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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)



Blätter und Blüten.


Adolf Friedrich Graf von Schack. Wollte man versuchen, vom Standpunkte des Humanisten aus ein ideales Leben auszusinnen, es könnte sich nicht viel von dem unterscheiden, das dem Grafen Adolf Friedrich von Schack in glücklicher Wirklichkeit zu teil ward. Ausgestattet mit den beneidenswertesten geistigen Fähigkeiten, mit klarem Verstande, vielseitiger Empfänglichkeit, ungewöhnlicher Gestaltungskraft, mit tiefem Empfindungsvermögen für das Schöne in Kunst und Dichtung, im heimischen wie im fremden Gewande, verfügte dieser Mann zugleich über materielle Güter in solcher Fülle, daß er alle in ihm liegenden Keime zu voller Reife gedeihen lassen, seinem auf alles Hohe und Edle gerichteten Geiste ohne Unterlaß die reichste Nahrung zuführen und sich eine Universalbildung aneignen konnte, die unmittelbar an Goethe erinnert. Dazu lebte in ihm eine warme hochherzige Menschenliebe, ein Drang, zu helfen und zu fördern, wo irgend es not that, eine heiße vaterländische Begeisterung und ein unerschütterlicher Freiheitssinn. Als fruchtbarer und gedankenreicher Dichter, als feinsinniger, die Form glänzend beherrschender Uebersetzer hat er die deutsche Litteratur mit wertvollen Gaben bereichert, als Forscher durch sicheres reifes Urteil vielfach neues Licht verbreitet, und was er für die bildende Kunst war, davon legt allein schon seine berühmte Gemäldesammlung in München, die er letztwillig dem deutschen Kaiser vermacht hat, die aber der Isarstadt verbleiben wird, Zeugnis ab. Wie oft hat er verkannten Künstlern, wie Genelli und Schwind, zu dem ihnen gebührenden Recht auf Anerkennung verholfen, wie vielen, die später zu hohem Ruhme gelangten – einem Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin, Franz Lenbach – hat er auf ihren ersten Gängen die stützende Hand gereicht!

Adolf Friedrich Graf von Schack.
Nach dem Gemälde von Franz Lenbach.

Adolf Friedrich von Schack – den Grafentitel hat ihm 1876 Kaiser Wilhelm I. verliehen – war von Hause aus Mecklenburger, am 2. August 1815 hat er zu Schwerin das Licht der Welt erblickt. Neigung und Schicksal haben sein Leben früh zu einem Wanderleben gestaltet; seiner amtlichen Laufbahn als mecklenburgischer Legationsrat hat er 1852 nach dem Tode seines Vaters selbst ein Ziel gesetzt. Den ganzen europäischen Süden, aber auch Aegypten und Syrien hat er als aufmerksamer Beobachter durchstreift und namentlich im Orient und in Spanien ist seine Phantasie heimisch geworden. Nach München führte ihn 1854 die Einladung des Königs Max, der eben damals jenen berühmten Kreis bedeutender deutscher Männer in seiner Hauptstadt und um seine Person versammelte, jenen Kreis, dem Namen wie Geibel, Heyse, Riehl, Sybel, Bodenstedt einen dauernden Glanz verleihen. Zuletzt hatte sich bei Schack eine gewisse regelmäßige Reihenfolge des jährlichen Wohnens herausgebildet: der Sommer gehörte Deutschland, der Winter dem geliebten Rom, der ewigen Stadt – und dort ist er nun auch am 14. April zur ewigeu Ruhe eingegangen, eine Herzlähmung hat seinem gesegneten Dasein ein Ende gemacht.

Wohl war auch sein Glück nicht ganz vollkommen! Ihm hat keine liebende Gattin zur Seite gestanden, unvermählt ist er gestorben, nachdem eine heiße Jugendliebe ihre Erfüllung nicht gefunden. Und in den letzten Jahren trat zu manchen anderen körperlichen Beschwerden eine fortschreitende Abnahme seiner Sehkraft, so daß er schließlich in fast völliger Blindheit dahinlebte. Aber sein lebhafter Geist ließ sich nicht beengen durch die Nacht, die ihn umgab. Unermüdlich blieb er an der Arbeit, mit eiserner Thatkraft alle Schwierigkeiten überwindend, die sich dem auf fremde Hände und fremde Augen Angewiesenen entgegenstellten. So hat er ausgeharrt bis zuletzt, bis die Lider über den getrübten Sternen sich zum letzten und ewigen Schlafe niedersenkten.

