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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Freier zu warnen – sie ließ sich blindlings von ihrer Leidenschaft beherrschen und trat dem Vater schon nach kürzester Frist mit der Thatsache der vollzogenen Verlobung entgegen. Wohl oder übel mußte sich Montrose nun fügen, wollte er nicht einen Skandal entfesseln; er hörte aber darum nicht auf, den künftigen Schwiegersohn mit Abneigung und Mißtrauen zu betrachten.

„Sie werden es mir nicht verargen“ begann Botho jetzt, Montroses einladende Handbewegung zum Niedersetzen mit einer Verbeugung ablehnend, „wenn ich unter den obwaltenden Umständen ganz offen zu Ihnen spreche. Als ich mich um die Hand Ihrer Tochter bewarb, war ich der festen Ueberzeugung, neben Georges in ihr die alleinige Erbin Ihres Vermögens zu sehen; als mittelloser Offizier, nicht zum besten in meinen Besitzverhältnissen arrangiert, sah ich mich genötigt, auch die materielle Seite meiner ehelichen Verbindung ins Auge zu fassen. Die Möglichkeit einer neuen Heirat Ihrerseits ist mir, offen gestanden, nicht einen Augenblick in den Sinn gekommen.“

„Das will ich Ihnen glauben. Diese Möglichkeit lag damals auch ganz fern.“

„Sie werden mir zugeben müssen, daß dieser Plan den Dingen eine ganz andere Wendung giebt.“

„Kaum. Clemence ist die berechtigte Erbin ihres mütterlichen Vermögens. Alles Uebrige freilich bleibt einzig und allein meiner freien Entschließung vorbehalten; ich würde mich da nie zu einem bindenden Zugeständnis verpflichten.“

„Wenn Sie indessen zu einer zweiten Vermählung schreiten und andere Erben hinzutreten, so würde eine neue Ordnung der Sache unvermeidlich sein –“

„Im Fall meines Todes, gewiß!“ Herr von Montrose zeigte ein kühles geringschätziges Lächeln. „Doch würden Georges und Clemence selbst ohne die neue Wendung der Dinge, die übrigens noch lange keine vollzogene Thatsache ist, vor unliebsamen Ueberraschungen meinerseits nicht sicher sein. Es könnten jederzeit Umstände eintreten – und nach der Unterredung eben halte ich dies sogar für recht wahrscheinlich – die mich bestimmen, in meinem Testament öffentliche Stiftungen zu bedenken und meinem Sohn wie meiner Tochter nur den Pflichtteil dessen zuzuwenden, was ich mir lediglich durch eigenes Können erworben, über was ich folglich die freie Verfügung habe. Doch ist das mütterliche Erbteil meiner Tochter, sollte ich meinen, ansehnlich genug, auch weitgehenden Ansprüchen zu genügen, und um ihr das, was sie als ihr Glück ansieht, zu erhalten, würde ich ihr die Zinsen des von mir erwähnten Pflichtteils schon jetzt ausfolgen.“ Die letzten Worte kamen Montrose mit sichtlicher Anstrengung über die Lippen, aber er gedachte seines Versprechens von vorhin.

Botho von Jagemann zögerte einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick. Die Eröffnungen Montroses hatten ihn mit unglaublicher Enttäuschung erfüllt. Also selbst im Fall Montrose den verrückten Gedanken einer neuen Ehe aufgab oder aufgeben mußte, standen Georges und Clemence nicht als alleinige Erben da! Er, Botho von Jagemann, sollte sich mit einem Almosen abspeisen lassen, wo er fürstlich zu schwelgen gedacht hatte? Ihn lockte nur der Genuß, und zwar der ungehemmte, schrankenlose, den ihm seine knappen Verhältnisse bisher nur bedingungsweise gestattet hatten – was sollte ihm da ein „wohlhabendes“ Mädchen? Wozu hatte man denn seinen alten Namen, sein schönes elegantes Aeußere, als um einen wirklichen schweren Goldfisch damit zu ködern? In blitzschneller Aufeinanderfolge ging ihm diese Gedankenreihe durch den Kopf, und sein Entschluß war gefaßt.

„Sie haben es selbst vor kaum einer halbeu Stunde betont,“ begann er mit gesenktem Blick, denn Montroses Augen waren ihm unbequem, „daß Clémence sehr verwöhnt ist und bedeutende Ansprüche erhebt. Um derartigen Bedürfnissen genügen zu können und selbst standesgemäß aufzutreten, dazu ist bei den heutigen Verhältnissen ein großes, sehr großes Vermögen erforderlich, und ich fürchte –“

