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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Speisen und Getränke legt Schweninger zunächst Wert darauf, den Wünschen des Patienten soviel als möglich Rechnung zu tragen, trotzdem es oft notwendig ist, mit tief eingewurzelten Gewohnheiten zu brechen. Die Hauptnahrung der Fettleibigen soll bestehen aus Fleisch (jede Sorte, auch fettes Fleisch, kalt oder warm), aus Fischen, Austern, Kaviar, Krebsen, Hummern, Eiern, Käse. Als Nebennahrung dürfen Brot, Obst, Kompott, Spinat, Spargel, Kohlarten, Sauerkraut, Gurken, grüner Salat genossen werden.

Als Getränk wird Wasser und Weißwein nebst Sodawasser und Sauerbrunnen anzuraten sein. Selbstverständlich kann man unbemittelten Leuten nicht Austern, Kaviar und Hummern zu essen empfehlen; ihnen dienen als Ersatz Häringe und geräucherte Flundern, oder statt des feinen Kompotts gedünstete Pflaumen, lauter Sachen, die mit den bescheidensten Mitteln zu bestreiten sind. Als verboten sind dagegen zu betrachten: Suppen, Kartoffeln, Rüben, Maccaroni, Reis, Mehlspeisen, Butter und Fette (soweit sie nicht zur Zubereitung der Fleischgerichte und der Gemüse gehören). Von den Getränken sind streng verboten Bier, Rotwein, Milch, Kaffee, Thee, Chokolade, Kakao und Schnäpse. Da Schweninger hiermit alle die Getränke verbietet, die sonst zum ersten Frühstück genommen zu werden pflegen, so fühlt er sich bewogen, die naheliegende Frage zu beantworten „Was soll denn der Fettsüchtige zum Frühstück genießen?“ Dabei wird dann die englische Sitte befürwortet, frühmorgens eine ordentliche Mahlzeit aus etwas Fleisch, Fisch, Ei, Käse zu nehmen.

Das, was Schweninger die „Hauptnahrung“ nennt – es sind dies, wie aus dem Vorangehenden zu ersehen, die Eiweißstoffe – soll vier Fünftel der Gesamtnahrung betragen, während ein Fünftel auf die als „Nebennahrung“ bezeichneten Speisen, vorzüglich die Kohlenhydrate, zu entfallen hat.

Das Eigentümliche der Schweningerschen Diätvorschriften besteht aber darin, daß er die großen Mahlzeiten vollständig verbietet und statt dessen kleine und häufige Speiserationen empfiehlt. Er verwahrt sich dagegen, daß man seine Art der Fettsuchtbehandlung als Suppen-, beziehungsweise Wasserentziehungskur beschreibt und sie als Plagiat der Oertelschen Kur verschreit, während er in der That seine Patienten ganz nach Bedürfnis trinken läßt und ihnen nur empfiehlt, das Essen vom Trinken zu trennen. Erst eine Stunde nach dem Essen sollen sie in kleinen Mengen trinken, und zwar nur solche Flüssigkeiten, wie sie oben genannt wurden.

Die täglich notwendige Darmentleerung wäre vor allem durch gewisse Nahrungsmittel, die in dieser Hinsicht befördernd wirken, zu versuchen. Man gebe dem Patienten Obst, Fruchtsäfte, Honig, saure Milch etc., und zwar allein für sich, nicht zu den Mahlzeiten. Nur wenn dies nichts hilft, soll der Arzt mit stärkeren Mitteln eingreifen. Schweninger ist auch der Meinung, daß die Behandlung der Fettsucht in Kurorten keineswegs notwendig sei; nicht wohin man geht, sondern was und wie man es thut, ist das allein Maßgebende. Schweninger tröstet die Unbemittelten, indem er sagt: „Gesund kann ein jeder werden überall.“ Keineswegs darf es aber einem Kranken einfallen, sich selbst heilen zu wollen durch Befolgung dieser oder jener Vorschrift. Da die Beurteilung des Einzelfalles der wichtigste Grundsatz der Fettsuchtbehandlung ist, so muß natürlich jemand da sein, der diese Beurteilung vornimmt – der Arzt. Dieser hat aber auch genau zu prüfen, welche Fortschritte die Behandlung macht, er muß mit Nachdruck nicht nur den Kranken selbst, sondern auch seinen „guten Freunden und Bekannten“ entgegentreten. Diese letzteren sind es gar oft, die das Vertrauen zum Arzt erschüttern, namentlich wenn während der Fettentziehungskur das Schwinden des überschüssigen Fettes sich im Gesichte geltend macht und dieses einen oft „leidenden“ Ausdruck annimmt; da kommen dann diese „guten Freunde“ und begrüßen den Patienten mit den Worten „Wie elend sehen Sie aus!“ „Nehmen Sie sich in acht vor solchen Kuren!“ Hier muß der Arzt oft seinen ganzen Einfluß aufbieten, um alle Zweifel zu beseitigen, den schwankenden Mut wieder zu heben. Ist nach einer gewissen Zeit die Entfettung durchgeführt, dann darf der Uebergang zur gewöhnlichen Lebensweise kein schroffer sein, sondern muß ganz allmählich bewerkstelligt werden. Gewisse Erleichterungen werden gestattet, bald dieses, bald jenes Speiseverbot wird aufgehoben – es kann aber auch vorkommen, daß, wenn sich wieder eine Zunahme der Fettbildung zeigt, die ganze Strenge der früheren Lebensweise wiederhergestellt wird.

