. Ich mein’ schier, er hat’s auf die Fischerdirn’ abgesehen.“

Henning hob langsam das Gesicht. „Auf das Rötli? Da wird ihm wohl der Schnabel sauer bleiben.“

„Warum?“

„Das hat seinen guten Grund!“

Sindel schaute dem Bruder ins Gesicht und lachte. „Deinen Grund, den kann ich mir denken.“

Sie gingen der Treppe zu. Da fragte einer der Knechte, welche mit dem erlegten Wild beschäftigt waren, den an seiner Seite Schaffenden. „Wer ist denn der Bub, der da drin gebüßt wird? Kennst ihn Du?“

„Wohl wohl. Huze heißt er und ist dem Schapbacher hörig, dem er die Geißen hütet. Seine Mutter ist die Heilka gewesen, die Sennin. die man aus der Windach gezogen hat.“

Sindel blieb auf der Treppe stehen und stieß den Bruder lachend mit dem Ellbogen an. „Hast gehört? Die Heilka ist seine Mutter gewesen.“

„Laß mich in Ruh’!“ brummte Henning.

„Da solltest den Buben doch laufen lassen!“

„Was geht der Bub mich an! Ich hab’ seiner Mutter ...“ Ein tobender Windstoß erstickte die folgenden Worte. Henning und Sindel traten in die Herrenstube, in welcher ihre Brüder schon um den Tisch saßen.

„Jetzt sind wir all’ da, Vater!“ sagte Hartwig. „Aber wo ist denn die Schwester?“

„Gut, daß sie fort ist. Sie braucht nicht zu hören, was ich mit Euch zu reden hab’.“ Herr Waze trat an den Tisch und stemmte die Fäuste auf. „Wißt Ihr schon die neueste Botschaft?“

„Heraus damit!“ lachte Rimiger.

„Wart’ nur, gleich wirst nimmer lachen. Wir haben Gäst’ im Gadem. Die Schermäus’ sind gekommen. Draußen beim Goldenbach, unterm Lokistein, haben sie die Zelt’ geschlagen.“

Um den Tisch war lautlose Stille, nur einen Augenblick, dann sprang Henning auf, und sein Faustschlag dröhnte auf der Tischplatte. „Mein Roß her! Das giebt noch eine lustige Hatz auf die Nacht! Die Kutten sollen mir laufen, daß der Wind, der draußen wettert, zurückbleibt hinter ihnen!“

Die Brüder sprangen auf, die Stühle kollerten und wirres Geschrei erfüllte die Stube. Hennings Wort hatte die Meinung aller getroffen. Wie die Wespen aus einem Nest, in das der Fuchs gegriffen, so stoben sie auseinander.

„Ihr Narren! So bleibt doch!“ überschrie Herr Waze den Lärm. Ringsum an den Thüren blieben sie stehen und schauten den Vater an. „Her wieder an den Tisch!“

„Vater! Was soll denn das?“ rief Rimiger. „Willst gar Du uns die Händ’ binden, wo doch der Schlag am besten ausgiebt, wenn er gleich fallt?“

„Her an den Tisch!“ befahl Herr Waze, und seine Stirne wurde rot. Zögernd kamen sie und nahmen ihre Plätze wieder ein.

„Und jetzt haltet die Mäuler! Keiner soll mir dazwischen reden!“ Herr Waze atmete tief und warf sich auf einen Stuhl. „Gekommen sind sie – und fort müssen sie auch wieder. Aber wie? Mit Gewalt geht’s nicht, das hab’ ich mir lang gesagt. Sie haben die Kutten an, und wer hinrührt an den schwarzen Rock, der könnt’ sich bös die Händ’ verbrennen. Das Mittel, das Euch taugen möcht’, wär’ von allen das schlechteste. Schlagt die Viere nieder, und zehne wachsen nach ... schlagt die Zehne nieder, und zwanzig stehen auf. Nein, Buben, mit dem Schlagen und Jagen geht’s nicht ... von selber müssen sie wieder gehen.“

„Wenn sie nur mögen!“ lachte Henning.

