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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Die drei saßen einsilbig bei einander und thaten dem vortrefflichen Gabelfrühstück, das vor ihnen stand wenig Ehre an. Clémence ließ die Damen des gestrigen Festes Revue passieren und übte eine wenig wohlwollende Kritik an deren Toilette und Erscheinung, Georges lehnte mit halbgeschlossenen Augen in einem tiefen Sessel, klopfte taktmäßig mit einem silbernen Messerchen auf die Stuhllehne und pfiff leise dazu, und Botho schnitzelte gedankenlos an einem Kork herum, mit seinen Gedanken offenbar weitab von den Auseinandersetzungen seiner Braut. Die schweren graublauen Sammetvorhänge an den Fenstern waren halb zugezogen, die helle Wintersonne und der leuchtend weiße Schnee blendeten den Blick.

„Aber jetzt endlich ’mal genug von Kleidern und solchem Firlefanz!“ unterbrach zuletzt Georges sein Pfeifen und warf das silberne Messer auf den Tisch. „Ist Dir gestern sonst nichts aufgefallen, Clémence? Und Dir, Botho?“

Clémence rückte unbehaglich ihren Sessel weiter zurück, ein aufdringlicher Sonnenstrahl hatte sie getroffen. „Ach, meinst Du Papa?“ fragte sie verdrossen.

„Natürlich mein’ ich ihn! Ist’s nicht toll, wie er sich gestern benommen hat?“

„Ich sagte Dir’s immer: er steckt voll übertriebener Rücksichten und mittelalterlicher Galanterien diesen Doßbergs gegenüber, er geht in seinem sogenannten Takt- und Zartgefühl so weit –“

„Aber das war gestern ja tausendmal mehr als Rücksicht und Zartgefühl und derartiges Zeug!“ fuhr Georges aufgeregt dazwischen. „Offenbare Courmacherei war’s, ich hab’s mit diesen meinen Augen gesehen, und ich kenn’ mich aus in dergleichen! Ich sag’ Euch, die Geschichte wird noch ein ganz ernsthaftes Gesicht bekommen, denkt an mein Wort! Papa sah diese Ilse mit ganz unverhüllten Liebhaberblicken an – sie ist freilich ein Juwel, diese süße Ilse, war entschieden die Krone der ganzen gestern hier versammelten Weiblichkeit … thu’ mir die Liebe an und widersprich mir hierin nicht, Clémence, Du blamierst Dich einfach, wenn Du mir nicht recht giebst! Aber, aber – sie am Ende zur Stiefmutter zu bekommen –“

„Georges!“ Die Verlobten stießen gleichzeitig denselben entrüsteten Ruf aus.

„Ja, schreit nur! Das ändert an der ganzen Geschichte kein Jota. Mir ist nie im Leben der Einfall gekommen, unser verehrlicher Herr Papa könnte jemals eine zweite Ehe schließen, der Gedanke erschien mir ebenso ungeheuerlich wie der, ich selbst könnte mich verheiraten – aber jetzt liegen ganz schwerwiegende Anzeichen vor, und wir müssen uns auf alles gefaßt machen. Was ziehst Du für’n Gesicht, Clémence, an was denkst Du?“

„An die Blumen, die ich neulich bei ihr sah, als ich sie einladen mußte – unser halbes Treibhaus hat er ihr hinübergeschickt.“

„Siehst Du!“

„Aber nein, Georges, nein – es ist nicht möglich, Du mußt Dich irren! Wenn ich denke, diese elende Person sollte berechnend genug sein –“

„Halt, meine Teure, erlaub’ ’mal, daß ich die ‚elende Person‘ ein wenig in meinen Schutz nehme, und mäßige Deine Zunge! Ich glaube nicht, daß sie ihre Netze nach einem so bejahrten Freier auswirft, sie ist überhaupt leider nicht die Spur kokett. Ich hab’ schon denken müssen, ob diese süße Ilse nicht am Ende irgendwo in aller Stille ein festes Verhältnis angebandelt hat, sie hat oft so eine eigene sichere Art, nette Leute, die sich ihr in der angenehmsten Absicht nähern, ohne weiteres abfallen zu lassen. Nein, wie sie gestern unsern unternehmungslustigen Herrn Vater anstarrte, das hatte so ’was vom Vogel mit der Klapperschlange … entschuldiget das abgedroschene Gleichnis, mir will kein anderes bekommen, der Schädel brummt mir wie verrückt. Wenn nun aber freilich die Klapperschlange Ernst macht, dann glaub’ ich allerdings, daß der schöne scheue Vogel klug genug sein wird, sich in den goldenen Käfig sperren zu lassen, und das –“

