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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Die Brüder.

Roman von Klaus Zehren.

(4. Fortsetzung.)


Hermann und Edda setzten sich rasch in Bewegung, um Lore mit Prinz Sissi einzuholen. Eine kurze Begrüßung folgte.

„Liebe Edda, wir wollen in acht Tagen einen Ball geben; Sie werden doch kommen, nicht wahr?“

„Ich auf einen Ball? Das müßte zum Totlachen sein, da ich noch nie im Leben getanzt und nie an diesen sogenannten Vergnügungen teilgenommen habe! Ich würde mir vorkommen wie eine Trauer-Esche in einem Lustgarten.“

„Ach was, Sie müssen kommen, und Hermann auch! Es werden wirklich ganz nette Leute bei uns sein; nicht nur Prinz Sissi, Beamte und Offiziere, nein, sogar Kollegen von Ihnen und Ihrem Vater. Uebrigens hat mir dieser bereits zugesagt.“

„Wer? Mein Vater?“

Es lag ein so unverhohlenes Erstaunen in diesen Worten, daß die andern zu lachen begannen.

„Ich habe ihn so lange gebeten, bis er nachgab und zu kommen versprach,“ plauderte Lore weiter.

„So? Na, eher hätte ich den Einsturz des Himmels erwartet! Ich werde es mir überlegen, liebe Lore. – Wollen Sie mich für einige Minuten begleiten, Prinz?“ fragte Edda unvermittelt den Russen.

Sie hatte wirklich eine merkwürdige Art und Weise, mit Herren umzugehen. Selbst Prinz Sissi war erstaunt, folgte ihr aber trotzdem, Lore mit Hermann zurücklassend.

„Haha, hast Du des Prinzen Gesicht gesehen? Zum Totlachen, wie sie mit dieser von den Pariser Damen verzogenen Durchlaucht umgeht! Ein zu originelles Mädchen! Weißt Du, daß sie eigentlich eine Schönheit ist?“

„Was, die Helm?“ fragte er zerstreut.

„Mein Gott, seid Ihr Männer blind! Wenn Euch die Schönheit nicht in den Formen der herrschenden Mode gereicht wird, bemerkt Ihr sie überhaupt nicht. Ich werde selbst eine Toilette für sie zu unserem Ball herrichten lassen und Ihr werdet sie überhaupt nicht wiedererkennen! Du brauchst nicht ungläubig zu lächeln, Hermann! Denke Dir diese Figur, diesen eigentümlichen Teint gehoben durch ein bordeauxrotes Kleid – ganz einfach ohne allen Zierat – das Haar in eine antike Frisur gebracht, mit einer dunklen Kamelie darin, ohne jeden andern Schmuck! Ich freue mich wie ein Kind darauf. Sie wird durch ihr Aeußeres wie durch ihr Wesen Aufsehen erregen in unserem Salon. In Paris würden sich die Männer um ein solches Mädchen reißen.“

„Ich bin gespannt, ob sie auf Deinen Plan eingehen wird.“

„Keine Sorge, wenn ihr Vater erscheint! Ich bin meiner Sache gewiß.“

„Man kommt im Verkehr mit ihr nicht aus den Ueberraschungen heraus und hat gar nicht das Gefühl, als spräche man mit einer Dame, als stände man überhaupt einem weiblichen Wesen gegenüber.“

Lore sah ihn scharf von der Seite an. „Das macht die verrückte Erziehung und der Beruf, den ihr der Vater gestattete. Interessiert sie Dich?“ Ihre Blicke hingen an seinen Lippen.

„Als Studie, ja! Es ist einmal etwas anderes als der Durchschnitt.“

„Und das zieht Dich an?“

„Nein, es stößt mich ab,“ sagte er schroff. „Es ist eine Empfindung, als müßte man auf unbekanntem Weg in stockfinsterer Nacht vorwärts.“

Lore grübelte einen Augenblick über diese Worte. „Und glaubst Du, daß kein Licht zu finden ist?“

Prinz Sissis Dazwischenkunft überhob Hermann einer Antwort.

„Wo haben Sie Fräulein Helm gelassen? Hat ein anderer sie Ihnen abspenstig gemacht?“ fragte Lore. Prinz Sissi zuckte die Schultern. Er konnte unglaublich hochmütig und verdrossen aussehen.

„Haben Sie sich gezankt?“

„Ich zanke mich nie mit einer Dame.“

„Diese Aeußerung ist nicht artig, Prinz.“

„Aber gerecht,“ antwortete er scharf.

Lore versuchte, mehr aus ihm herausbringen, was ihr zum eigenen Erstaunen nicht gelang.

„Sie begleiten wohl Ihre Frau Schwägerin nach Hause, Herr von Weßnitz?“ wandte er sich an diesen. „Ich habe Wichtiges zu thun. Wollen Sie mich entschuldigen, gnädige Frau?“

„Mein Gott, Prinz Sissi hat etwas Wichtiges zu thun!“ spottete Lore.

