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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Aschermittwoch.

Aus allen Häusern, welch ein Klingen
Durch Wochen schon, tagaus, tagein –
Ein Rufen, Lachen, Jubeln, Singen,
Musik und Tanz für groß und klein!

Vergessen schienen Not und Plagen,
Womit die Menschheit täglich ringt!
Die Freude herrscht – wer wollte wagen
Zu stören, wenn sie lockend winkt!

Und huldvoll lächeln schöne Frauen
Und nippen am Champagnerglas,
Aus Maskenhüllen blitzend schauen
Die Augen in das goldne Naß.

In wildem Tanze sie sich schwingen
Bei Pauken- und Trompetenschall;
In hellem Ton die Gläser klingen:
„Hoch Amor! Hoch Prinz Karneval!“

So ging die Lust, bis früh am Morgen
Die fahle Dämmerung zog herauf,
Mit seiner Arbeit, seinen Sorgen
Ein neuer Tag begann den Lauf.

Was aber seh’ ich heute wallen?
Was zieht so grau die Straße her?
Die Maske will mir nicht gefallen –
Die Züge alt und freudeleer!

Ja, seh’ ich recht, daß Kater schleichen
Der Alten nach mit leisem Tritt,
Um wie ein Spuk scheu zu entweichen
Bei eines Menschen festem Schritt?

Sie huschen hin auf leisen Sohlen,
Gespenstern gleich im Dämmerschein,
Sie gleiten lautlos und verstohlen
Mit jedem in das Haus hinein.

Vorüberschleicht mit den Genossen
Die graue Alte; ihr Gewand –
Schon ist’s im Nebel grau zerflossen:
Der Aschermittwoch zog ins Land!

Thea Mundt-Mühlbach.     




Die Perle.
Roman von Marie Bernhard.
(5. Fortsetzung.)


Als Doßberg bei den in seinem Arbeitszimmer weilenden Herren eintrat, erhob sich der Landrat aus seiner bequemen Stellung und ging dem Eintretenden mit ausgestreckter Hand entgegen. „Hab’ es mir in Ihrem famosen Faulenzer ’n bißchen gemütlich gemacht, lieber Doßberg! Servus, Servus, Freundchen! Bin wie gerädert noch von gestern – scharfe Sitzung im ‚Landsknecht‘ bis um drei Uhr, nichts mehr für unsereinen! Erlaube mir, vorzustellen: Chevalier de Montrose – Baron Doßberg, hoffe, die Herren werden in nähere Beziehung treten!“

Es sah nicht danach aus. Doßberg warf einen raschen angstvollen Blick auf den Fremden, der gekommen war, ihm seine „Perle“ zu nehmen, und verneigte sich frostig; der andere grüßte höflich zurück und blieb stehen, wo er stand, ganz kühle Zurückhaltung.

Justizrat Sorau fühlte sich nun verpflichtet, einzugreifen. „Wär’ es den Herren recht, sofort zu den notwendigen geschäftlichen Verhandlungen zu schreiten? Unser lieber Landrat und ich, Herr von Doßberg, sind bemüht gewesen, Herrn von Montrose einen möglichst klaren Ueberblick über die vorliegenden Verhältnisse zu gewähren; daß dieser aber aus eigener Anschauung zu prüfen und zu entscheiden gedenkt, versteht sich wohl von selbst. Es handelt sich also darum, ob wir zunächst eine Einsicht in die Bücher nehmen oder die Rundfahrt um die Besitzung antreten sollen.“

In Doßbergs Gesicht zuckte und arbeitete es. Er setzte zweimal an, um seiner Stimme Festigkeit zu geben und die wenigen Worte hervorzubringen: „Ich stehe den Herren ganz nach deren Belieben zu Diensten!“

Der Landrat räusperte sich und sah ihn mitleidig von der Seite an. „Armer Kerl!“ dachte er für sich, und seine kleinen gutmütigen Augen zwinkerten hastig. „Fahren wir zuerst?“ schlug er vor und wandte sich an Herrn von Montrose.

„Ja, ich möchte dafür stimmen.“ Montrose wandte sich bei diesen Worten mit einer höflichen Gebärde an alle drei Herren.

„Gut denn, fahren wir! Doßberg, haben Sie das Anspannen bestellt?“

„Gewiß, Philipp kann jeden Augenblick vorfahren.“

„Aber ohne ’ne kleine Herzstärkung geh’ ich keinen Schritt!“ rief der joviale Landrat. Teufel auch! Sie waren alle wie die Oelgötzen, man mußte wenigstens versuchen, etwas „Leben in die Bude zu bringen“! Er ging mit langen Schritten auf einen kleinen geschnitzten Schrank in der Tiefe des Zimmers zu. „Da haben wir ja meinen lieben alten Freund, den braven Liqueurschrank! Haben schon manch vertrauliches Wort miteinander geschwatzt, er und ich, das können mir die Herren dreist glauben!“ Er öffnete die Thür und hielt ein paar Flaschen mit Kennermiene gegen das Licht. „Na, da ist noch mancher liebliche Tropfen! Prosit, meine Herren!“

Er führte sich ein Gläschen Cognac zu Gemüt und setzte eifrig für die übrigen Herren Gläser zurecht. Doch nur der Justizrat that ihm Bescheid. Doßberg schüttelte stumm den Kopf und Montrose lehnte höflich ab.

Draußen war inzwischen der Jagdwagen vorgefahren. Der Landrat ließ Montrose und Sorau vorausgehen und hielt den Baron in der Thür beim Aermel fest. „Nehmen Sie sich ein bißchen zusammen!“ flüsterte er hastig. „Harter Bissen für Sie, ich geb’s zu, aber ’s hilft doch nun ’mal nichts! Der ganze Kerl ist kalt wie ’ne Hundeschnauze, hat aber schwer Geld, das kann ich Ihnen sagen – also machen Sie ’nen schönen Preis und zapfen Sie ihn tüchtig an; viel von der Landwirtschaft soll er ohnehin nicht verstehen. Kopf hoch, und machen wir, daß bei der ganzen Geschichte wenigstens ’was Vernünftiges herauskommt!“

Doßberg nickte nur, ohne zu antworten. Sein schwerer dunkler Blick ging wie abwesend an dem Sprecher vorbei, so daß es zweifelhaft blieb, ob er diesen überhaupt verstanden hatte. Der Landrat schüttelte unmutig den Kopf und nahm seinen Sitz im Wagen ein. Sein scharfes Auge flog musternd über die Fensterreihen des alten Schlosses – er hätte gern als zweite „Herzstärkung“ irgendwo die schöne Ilse erspäht. „Hat sich was – es regt sich keine Gardine!“ murmelte er enttäuscht in sich hinein.

Die Fahrt verlief schweigsam. Notgedrungen machte Doßberg hier und da den Erklärer – man stieg aus, ging ein Stück Weges zu Fuß, besichtigte Scheunen und Ställe, stieg wieder in den Wagen, fuhr durch den Wald, hier und da langsamer, um das aufgestapelte Holz, das zum Verkauf kommen sollte, die jungen Schonungen und Anpflanzungen zu prüfen. Man musterte die Felder, fuhr am Waldrand und an den Wiesen entlang, kam zu den Vorwerken Belten und Gnadenstein, die früher zu „Perle“ gehört, jetzt aber abgelöst waren. Jedes Wort, das Doßberg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_096.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)