„Das darf nicht sein!“

„Georges, das kann nicht geschehen!“

„Das möchte ich allerdings mit allen Mitteln, die mir zu Gebot stehen, verhindern, nur daß leider mir die Mittel fehlen und er sie hat!“

Clémence war erregt aufgesprungen. „Wie Du in solcher Lage noch den Mut zu schlechten Witzen haben kannst! Wenn Du nicht im Irrtum bist, was ich immer noch hoffe –“

„Bin ich nicht, liebes Kind, bin ich nicht! Verlaß Du Dich fest darauf!“

„Dann müssen wir drei uns zusammenthun, müssen Front machen gegen diesen abenteuerlichen Gedanken! Das können wir nicht dulden!“

„Sehr schön, liebe Clémence, sehr heroisch gesprochen! Erlaube mir nur, zu fragen: mit welchem Recht dürfen wir es nicht dulden?“

Sie trat zornig mit dem Fuß auf. „Also bist Du gesonnen, es zu leiden?“ In Georges von Montroses spöttische Augen trat ein Ausdruck kalter Entschlossenheit. „Nein!“ sagte er hart. „Ich bin nicht gewillt, irgend etwas zu ‚leiden‘, ich hasse das Wort, es hat nichts mit einem Menschen wie ich zu thun. Ich werde, da kannst Du ruhig sein, alles aufbieten, damit diese Verrücktheit nicht zustande komme. Ich werde, wenn mir der Zeitpunkt dafür geeignet erscheint, mit unserem Herrn Papa reden, werde mir erlauben, ihm das Lächerliche dieses Schrittes, seine Pflichten gegen uns wie gegen sich selbst vor Augen zu führen und wenn … was wollen Sie, Merwig?“

Merwig, Herrn von Montroses langjähriger Kammerdiener, ein ältlicher schweigsamer Mann von zuverlässiger Treue und musterhaften Manieren, war nach bescheidenem Anklopfen eingetreten und blieb nun knapp neben der geöffneten Thür stehen.

„Erlaube mir, den Herrschaften ergebenst im Auftrag des gnädigen Herrn zu melden, daß Frau Baronin von Doßberg gestern abend verschieden ist. Der gnädige Herr beabsichtigt, sich in einer halben Stunde zur Beileidsbezeigung hinüberzubegeben, und ersucht das gnädige Fräulein, die Toilette zu wechseln und ihn auf seinem Gange zu begleiten.“

Die drei sahen einander verständnisvoll an.

„Es ist gut, Merwig, sagen Sie meinem Vater, ich werde mich bereit halten!“ erwiderte Clémence.

Georges wartete, bis der Kammerdiener das Zimmer verlassen hatte. „Jetzt dürfte der Zeitpunkt nicht geeignet sein,“ sagte er mit seinem kalten Lächeln, „wir müssen die angenehme Auseinandersetzung etwas hinausschieben!“ (Fortsetzung folgt.)



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Die Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland.

Von R. Artaria.

Von Zeit zu Zeit erlebt es die Gesellschaft immer wieder, daß ein neuer Gedanke plötzlich an vielen Orten zugleich auftaucht und die Geister bewegt. Man pflegt dann zu sagen: „Er liegt in der Luft!“ und denkt nicht daran, daß ein sehr realer Untergrund von Thatsachen, Zu- und Uebelständen die Wurzel dieses Gedankens ernährte. Lange ehe er in das allgemeine Bewußtsein fällt, haben sich aber einzelne klarsehende Köpfe mit jenen Zuständen beschäftigt und die „Frage“ formuliert, zur Entrüstung oder zum Gelächter ihrer Zeitgenossen, bis dann nach ein paar Jahrzehnten das Kommende zum Gegenwärtigen geworden und als solches auch dem kurzsichtigen Auge erkennbar ist.

Genau so ging es auch mit der „Frauenfrage“. Die ersten Vertreterinnen der „Emancipation“ mußten sich als überspannte Schwärmerinnen verlachen lassen, und heute hat sich aus dem gewaltigen Umschwung der Zeiten, aus veränderten Erwerbsverhältnissen, aus gesteigerten Anforderungen an Bildung und Charakter eine sehr ernste Frauenbewegung mit sehr bemerkenswerten Erfolgen entwickelt, welche mit den alten Schlagworten durchaus nicht mehr abzuthun ist. Die Not- und Brotfrage klopft vernehmlich an die vielen Thüren des Mittelstandes, wo einige unversorgte Töchter ohne Kenntnisse und Erwerbsfähigkeit einer ungewissen Zukunft entgegenharren; die Bildungsfrage sowohl im Sinne einer vertieften und veredelten Geisteskultur für die künftigen Mütter des nachwachsenden Geschlechts, als im Sinne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_256.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)