Waldmeisterduft. Ueber die „Wirkung“ des Maitrankes sind die Ansichten der Zecher geteilt. Die einen loben sich den Duft des Waldmeisters, die anderen sind ihm nicht hold und meinen, daß er Kopfschmerzen verursache. Die „Erfahrungen“, die man beim Becherklange sammelt, sind bekanntlich nicht „rein“; es ist schwer, nach einer Maitranksitzung zu sagen, wie viel von den nachträglichen Kopfschmerzen auf den Wein und wie viel auf den Waldmeisterduft zu schieben ist. Darum einige Worte über die reine Wirkung des Waldmeisterduftes! Er gehört zu denjenigen, welche von den Menschen gefangen worden sind und sich sogar künstlich herstellen lassen. „Kumarin“ heißt der Stoff, der diesen Duft giebt; er bildet kleine farblose Krystalle, von denen 1 Kilo im Großhandel etwa 160 Mark kostet. Er kommt nicht nur im Waldmeister, sondern noch in einer Anzahl anderer Pflanzen vor, unter anderem auch im Steinklee (Melilotus officinalis). Mit der letzteren Pflanze hat man wiederholt trübe Erfahrungen gemacht, da Pferde und Schafe, die davon gefressen hatten, unter Lähmungserscheinungen zu Grunde gingen. Auch mit dem reinen Kumarin wurden an Warm- und Kaltblütern Versuche angestellt, und da zeigte es sich, daß es die Thätigkeit des Gehirns herabsetzt, das Zentralnervensystem lähmt. So dürfte der häufig auftretende Kopfschmerz, der nach reichlichem Maitrankgenuß sehr lange anzuhalten pflegt, wohl auf den Waldmeisterduft zurückzuführen sein. Aus diesem Grunde erklärt sich auch die Abneigung bewährter Kenner gegen Maitrankessenzen, die mit Kumarin bereitet sind. Diese enthalten stets größere Mengen des Duftstoffes und die Folgen bleiben dann nicht aus. Für die Zugabe des Waldmeisters zum Maitrank gelte also der Grundsatz: „Mit Liebe – aber wenig.“ *     

Diensteifer. (Zu dem Bilde S. 309.) Die erste Gewehrinstruktion ist vorüber. Zum erstenmal haben sich vor den Augen des staunenden Rekruten die Geheimnisse von Lauf, Schaft und Schloß aufgethan und in seinem Kopfe schwirrt’s von Abzugsbügel, Kammerleitschiene, Schlößchen, Schlagbolzen und Verschlußkopf. Aber interessant war’s doch; und hat unser junger Vaterlandsverteidiger auch manches bei dem schnarrenden Vortrag des Unteroffiziers nicht kapiert – wozu hat man seinen „Dienstunterricht für Infanterie“ im Kasten, wo alles, was der Soldat wissen soll, fein säuberlich gedruckt steht! Also heraus damit und noch einmal von vorne angefangen! Und so sitzt der Wackere und studiert, daß ihm der Kopf „raucht“, und wenn’s hinter der vor Anstrengung gefurchten Stirne auch noch nicht ganz hell geworden, so ist doch hier und da ein kleines Lichtlein aufgegangen, als Frucht solch lobenswerten Diensteifers.