„Daß sie mögen. das laß Du meine Sorg’ sein! Ich hab’ zwei gute Helfer: Hunger und Winter. Euch aber brauch’ ich auch dabei. Und so hat’s von morgen an ein End’ mit dem Gejaid einen Tag um den andern. Drei von Euch mögen hetzen und jagen wie allweil ... aber viere bleiben all’ Tag daheim. Henning, Sindel, Rimiger und Hartwig. Ihr macht für morgen den Anfang. Vor Tag wird gesattelt und Ihr reitet hinaus ...“ Zwei Mägde traten ein, um den Tisch für das Nachtmahl zu bestellen. Herr Waze verstummte und gab seinen Söhnen einen Wink, zu schweigen. Er trat unter die offene Thür der Vorhalle und blickte hinaus in das Stürmen und Toben der sinkenden Nacht. „Henning!“ rief er und ging langsam in die Vorhalle. Der Aelteste folgte ihm. „Was willst, Vater?“

„Was meinst wohl, wer wird der Erste sein, der’s mit denen da draußen hält?“

„Gieb nur acht, Vater ... ich leg’ meine Hand dafür ins Feuer: der Fischer!“

Herr Waze nickte schweigend.

„Hast am End’ schon einen Beweis dafür?“ fuhr Henning fort.

„Ich hab’ geredet mit ihm. Und wie ich ihn gefragt hab’: willst zu mir halten oder nicht, da ist er gestanden wie ein Stock.“

Henning lachte. „Das ist der Dank dafür, daß Du alleweil die Hand über ihn gehalten hast!“

„Damit hat’s ein End’!“ sagte Herr Waze und wollte die Vorhalle verlassen. Aber Henning faßte ihn am Arm. „Vater! Wie soll das gemeint sein?“

„Wenn Du’s nicht verstanden hast, so horch ein andermal besser auf!“ Herr Waze löste seinen Arm und trat in die Stube. Henning aber stand und blickte durch die rauschenden Bäume hinunter auf das vom Sturm umtobte Fischerhaus. Er lachte und hob die geballte Faust.

Ein greller Blitz zuckte über die Wolken hin, und dumpfer Donner füllte das weite Bergthal.

(Fortsetzung folgt.)




Auf vulkanischem Boden.
Zeitbilder aus Sicilien von Woldemar Kaden.
1.

Jede Insel, mag sie Korsika oder Irland, Rügen oder Capri heißen, bildet eine kleine eigenartige Welt für sich.

Sicilien erschien schon den an so viele Weltwunder gewöhnten alten Römern als eine ganz absonderliche Wunderwelt. Trotz ihrer protzigen Selbstherrlichkeit staunten sie die Naturerscheinungen des Landes an, besuchten es seines von dem des Festlandes so verschiedenen milden frühlinghaften Winters wegen, priesen die Schönheit und antike Berühmtheit seiner Städte. Jeder einigermaßen anständige römische Tourist mußte Sicilien besucht haben; noch heute ist es der Endpunkt der Reise unserer Italienfahrer.

Und noch heute ist ja die Sonne Siciliens eine andere als die der sonnigsten Striche des Festlandes, der Boden ist anders in seiner Gestaltung, die Vegetation mächtiger als selbst die Neapels, fast tropisch.

Auf Sicilien ist des Sommers lichtglänzendes, fruchtprangendes Reich, der Winter eilt flüchtigen Fußes über den Aetna hin, nur an den äußersten Hängen seine Stapfen mit Schnee füllend. In den immergrünen Thälern blühen die Rosen ohn’ Unterlaß und neben den Rosen reift der feurige Wein, auf den breiten Feldern die goldene Halmfrucht. Orangen, Citronen haben hier ihre eigentliche Heimat, und das Land trieft von Milch, Honig und Oel. Wo Wasser fließen, baut der fleißige Insulaner seine Baumwolle, Mais, Reis und Zuckerrohr. Auf den meilenbreiten hügeligen Weidestrichen des Innern gehen stattliche Pferdeherden, weiden Hunderttausende von Rindern, Ziegen und Schafen, während ein kühnes Fischer- und Schiffervolk den Strand und die Welle mit seinen Barken und Segeln belebt. Der vielbegehrte Thun- und Schwertfisch, die in alle Welt versandte Sardelle sind ihre Beute, wie sie in ihren Netzen auch die purpurnen Schätze der Korallen zu Tage fördern. Die Brüder daheim wühlen in Schächten und Gängen nach dem „Golde Siciliens“, dem kostbaren Schwefel, die Frauen und Mädchen betreiben mit Fleiß und Geduld die Zucht des Seidenwurms und haspeln die schimmernden Fäden.

Schöne, vornehme, durch eine bedeutsame geschichtliche Vergangenheit ausgezeichnete Städte, Palermo, Messina, Catania, Syrakus, Girgenti, bilden einen Kranz um die Küsten. Zwischen dem Neuesten, Modernsten malerische Reste altgriechischer, maurischer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_074.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)