„Sie fürchten, daß ich Ihren Ansprüchen nicht genügen werde, trotzdem ich mich soeben noch bereit erklärte, die – die“ – Montrose suchte einen Augenblick nach einem andern Ausdruck, schleuderte dann aber seinem Gegenüber das erste Wort, das ihm in den Sinn gekommen war, mit verächtlicher Nachdrücklichkeit ins Gesicht – „die Kaufsumme zu erhöhen. Es kostete mich einen Kampf, denn ich finde, ehrlich gesagt, den Preis des Einsatzes nicht wert. Aber Clémence wird sehr unglücklich sein, und ich kann nicht umhin, einiges Mitleid mit ihr zu haben. Ihre Befürchtungen in betreff Ihrer beiderseitigen Ansprüche an mich sind vollauf berechtigt und ich spreche Ihnen meine Genugthuung aus, daß Sie mich noch beizeiten einen Einblick in Ihre Berechnungen gewinnen ließen. Es bleibt für Sie nur noch übrig, mir den Ring, der Sie bis zur Stunde noch an den Gegenstand Ihrer Spekulation knüpft, zurückzugeben – ich werde Sorge tragen, daß Sie heute abend noch im Besitz der Dinge sein sollen, die meine Tochter von Ihnen erhalten hat.“

Der schöne Botho war rot geworden und kniff die Lippen zusammen; als er aber Miene machte, noch etwas zu erwidern, schnitt ihm Herr von Montrose mit einer nachdrücklichen Bewegung das Wort ab. „Bitte, wir sind fertig miteinander – was könnten Sie mir noch zu sagen haben?“ Er nahm von einem nahestehenden Rauchtischchen eine kleine kupferne Schale und stellte sie mit einem ausdrucksvollen Blick vor den Offizier hin. „Bitte!“

Mit zornig funkelnden Augen zog der junge Mann den Ring vom Finger und legte ihn in die Schale. Herr von Montrose nickte bestätigend, dann drückte er so kräftig auf den Knopf der elektrischen Leitung, daß ein schriller Ton allarmierend durchs Haus lief. Merwig trat geräuschlos ein und blieb in wartender Haltung an der Thür stehen.

„Den Jagdschlitten für Herrn von Jagemann zur Bahn!“

Und ohne noch Wort oder Blick an den neben dem Tisch Stehenden zu wenden, ging Montrose an ihm vorüber, zur Thür hinaus, die ihm Merwig mit tiefer Verbeugung offen hielt.

(Fortsetzung folgt.)



BLÄTTER UND BLÜTEN.



Ein erfreulicher Fortschritt der Desinfektion. Es ist bekannt, daß unsere bisherigen Desinfektionsarten nach verschiedenen Richtungen zu wünschen übrig lassen. Lederwaren und Bücher leiden, wenn sie der feuchten Hitze ausgesetzt werden, und während der letzten Choleraepidemie hat sich gezeigt, daß die Desinfektion vielfach der Vernichtung eines Teils des Gepäcks der Reisenden gleichkam. In Kreisen der Chemiker und Hygieiniker war man darum schon lange bestrebt, Mittel zu finden, welche den Anforderungen der Hygieine und der Volkswirtschaft in gleichem Maße gerecht würden, welche an den verschiedenen Gebrauchsgegenständen die Krankheitskeime sicher zerstörten, die Gegenstände selbst aber unbeschädigt ließen.

Was nun Lederwaren, Bücher, Pelze und Kleidungsstücke anbelangt, so ist durch Untersuchungen von Prof. K. B. Lehmann in Würzburg ein derartiges Mittel gefunden worden. Es besteht in einer 40prozentigen Lösung von Formaldehyd, welche unter dem Namen Formalin in den Handel gebracht wird und von der ein Liter gegenwärtig drei Mark sechzig Pfennig kostet. Dieser Stoff verdunstet an der Luft und seine Dämpfe haben eine sehr hohe keimtötende Kraft, greifen dabei aber die Gebrauchsgegenstände wie Leder, Kleidungsstücke, Pelzwaren etc. nicht an.

Im Laboratorium des Professors Lehmann wurden die zu desinfizierenden Gegenstände in Tücher eingewickelt, die man mit Formalin beträufelt hatte, und dann in einer Kiste verschlossen. Es zeigte sich, daß dreißig Gramm Formalin, die etwa elf Pfennig kosten, genügten, um einen Männeranzug in vierundzwanzig Stunden selbst von so widerstandsfähigen Keimen wie die Milzbrandsporen völlig zu befreien. Bücher konnten, ohne beschädigt zu werden, durch Anwendung sehr geringer Mengen Formalins in wenigen Stunden sicher desinfiziert werden. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß wir endlich ein Mittel entdeckt haben, um die Bücher der Leihbibliotheken hinsichtlich der Verschleppung von ansteckenden Krankheiten weniger gefährlich oder vielleicht völlig unschädlich zu machen.

Sehr wichtig ist aber die Anwendung des Formalins zur Desinfektion von Bürsten und Kämmen. Daß durch diese in Friseurläden zahlreiche Haar- und Hautkrankheiten verbreitet werden, ist längst erwiesen. Die Friseure sind nicht geneigt, ihr Handwerkszeug gründlich zu desinfizieren, weil es durch die bekannten Desinsektionsarten angegriffen und beschädigt wird. Professor Lehmann teilt nun mit, daß Bürsten, in Tücher eingewickelt, die mit Formalin beträufelt worden waren, nach vierundzwanzig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_275.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)