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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Blätter und Blüten.

Winters Abschied. (Zu dem Bilde S. 193.) Winters Abschied, Frühlings Erwachen – das ist die Zeit, wo die Dichter, in Busch und Schilf versteckt, wehende Nixenschleier schauen und neugierig der philosophischen Zwiesprache lauschen, die da und dort ein sinniges Kollegium von Störchen hält, während auf der letzten Eisscholle der Winter davonsegelt, wo die Maler, wie unser Bild unwiderleglich beweist, das alles den Dichtern getreulich nachmachen. Ja, das ist die Zeit, wo am Ende auch ein gewöhnlicher Sterblicher, der weder malen noch dichten kann, von höherem Drang erfaßt, wenn er am sonnigen Rain die erste Blume sprossen sieht, mit dem Dichter ruft:

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag!“



Die Ankunft der Aebtissin Irmingard auf Frauenchiemsee im Jahre 894. (Zu dem Bilde S. 184 u. 185.) Sollte man es denken, daß die Frau, die hier hochaufgerichtet in dem schwanken Kahne steht, eine Verbannte ist? Und doch ist dem so. Die Irmingard, die hier hinüberfährt nach dem Kloster Frauenchiemsee, war eine Tochter König Ludwigs des Deutschen und eine Enkelin Karls des Großen. Hildegard hatte sie geheißen, ehe sie im Jahre 894 wegen des Verdachtes, Mitwisserin zu sein bei einer Verschwörung gegen König Arnulf, von diesem nach dem fernen bayerischen Kloster verwiesen wurde. Es war eine Verbannung, aber eine Verbannung mit königlichen Ehren. Als gebietende Aebtissin zog sie ein, geleitet von reisigem Kriegsvolk, von Geistlichen, Mönchen und Nonnen, empfangen mit feierlichem Pompe, und die Aebtissinnen von Frauenchiemsee schrieben von ihr das Recht her, eine Krone zu tragen. Sechs Jahre lang bekleidete sie ihre Würde; dann starb sie, und es ward ihr erspart, die Zerstörung zu erleben, welche bald darauf die wilden Hunnenscharen über Frauenchiemsee brachten. Mehr als siebenhundert Jahre nach ihrem Tode (1631) wurde der Marmorsarkophag mit den irdischen Ueberresten Irmingards ausgegraben und in der den zwölf Aposteln geweihten Kapelle der Kirche von Frauenchiemsee beigesetzt, wo ihm noch heute hohe Verehrung zu teil wird; denn die Kirche hat später die verbannte Königstochter heilig gesprochen.

Das Bild vön Karl Raupp zeigt uns die Ueberfahrt des Zuges nach dem Kloster, das schön und stattlich emporragt über den von Frühlingsstürmen erregten Chiemsee. Irmingards Schiff, ein mächtiger Einbaum, ist mit Decken und Tüchern geschmückt; neben der neuen Aebtissin sitzt die seitherige Oberin des Klosters, in dem geharnischten Kriegsmann dürfen wir den Vertreter König Arnulfs und Befehlshaber der gewaffneten Begleitmannschaft erblicken. Der Geistliche, der diesem gegenüber sitzt, ist der Beichtvater des Klosters; seine Hand zeigt hinüber nach dem Eiland, nach dem festlichen Gepränge am Ufer, wo der Bischof von Herrenchiemsee mit seinen Chorherren die Nahende erwartet, und Irmingard hat sich gespannt von ihrem kunstreich geschnitzten Armstuhl erhoben, hinüberzuschauen nach dem kleinen Reiche, das sie künftig beherrschen soll. Ein Sonnenstrahl bricht durch das dunkle Gewölk und gießt blinkende Lichter über Dächer und Mauern des Klosters, als wollte er der Verbannten Einzug mit einem freundlichen Scheine verklären.

