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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Zwielicht!“ sagte Rimiger und zuckte die Achsel. „Ob es Tag bedeutet oder Nacht – ich weiß nicht.“

„Red’, daß ich versteh’! Es muß auf eine Frag’ doch Antwort sein! Hast Du den Haunsperger nicht gesprochen?“

„Wohl, Vater! Er hat mich angehört und hat gelacht, aber geredet hat er nicht. Beim Frühmahl hab’ ich sitzen dürfen an der Tafel des Bischofs, und der große Herr ist freundlich zu mir gewesen und bei jeder Anred’ hat er mich seinen ‚guten Sohn‘ geheißen. Für unsere Sach’ aber hat er kein einzig Wort gehabt.“

„Kein einzig Wort?“ wiederholte Herr Waze mit zuckenden Lippen. „Aber ich weiß doch, wie er selbigsmal vor Wut sich verfärbt hat bei der Botschaft, daß Frau Adelheid den Gadem an das Kloster und nicht an seine Kirch’ gegeben hat! Sag’s noch einmal: kein einzig’ Wort?“

„Kein Wort! Aber wie ich schon im Sattel gesessen bin, ist der Haunsperger lachend auf mich zugetreten und hat mir ein Streiflein Pergament gereicht –“ Rimiger zog eine kleine Rolle aus dem Wams hervor – „und dabei hat er gesagt: unser Schalksnarr hat ein neues Lied gesungen, das bring’ Deinem Vater mit meinem Gruß.“

(Fortsetzung folgt.)




Ohne Führer.

Von Heinrich Noé.

Im Thale von Tiers, welches sich östlich von Bozen durch das rotbranne verwitterte Porphyrgestein gegen den „Rosengarten“ hineinzieht, steht die anmutige und bescheidene Herberge „Zur Rose“. Man befindet sich hier an einer der ergreifendsten Stellen des Landes Tirol. Schaut man zu den Fenstern hinaus, so erblickt man nicht nur in nächster Nähe die starren, bleichen Dolomite, sondern erkennt auch fern am westlichen Himmel den Langgrubenferner und die Weißkugel der Oetzthaler Gletscherwelt. Will man die Wirksamkeit dieses Eindrucks noch steigern, so mag man sich daran erinnern, daß vor vielen Jahrtausenden hier blaues Meer flutete, Schaumstreifen umgaben damals runde Riffe, aus der Tiefe empor ästelte sich das Gewirre der Korallen, Polypen strebten gegen die Oberfläche der Salzwellen. Da waren Inseln, wie die „Atolle“ der Südsee, in welche zum Teil von der Flut Sturmlücken eingebrochen waren. Auf Kalkschlamm und glasigen Bruchstücken der Madreporen hingen triefende Algen und hoben und senkten sich mit den Wellen.

Dieses Schaustück boten einmal die nämlichen Dolomite, welche jetzt im Abendglanz wie glühende Kohlen leuchten.

Von der Gesellschaft, welche an einem Sommerabend dort versammelt war, hatten nur wenige – und das waren vorzugsweise die älteren – eine wirkliche Fähigkeit, sich in den Geist zu versenken, der hier weht. Die einen schwiegen, indem sie die Wolkenkronen um den nahen „Rosengarten“ und das ferne Eis betrachteten, die andern aber sprachen von allerlei Muskelkunststücken, so daß man sich in die Vorhalle eines Cirkus hätte versetzt fühlen können. Der eine hatte die Fünffingerspitze bei Schneesturm „gemacht“, der andere allein eine Nebelnacht auf einem Zacken von dreitausend Metern zugebracht und wäre ohne Zweifel später erfroren oder verhungert, wenn sich der Nebel nicht am nächsten Tage verzogen hätte. Die Fünffingerspitze ist gewiß hoch, aber nicht so hoch wie die Höhe, von welcher jene „Fachmänner“ auf mich jämmerlichen Dutzendmenschen und Laien herabgeschaut hätten, wenn ihnen meine Gedanken geoffenbart worden wären. Da wurden Firnschneiden unter den rechten Arm genommen, während die Schuhe nur mit den Spitzen im pulverigen Schnee hafteten und als nächster Stützpunkt nur ein schwarzer Felsfleck von der Größe einer Flintenkugel winkte. Es war sehr interessant! Der nervöse Trieb nach dem Aufsehen Erregenden, der Amerikanismus maßloser Muskelmeierei trat hier als „leib-, geist- und herzstählender Alpinismus“ auf. Was den Geist anbelangt, so mußte dieser allerdings von eigentümlicher Beschaffenheit gewesen sein. Die beschauliche Seite trat nirgends hervor; jedenfalls hatte dieser Geist keine Gelegenheit gefunden, mit dem Geist in der Natur Zwiesprache zu pflegen. Man hörte nur von Runsen, Spalten, Kaminen und Felsröhren, von unendlichen Steinschlägen, von überhängenden Felsplatten, unter welchen man auf dem Bauch hindurchrutschen mußte etc. etc.