So genau und bestimmt nun auch die einzelnen Vorschriften lauten, so sehr betont der Verfasser in seiner Schrift, daß es eben nur Vorschriften in gewissen Richtungen sind, welche keineswegs für den Einzelfall die Zahl der Möglichkeiten und Nützlichkeiten erschöpfen. Diese Vorschriften als „Schweningerkur“ zu bezeichnen, darf nur der Kürze des Ausdruckes halber geschehen. Eine „Kur“, die in gewisser schablonenmäßiger Weise vom Arzte angeordnet und vom Patienten besorgt werden kann, ist nicht vorhanden – in diesem Sinne giebt es keine „Schweningerkur“.




Wisby.

Von Otto Rüdiger.0 Mit Zeichnungen von O. Günther-Naumburg.

Es ist noch nicht lange her, daß nur einige Fachleute Genaueres von Wisby wußten. Wohl hatten viele seinen Namen gehört, aber er klang ungefähr so dunkel und geheimnisvoll an ihr Ohr wie der des versunkenen Vineta. Erst durch Passarge erhielten wir 1867 genauere Kunde von den herrlichen Ueberresten mittelalterlicher Baukunst, welche diese deutsche Kolonialstadt auf der fernen schwedischen Insel Gotland barg. Der hansische Geschichtsverein ließ es sein erstes sein, 1871 eine Preisaufgabe über den großen Hansakrieg um Wisby zu stellen, welche Dietrich Schäfer, heute Professor der Geschichte in Tübingen, damals noch ein unbekannter Lehrer in Bremen, löste. Und je mehr sich das Dunkel der Geschichte lichtete, das über Wisbys großer Vergangenheit lag, um so mehr wuchs in vielen die Sehnsucht, diese Herrlichkeiten einmal mit eigenen Augen zu schauen. Ein hamburgischer Kaufmann, J. D. Hinsch, faßte 1881 den kühnen Entschluß, ein eigenes Schiff zu gemeinsamer Fahrt nach Wisby auszurüsten. Es waren begeisterte Geschichtsfreunde aus den Seestädten und Norddeutschland, 70 an der Zahl, mit etwa 10 Damen, die von Lübeck über Bornholm, Kalmar, Oeland nach Gotland fuhren. Eine Reihe von Reiseberichten in öffentlichen Blättern, ein eigenes Buch von Karl Braun und schließlich das sogenannte Generalstabswerk von einigen Architekten und Gelehrten der Reisegesellschaft wirkten zusammen, den Ruhm Wisbys in die weitesten Kreise zu tragen. Hurtig folgten die Dichter und beuteten den dankbaren Stoff aus: der Däne Ewald und zwei Deutsche, W. Jensen und Hans Hoffmann, verwerteten ihn in Romanen, Richard Voß bearbeitete ihn für die Bühne. Ueberall bildete, wie in Schäfers geschichtlicher Darstellung, Wisbys Eroberung durch Waldemar Atterdag den Mittelpunkt. Und ungefähr gleichzeitig verherrlichte der schwedische Maler Hellqvist „Wisbys Brandschatzung durch Waldemar“ in einem gewaltigen Gemälde.

Trotz allem, was neuerdings über Gotland geschrieben worden, ist es noch immer ein geheimnisvolles Wunderland. Die geschichtlichen Ueberlieferungen sind sehr lückenhaft oder noch nicht genügend durchdrungen worden. Stimmungsvolle Sagen müssen uns häufig aushelfen, lassen uns aber um so mehr der Wunder und Rätsel ahnen. Gotland war in uralter Zeit – so erzählt die eigene Schöpfungssage der Eingeborenen – nicht fest, sondern schwamm auf dem Meere und war so niedrig und dunkel, daß es bei Tage versank und nur nachts aus dem Meere emportauchte. Da kam ein Mensch dahin, Thjelvar geheißen, d. h. „der Arbeitende“, der machte Feuer darauf, und alsobald war die Insel fest. Thjelvar und seine Nachkommen machten das Land urbar, und es lohnte wohl der Mühe, denn es war fruchtbar und gab reichen Ertrag.

Die Erdforschung hat die Sage in manchen Zügen bestätigt, denn Gotland ist eine einzige große Kalksteinhochebene, bestehend aus vielen Millionen kleiner Schaltiere, die man noch jetzt massenhaft im gotländischen Kalkstein findet. Im Laufe vieler Jahrtausende muß die Insel allmählich emporgewachsen sein. Den steilen Felsrand der Insel nennt man die „Klint“, die hier und da bis zu 50 und mehr Meter Höhe ansteigt. An vielen Stellen ist etwas, aber nicht gar zu viel Vorland vorhanden. Eine der malerischsten Klintpartien liegt eine gute Stunde südlich von Wisby, „Högklint“ genannt. Nicht weniger malerisch ist die Klint nördlich

von Wisby, in unmittelbarer Nähe der Stadt. Sie heißt der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_331.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)