Verbrennen des Haus- und Straßenkehrichts. Die Fortschaffung des Mülls oder der Abfälle der Hauswirtschaft und des Straßenkehrichts bildet eine der wichtigsten Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege. Die Mittel, die bis in die neueste Zeit zur Beseitigung dieser faulenden, den Grund und Boden verpestenden Massen angewendet werden, sind im allgemeinen kostspielig und mangelhaft. Nur eins hat sich vorteilhaft gezeigt: es ist die Verbrennung, die sich in englischen Städten eingebürgert hat. In eigens eingerichteten Oefen wird der Schmutz und Abfall verbrannt, also gründlich vernichtet, soweit er dem Menschen schädlich werden kann. Aus der Asche des Mülls aber zieht man verschiedenartigen Nutzen; sie ist ein ausgezeichnetes, höchst gesundes Material zum Füllen der Fehlböden bei Neubauten, man formt aus ihr ausgezeichnete Steine, die zum Pflastern der Straßen und Bauen von Häusern verwendet werden, und die Hitze, welche das im Feuer aufgehende Müll liefert, wird als Kraftquelle zur Erzeugung von Dampf benutzt.

In einigen Städten erzeugen die Verbrennungsanstalten riesige Kraftmengen, welche, in Elektricität umgewandelt, zur Straßenbeleuchtung dienen. Diese Art der Müllbeseitignng hat also ihre Feuerprobe bestanden. Im Jahre 1876 wurde in England das Müll nur in einigen wenigen Städten in 14 Oefen verbrannt. Im Herbst des Jahres 1893 waren aber in 55 englischen Städten mit zusammen rund 7 Millionen Einwohnern 570 solcher Oefen in Thätigkeit. Das Verfahren wird in nächster Zukunft auch auf dem europäischen Festlande zur Anwendung kommen; neuerdings hat Berlin 6 Oefen bauen lassen, welche wöchentlich etwa 200 Tonnen Müll verbrennen können. *      

Für die vernachlässigten Kanarienvögel. Im Laufe der Zeit ist der Kanarienvogel zu einem Kultur- oder Stubenvogel im vollsten Sinne des Wortes geworden. Unter der sorgsamen Pflege der Menschen hat der unscheinbare Wildling eine Ausbildung nach verschiedenen Richtungen hin erfahren. Die Engländer erzielen mehr oder weniger rot gefärbte Vögel, indem sie dieselben mit Cayennepfeffer füttern. Im Westen von Europa züchteten die Liebhaber Vögel, die sich durch eine besondere, teils schöne, teils mehr sonderbare Gestalt auszeichneten und die wir heute unter dem Namen „Holländer Kanarien“ zusammenfassen. Deutsche Gebirgsbewohner, zuerst die Tiroler und dann die Bergleute im Harz, wandten dagegen ihre Aufmerksamkeit der Ausbildung des Gesanges zu, und namentlich den Harzern ist es gelungen, ausgezeichnete Edelsänger großzuziehen. Von diesen drei Richtungen der veredelten Kanarienzucht hat die letzte sicher den größten Anklang gefunden und es steht ihr noch eine größere Zukunft bevor, da durch die Vogelschutzgesetze verschiedener Länder der Fang einheimischer gefiederter Sänger erschwert wird. Außerdem bildet der Kanarienvogel in der gewöhnlichen Landrasse den Lieblingsvogel weitester Kreise, die auf die höheren Künste der Kanarienzucht nicht eingehen mögen und sich mit einem munteren fröhlichen Singvogel als Hausgenossen begnügen.

Lange Zeit ließ aber die Pflege des Kanarienvogels sehr viel zu wünschen übrig. Die Erfahrungen der älteren Züchter blieben nur der nächsten Umgebung bekannt, denn niemand dachte daran, dieselben niederzuschreiben und dadurch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Der Altmeister Lenz war der erste, der in seiner in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts erschienenen Naturgeschichte der Vögel eine eingehendere Schilderung der Zucht der Harzer Kanarien gegeben hat. Das Eis war gebrochen; es regten sich viele Federn für den Kanarienvogel; eine Fachlitteratur entstand, aus welcher als Musterwerke die Bücher „Der Kanarienvogel“ von Dr. Karl Ruß und „Der Kanarienvogel“ von W. Böcker hervorzuheben sind; es bildeten sich auch Vereine, welche die Wohlfahrt der gelben Hausgenossen sich zum Gegenstand ihrer Sorge nahmen; kurz, die Pflege und Zucht des Fremdlings in Deutschland gestaltete sich immer vollkommener.