Durchlaucht machte einen sehr steifen Hals, versuchte ärgerlich zu bleiben, konnte es aber Lores Lachen gegenüber nicht durchführen.

„Ja, es sind Pariser Neuheiten – Halskragen – in einem hiesigen Geschäft angekündigt, ich habe also wirklich zu thun,“ meinte er ironisch und ging.

Hermann war stiller und einsilbiger als gewöhnlich und Lore langweilte sich um so mehr, als ein ihr bekannter Kavallerieoffizier sie vollständig mit dem Bericht über seine sommerlichen Rennerfolge einspann. Bald trat sie daher neben Hermann den Heimweg an. Ihr Begleiter blieb zerstreut und sie grübelte mit niedergeschlagenen Augen vor sich hin, die Blicke gedankenlos über den schon stark ins schmutzig Graue hinüberspielenden Schnee schweifen lassend. –

Nach ihrer kurzen Unterredung mit dem Prinzen hatte Edda die Eisbahn ebenfalls verlassen, da es zu dämmern begann. Der Prinz hatte sie gänzlich im Zweifel gelassen, ob er ihre zarten Andeutungen bezüglich seines Verkehrs im Hause Lores verstanden habe oder nicht, nur sein Abschiedsgruß war sehr förmlich gewesen.

Edda ging jetzt mit den ihr eigentümlichen langen Schritten durch den Tiergarten bis zur Pferdebahn. Sie fühlte sich durch mancherlei, besonders durch Lores Einladung, etwas in ihrem inneren Gleichgewicht erschüttert, was sie jedoch nicht verhinderte, gewandt auf den in voller Fahrt begriffenen Wagen zu springen und zugleich mit den Blicken einem an Krücken vorbeihumpelnden Jungen zu folgen. Ob dem nicht zu helfen wäre?

Ihren Vater fand sie zu Hause. Er saß in der einfachen Wohnstube vor einem Riesentopf mit Kleister, von dessen unangenehmem Duft das ganze Zimmer erfüllt war, und klebte allerhand Kinderspielzeug zusammen. Der eintretenden Tochter nickte er freundlich zu und war höchst erstaunt, daß sie die aus Kleisterduft und Tabaksrauch zusammengesetzte Luft nicht gut fand.

„Sieh nur diese Festung, Edda! Haha!“

Er rieb zufrieden die Handflächen aneinander und ließ seine tiefliegenden grauen Augen wohlgefällig auf seiner Arbeit ruhen.

„Wie das den Nerven gut thut, eine so harmlose mechanische Arbeit, bei der man seinen Erfolg doch greifbar vor Augen sieht! Dort liegt ein neues Werk, sehr gut geschrieben von einem Irrenarzt; ich habe bis vor einer Stunde darin gelesen. Sehr feiner Beobachter! Wenn alle Leute, die wegen geistiger Ueberarbeitung verrückt wurden, irgend ein kleines mechanisches Handwerk getrieben hätten, würden sie wahrscheinlich ihre Nervenbündel normal erhalten haben.“

„Du bist nicht spazieren gegangen, Vater!“ mahnte Edda vorwurfsvoll, sich an seine Schulter lehnend, während sie nachdenklich an einem Bindfaden die Zugbrücke des Festungsthores auf und nieder klappen ließ.

„Weiß Gott, es ist schon zu spät! Das habe ich ganz und gar vergessen. Das Buch hat mich gefesselt und dann bekam ich eine unbezwingliche Lust, zu kleben und zu bauen, um mich zu erholen. Du bist auf der Eisbahn gewesen? Wollte Dich eigentlich abholen – zu dumm! Ich alter zerstreuter Kerl! War Frau von Weßnitz da?“

Sie nickte lächelnd.

„Donnerwetter, wäre ich doch hingegangen! Diese Frau! Sie sah natürlich reizend aus? Es muß eine Augenfreude gewesen sein!“

Er war fast komisch, der alte Herr, in seiner Begeisterung für die schöne Frau, die sein Herz völlig eingenommen hatte; es schien, als wehte ein jugendlicher Schimmer um seine hohe scharf hervortretende mächtige Stirn, wenn er von ihr sprach.

„Und was hast Du, Vater, hinter meinem Rücken mit ihr verabredet? Du willst zu einem Ball gehen unter all diese Menschen, die nur von Dingen schwatzen, die Dir völlig gleichgültig sind? Du zu einem Ball, Vater, ich muß wirklich lachen!“

„Oho! Weshalb denn nicht? Bin als junger Student höllisch gern zum Tanz gegangen! Und weißt Du, die Frau Lore bat so herzig und sah mich so an –“ er legte den von vollen grauen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_518.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)