Alle diese Dinge waren für mich nichts Neues, und es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, solchem Treiben mit irgend welcher Bemerkung entgegenzutreten. Hier aber konnte ich eine gewisse Bewegung doch nicht überwinden. Mein Blick fiel zufällig auf eine mit dem Zeichen des Edelweißes geschmückte Tafel, welche die Inschrift „Studentenherberge“ trug. Dies bedeutet, daß junge Leute hier zu sehr billigen Preisen verpflegt werden, wodurch es solch jugendlichen Ferienreisenden ermöglicht ist, auch mit einem knapp bestellten Geldbeutel Alpenreisen zu unternehmen. Jeder Menschenfreund wird sich darüber freuen. Allein durch eine Gedankenverbindung, die sich in mir in dem Augenblick regte, wo das metallene Edelweiß blutrot in den letzten Strahlen der Abendsonne glänzte, wurde mir ein anderes Bild vorgeführt. Kaum einige Wochen waren vergangen, seit ich an dem nämlichen Tische, an welchem jetzt die alpinen Fexen sich unterhielten, einen hübschen jungen Mann von einnehmenden, offenen Zügen sitzen gesehen hatte. Es war offenbar ein Student gewesen. Er hatte sich nach dem Preise eines Führers auf einen der benachbarten „Zähne“ erkundigt, dessen Gefährlichkeit ihm nach den Berichten in den „Fachzeitungen“ im verlockendsten Lichte der Romantik erschien.

Ich strengte mich an, ihm von derlei abzureden, aber der Erfolg war gering. Eine enttäuschte Miene, welche seinen Verzicht auf jenes Unternehmen zu bedeuten schien, nahm ich erst dann wahr, als er die Höhe der Führertaxe erfahren hatte. Offenbar reiste er, gewiß zum Teil auch im Vertrauen auf die Studentenherbergen, mit den bescheidensten Mitteln. Die Bezahlung des Führers hätte mindestens so viel erfordert als eine fünftägige Wanderung auf anspruchsloseren Pfaden, die ihm aber mehr Genuß geboten haben würde. Ich hatte ihm noch gesagt, daß er, von der Gefahr abgesehen, gar keine Zeit und Gelegenheit für den Naturgenuß übrig behalten würde, weil es sich da nur um Tritte und Griffe handle. Indessen, die Legende vom „Kampf gegen die Naturgewalten“ hatte ihn in ihrer berückenden Abenteuerlichkeit festgehalten, denn ich erfuhr am nächsten Tage, daß er nicht auf einem der gewöhnlichen Wege nach den bequemen Pässen der Umgegend mit ihren wundervollen Bildern sondern in der Richtung gegen den von ihm bezeichneten mürben Obelisken fortgegangen sei.

In welchem Zusammenhang ein derartiges Unternehmen mit der Wohlfeilheit der Studentenherbergen stehen kann, gebe ich dem geneigten Leser zur Ueberlegung anheim.

Wenige Tage später las ich in den Zeitungen, daß ein junger Mann aus Tiers aufgebrochen sei und ohne Führer die fragliche Zinne merkwürdigerweise erreicht habe – er war von einem benachbarten bequemen Aussichtsberge mit Fernrohren beobachtet worden. Seither hatte man ihn nirgends mehr gesehen. Eltern und Geschwister desselben waren, wie die Zeitungen weitermeldeten, in die benachbarten Thäler gekommen und hatten Nachforschungen anstellen lassen – aber ohne Erfolg. So mußte man annehmen, daß der junge Mensch verunglückt sei und daß sein Leichnam, wenn nicht hier, so doch irgendwo sonst in dieser Bergwelt verborgen liege und vielleicht einmal durch einen Zufall, wahrscheinlich aber niemals wieder zum Vorschein kommen würde.

An jenem Abend in der „Rose“ blieben die Kletterdramen, die da von verschiedenen Koryphäen erzählt wurden, nicht ohne tadelnden und warnenden Chor im Hintergrund. Am bemerkenswertesten erschien mir die Auseinandersetzung eines Mannes, welcher auf die dem Körper ungewohnten Verhältnisse hinwies, unter denen sich der weitaus größere Teil aller schwierigeren Bergersteigungen vollziehen muß. Zuerst die Mühsal einer langen Thalwanderung, sodann die unruhige oder auch ganz schlaflose Nacht in einer Schutzhütte, die Unregelmäßigkeit im Aufnehmen von Nahrung und Getränke, die vor Sonnenaufgang abermals beginnende Anstrengung und Ueberreizung der Nerven – das alles könnte nicht besser zusammengesucht werden, wenn es sich darum handelte, einen Menschen mit möglichst wenig Genußfähigkeit auf der vielbesprochenen Spitze ankommen zu lassen. Ist die Kletterei gefährlich gewesen, so wird der Rest von Gennßfähigkeit, falls ein solcher vorhanden war, noch verschlungen durch die Sorge, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_314.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)