Trotzdem ist heute noch das Los zahlloser Vöglein ein bemitleidenswertes. Viele Besitzer, welche der berufsmäßigen Zucht fern stehen, kennen nicht die Bedürfnisse der Tierchen, verpflegen sie falsch und bereiten so ihren Lieblingen aus Unwissenheit ein vorzeitiges und oft qualvolles Ende. Dagegen giebt es nur ein Mittel: wiederholte Selbstbelehrung durch Lektüre zweckmäßig geschriebener Bücher. Wir möchten nun die Besitzer von Kanarienvögeln darauf aufmerksam machen, daß diese Belehrung sehr leicht und für sehr wenig Geld zu erlangen ist. In der bekannten Universalbibliothek von Philipp Reclam ist ein Bändchen „Anleitung zur Pflege, Behandlung und Zucht des Kanarienvogels in allen seinen Rassen“ von Friedrich Arnold erschienen. Der Unerfahrene kann aus demselben das Wissenswürdigste entnehmtn und auch sonst vielfache Anregung sich holen; denn das Büchlein ist nicht nur belehrend, sondern auch unterhaltend geschrieben, so daß es den Leser durchaus nicht ermüdet. Wir glauben, daß diese billige und doch gediegene Anleitung vieles zur Verbesserung des Loses vernachlässigter Kanarienvögel beitragen wird. C. F.     


KLEINER BRIEFKASTEN.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Alter Abonnent in Riga. Sie thun uns unrecht! Die Orthographie, welche Sie seit Beginn dieses Jahrgangs in der „Gartenlaube“ durchgeführt finden, ist die seit einer Reihe von Jahren in den meisten deutschen Staaten und seit neuestem auch in der deutschen Schweiz zu Recht bestehende. Hat uns die Rücksicht auf die alten Leser längere Zeit zurückgehalten, uns dieser, wie Sie sagen, „neumodischen“ Orthographie vollständig anzuschließen, so trat dem mit der zunehmenden Gültigkeitsdauer der neuen amtlichen Regeln neben rein praktischen Gründen die Rücksicht auf das heranwachsende Geschlecht gleichwertig und schließlich überwiegend gegenüber. Es bleibt uns also nur die Hoffnung übrig, daß auch Sie sich in einiger Zeit „umgewöhnt“ haben werden, wie wir selbst uns dieser Aufgabe unterziehen mußten.


Inhalt: Lenz. Gedicht von Richard Zoozmann. Mit Bild. S. 181. – Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (11. Fortsetzung). S. 182. – Ankunft der Aebtlissin Irmingard auf Frauenchiemsee im Jahre 894. Bild. S. 184 und 185. – Die Eierspiele der Osterzeit. Von Alexander Tille. S. 188. Mit Abbildungen S. 188 und 189. – Die Perle. Roman von Marie Bernhard (11. Fortsetzung). S. 189. – Die Rolle des Staubes in der Natur. Von Dr. P. Lenard. S 192. – Winters Abschied. Bild. S. 193. – Onkel Karls Verlobung. Humoreske von Hans Arnold. S. 195. Mit Abbildungen S. 195, 196, 197, 198 und 199. – Blätter und Blüten: Winters Abschied. S 200. (Zu dem Bilde S. 193.) – Ankunft der Aebtissin Irmingard auf Frauenchiemsee im Jahre 894. S. 200. (Zu dem Bilde S. 184 und 185.) – Verbrennen des Haus- und Straßenkehrichts. S. 200. – Für die vernachlässigten Kanarienvögel. S. 200. – Kleiner Briefkasten. S. 200.


Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgnags der Gartenlaube; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 75 Pf. bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.

Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefert auf Verlangen gegen Einsendung von 30 Pfennig in Briefmarken direkt franko die Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.     


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_200.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2023)