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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Waldemars Schiffe mit den geraubten Schätzen bei den Karlsinseln untergingen. Wie die beiden Steine anfänglich ein Ganzes bildeten und erst später sich trennten, so wurde der gotländische Freistaat, der zuerst einig war, durch Zwistigkeiten gespalten in Stadt und Land. Der Reichtum gehörte zuerst dem ganzen Lande, aber der Handel zog den Reichtum in die Stadt. Als räuberische Hände der Stadt Wisby, dem Liebling des Meeres, die Schätze entrissen, da versanken sie wieder ins Meer, woher sie stammten. – So bekommt die Sage von den Karfunkelsteinen einen tiefen Sinn.

Selbst die Historiker, die doch den Poeten gegenüber die geborenen Zweifler sind, stehen ehrfurchtsvoll still vor dieser Sage. Nicht alle von ihnen verwerfen das Karfunkelleuchtfeuer schlechthin, indem sie meinen, die klugen Mönche von St. Nikolaus hätten auf irgend eine natürliche Weise rotes Licht am Giebel ihrer Kirche angebracht, es mit einem gewissen geheimnisvollen Nimbus umgeben und den naiven Glauben der Menge begünstigt. Merkwürdigerweise hat von den Dichtern, welche sich in neuerer Zeit an den wunderbar poetischen Stoff von Wisbys Fall herangewagt haben, keiner die Sage von den Karfunkeln benutzt, nicht einmal als begleitenden Umstand. Ja, ja, selbst für die Dichter ist es schwer, die Stelle zu finden, wo die Karfunkel liegen, und sie zu heben!




Die Perle.
Roman von Marie Bernhard.
(Schluß.)


Kamphausen begann zu erzählen. „Ein portugiesischer Schoner nahm mich auf. Der junge Görnemann, den ein spanisches Schiff rettete, hat die Nachricht von meinem Tode verbreitet – er konnte nichts anderes annehmen, als daß ich verloren war. Er ist ja Augenzeuge davon gewesen, wie die ‚Nixe‘ in die Tiefe gerissen wurde und ich mit ihr. Und niemand aus dem Schoner hat wissen können, wer ich war, die Uniform hatte ich im letzten Augenblick vor der Katastrophe abgeworfen. Die portugiesischen Seeleute haben einen Körper in den Wellen treiben sehen, den ein Hund vorn an der Brust gepackt hielt und mit aller Anstrengung seiner Kräfte vor dem Untersinken bewahrte – das waren Korsar und ich!“

Der Leonberger hob aufmerksam den Kopf, als er seinen Namen hörte.

„Ja, ja, Du hast’s gethan, es ist von Dir die Rede!“ Ein schwaches Lächeln, bei dem die Augen ebenso müde und schwermütig blickten wie zuvor, spielte um Kamphausens Lippen. „Sie haben mich vom Rettungsboot aus mit Schiffshaken herangezogen, mich hielten sie für tot, aber der schöne tapfere Hund dauerte sie, den wollten sie retten. Er hat mich nicht losgelassen, in die Reste von Kleidungsstücken, die ich noch an mir hatte, hatte er sich festgebissen – sie haben ihn mit mir zugleich an Bord heben müssen. Ich weiß nichts von allem, was mit mir geschah, nichts. Ein hitziges Fieber ergriff mich, und zwar so schwer, daß der Schiffsarzt meinen Fall hoffnungslos nannte. Trotzdem brachten sie mich noch nach Lissabon und dort in ein Lazarett .... es hatten sich schwere innere Verletzungen herausgestellt, die der Schiffsarzt entweder nicht erkannt oder zu oberflächlich behandelt hatte. Im Lazarett operierten und kurierten sie an mir herum .... endlich blieb meine starke Natur Siegerin. Dabei aber erkannte ich niemand, niemand wußte, wer ich war. Nach langer langer Zeit kam ich dann zu Bewußtsein, erführ, wo ich war, und konnte sagen, wer ich sei. Es war unbedingte Ruhe für mich notwendig und mein Geist noch unsäglich schwach; ich schlief tagelang vor Mattigkeit, und war ich wach, dann konnte ich nicht denken, mir nichts zusammenreimen. Endlich war ich so weit, um an meinen Freund Leupold schreiben zu können, wenige Zeilen nur, die mich namenlos angriffen und aufregten. Aber heimlich hatte der Arzt gleichfalls geschrieben und gebeten, mir jede aufregende Mitteilung zu verschweigen, das Fieber sei mit unendlicher Mühe gebändigt und jede neue Erregung könne die bedenklichsten Folgen haben. So sagte mir die Nachricht, als sie endlich kam, nichts von dem, was für mich die Hauptsache war. Und da packte mich die Unruhe so gewaltig –“

Kamphausen hielt inne, offenbar in der Furcht, zuviel zu sagen. Niemand unterbrach die bange Stille, die nun eintrat, man vernahm nur das Summen und Schnurren und den Kinderjubel von der Promenade her.