Verlobung vor der Geburt. Im Mittelalter war es bekanntlich vielfach Sitte, Prinzen und Prinzessinnen schon als Kinder im zartesten Alter zu verloben und zu verheiraten. Daß man aber auch über noch nicht geborene fürstliche Kinder in gleicher Weise verfügte, dürfte denn doch nur ausnahmsweise vorgekommen sein. Ein solcher Fall ereignete sich im Jahre 1368, als dem Kaiser Karl IV. der Prinz Siegmund geboren wurde, der bei der Taufe mit Katharina, der Tochter des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, verlobt wurde. Bei dieser Gelegenheit ward nämlich gleichzeitig bestimmt, daß eine Tochter Karls IV., die ihm innerhalb fünf Jahren seine Gemahlin schenken sollte, sich mit dem Sohne des Burggrafen, der innerhalb derselben Zeit das Licht der Welt erblicken würde, einstmals vermählen sollte. Ein jüngeres Brautpaar als dieses dürfte kaum jemals vorgekommen sein. Aber „gekriegt“ haben sie sich doch, denn 1373 ward dem Kaiser Karl IV. eine Tochter, Margaretha, geboren, die nachmals die Gemahlin Johannes III., Burggrafen von Nürnberg, wurde. Nicht zusammengekommen ist aber das 1368 verlobte Paar Siegmund und Katharina; ersterer, nachmals römischer Kaiser, heiratete zuerst Maria von Ungarn, in zweiter Ehe Barbara Gräfin von Cilli, während Katharina ins Kloster ging und 1409 als Aebtissin zu St. Clara in Hof starb.

Dienstbotenmarkt im Elsaß. (Zu dem Bilde S. 321.) Wer das Elsaß in seiner Eigenart, seiner innersten Natur kennenlernen will, der muß in die Berge ziehen, dort wo ein paar Meilen hinter Straßburg um den sagengekrönten Odilienberg das alte Gebiet des Tannenforstes sich öffnet und über Höhen und Thäler, an keltischen Mauerresten und mittelalterlichen Burgen sich hinzieht in seiner Märchenpracht. Bis auf gar nicht ferne Jahre hatten sich in den an diese Berge und Burgruinen sich anlehnenden Ortschaften die alten Trachten und Gebräuche der Vorzeit erhalten; leider verschwinden die einen wie die andern unter der alles einebenden Macht der Neuzeit. Von den in dem Bilde von Marchal veranschaulichten bäuerlichen Trachten des alten Elsaß ist heutzutage wenig mehr übrig; die Männer haben die Jacke mit der Blouse oder dem Jackett, die kurzen Beinkleider und weißen Strümpfe mit der langen Hose und den aufgekrempten braunen Hut mit der Mütze oder dem runden Stadthut vertauscht; noch bleiben aber, wenngleich verschwindend, die Frauenanzüge, das Mützchen mit den Schmetterlingsschleifen, das buntglitzernde Vorsteckmieder und der farbige Rock, grün für die protestantischen, rot für die katholischen Mädchen.

Ein Dienstbotenmarkt, wie der in dem Bilde wiedergegebene, dürfte kaum mehr mit anzusehen sein – leider! denn ein bunteres, lieblicheres Bild findet man schwerlich! Von den umliegenden Dörfern und Flecken haben sich dienstsuchende Mädchen in ihrer Sonntagstracht versammelt; die Bauern, alte, aber auch junge, treten heran, halten Musterung und besprechen die Bedingungen. Jenes Mädchen beim altertümlichen Brunnen aber, das die Zärtlichkeiten des jungen Burschen nur leicht abwehrt, mag wohl verraten, daß auf diesem Markte nicht immer nur Dienstmägde, sondern hier und da auch Lebensgefährtinnen gesucht und gefunden wurden.



Inhalt: Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (18. Fortsetzung). S. 309. – Diensteifer. Bild. S. 309. – Der Tanz. Bild. S. 312 und 313. – Ohne Führer. Von Heinrich Noé. S. 314. – Das „Sechseläuten“ in Zürich. Mit Abbildung. S. 317. – Die Perle. Roman von Marie Bernhard (18. Fortsetzung). S. 318. – Dienstbotenmarkt im Elsaß. Bild. S. 321. – Blätter und Blüten: Adolf Friedrich Graf von Schack. Mit Bildnis. S. 324. – Waldmeisterduft. S. 324. – Diensteifer. S. 324. (Zu dem Bilde S. 309.) – Verlobung vor der Geburt. S. 324. – Dienstbotenmarkt im Elsaß. S. 324. (Zu dem Bilde S. 321.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_324.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)