„Man sah nun wohl ein, daß dieser Zustand gleichfalls nicht das Richtige für mich war,“ fuhr der Kapitän fort, „man gestattete daher, daß ich noch einmal schrieb. Jetzt endlich erhielt ich Aufklärung – es war inzwischen Winter geworden.“

Ein neues Stocken, eine neue Pause, länger als zuvor. Was war jetzt eigentlich noch zu sagen? Kamphausen hätte noch hinzufügen können, daß des alten Leupold Brief, der die Nachricht von Ilses Heirat enthielt, seinen Zustand bedeutend verschlimmerte und den schon Genesenden wiederum an den Rand des Grabes brachte. Selbstverständlich verschwieg er das. Was sollen sie damit? dachte er bitter. Kann mein jammervolles Los ihnen irgendwie wichtig sein?

„Da ich immer noch zu schwach war, um allein reisen zu können, so blieb ich einstweilen in Lissabon, bis ich stark genug war, die Fahrt nach Kairo anzutreten, mein Arzt hielt einen längeren Aufenthalt daselbst für unumgänglich notwendig, da meine Lungen seit der langen Krankheit nicht mehr die stärksten waren. Ich ging also nach Agypten, von dort hierher – bis es in Deutschland Sommer wird, soll ich mich an der Riviera aufhalten. Ich hoffe dann auf eine Stelle an der Kaiserlichen Marineakademie in Kiel, denn ich fürchte doch, ich werde nicht mehr imstande sein, ein Schiff zu führen. Das sind meine Schicksale gewesen. Ich habe mehr von mir und meinen Erlebnissen sprechen müssen, als ich dachte und wollte – verzeihen Sie mir! Die Hauptsache bleibt: ich wollte Ihnen beweisen, daß ich ahnungslos hierhergekommen bin; ich glaubte Sie in Rom und habe es absichtlich vermieden, diese Stadt auf meiner Reise zu berühren, weil ich fürchtete, der Zufall könnte ein Wiedersehen herbeiführen.“

Er sagte das alles zu Montrose gewandt. Immer noch keinen Blick, kein Wort für Ilse! Dann erhob er sich rasch. „Ich darf die Gewißheit mit mir nehmen, daß ich nicht mißverstanden worden bin?“ fragte er leise.

„Wie wäre das möglich, Herr Kapitän! Ist es nicht selbstverständlich, daß Sie dies peinliche Zusammentreffen aus allen Kräften zu vermeiden bemüht waren? Wir würden uns Ihre Verzeihung erbitten, wenn wir uns nicht sagen müßten ....“

„Kein Wort weiter, Herr von Montrose! Wir haben uns Gottes Willen zu unterwerfen.“ Kamphausens Haltung war stolz, als er dies sagte, und seine Stimme klang fest. Er war eine schlichte Natur, alles Theatralische war ihm verhaßt – er wollte keinen pathetischen Abschied nehmen. „Ich wünsche Ihnen beiden eine glückliche Heimreise und eine segensreiche Zukunft!“

Montrose hielt ihm die Hand hin, mit einem bittenden Blick auf Ilse – hatte er denn gar kein Mitleid mit ihr? Es zuckte in Albrechts Mienen, aber er überwand sich. Er legte seine Hand in Montroses dargereichte Rechte und berührte Ilses Finger für einen flüchtigen Augenblick. Dann lüftete er noch einmal den Hut und ging die Stufen hinunter, ohne sich umzusehen. Aber am Fuß der Terrasse mußte er stehen bleiben, denn er wurde gewahr, daß ihm Korsar nicht folgte. Mit seinem leisen bittenden Winseln schmiegte sich das Tier an Ilse und sah mit seinem klugen Blick zu ihr empor. Doch die junge Frau drängte mit beiden Händen Korsars Kopf zurück und sah von ihm fort in die Luft – sie konnte diesen treuen bittenden Blick nicht ertragen.

Ein kurzer Pfiff Kamphausens und der Hund schlich zögernd seinem Herrn nach. Noch einmal kam er zurück, bellte laut auf und sprang stürmisch an Ilse in die Höhe, da erscholl ein herrisches: „Korsar! Zu mir!“ und jetzt gehorchte das Tier. Es warf den Kopf zurück und stieß einen langen Klagelaut aus, aber es folgte seinem Herrn, während Montrose sich besorgt über Ilse beugte und ihre kalten zitternden Hände in die seinen nahm.




20.

Eine freundliche Frühjahrssonne lugte goldäugig durch Kapitän Leupolds blanke kleine Fensterscheiben. Es hatte sich im Innern des seltsamen kleinen Häuschens nichts geändert, trotzdem mehr als vier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_334.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2021)