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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

und unlustig geblickt, bekam neuen Glanz. Brausend schallte es durch die totenstille Straße, jubelnd über die verschlossenen Häuser, die beschneiten Dächer hinaus zum blauen Himmelszelt:

„Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands,
Heil König Dir!“

Ergreifende Klänge, ergreifend für jedes deutsche Herz, wo immer sie gehört werden, erschütternd für den, der in der Fremde weilt und lange lange Jahre sich nach ihnen sehnte!

Wie leuchtende Goldfunken blitzte es auf; die Trompeten und die blanken Helmspitzen, die Bajonette – wie das glänzte und schimmerte in der hellen Wintersonne! Stolz im Winde blähte sich die altehrwürdige zerschossene Regimentsfahne und grüßte ihre junge Schwester, die bescheidene Preußenfahne am Balkon des epheuumrankten Hauses.

Und von dort oben zwischen den bereiften Epheublättern nickten lachende rosige Kindergesichter herunter, von da flog es aus kleinen weichen Kinderhänden hernieder auf die gewappnete Schar – grüne Sträußchen ohne Zahl, geschmückt mit den Preußenfarben.

Begierig fingen die Soldaten die Sträußchen auf, kein einziges durfte ihnen verloren gehen, sie steckten sie an die Helme, auf die Bajonette, sie nickten und winkten und grüßten hinauf zu den kleinen Spendern. Prinz Friedrich Karl selber senkte im Vorbeireiten den Degen vor der jungen Frau, die, mit dem kleinsten Kinde auf dem Arm, im Hintergrunde stand und ihren Sohn hoch emporhielt, damit auch er die Landsleute seiner Mutter sehen möchte.

Sie selber, die ihr heißes Gesicht hinter dem Lockenköpfchen des Kindes barg, sie sah nichts vor aufquellenden Thränen, hörte nichts als die feierlichen Klänge, die ihrem Herzen so teuer waren, die ihre Seele erschütterten; all ihr Denken und Fühlen war in diesem Augenblick nur ein einziges wortloses inbrünstiges Gebet.

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Der scharfe Ostwind hatte Mariens papierene Fahne zerrissen und die bunten Fetzen in tollem Wirbel umhergestreut. Aber das schadete nichts! Sie hatte doch ihre Schuldigkeit gethan und den Preußen bewiesen, daß auch in diesem Hause ein herzogstreues Herz schlug! Mit glühenden Wangen stand das Katteeker am Giebelfenster. Nur eine einzige Minute lang hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, sich hinauszubeugen und neugierig hinabzuspähen. Und just in diesem Augenblick warfen drunten vom Balkon die Kinderhände ein buntgebändertes Sträußchen hinunter, blau–rot–weiße Farben flatterten in der Luft, in weitem Bogen flog es dahin, traf eine blitzende Helmspitze und blieb dort hängen. Ein Augenpaar schaute herauf zu ihr, eine Hand erhob sich wie zum Gruß –

Himmel, dieser Landesfeind würde doch nicht etwa glauben, daß sie ihm das Sträußchen zugeworfen habe? Sie zuckte hastig vom Fenster zurück, sah also auch nicht, wie der blondbärtige Offizier, derselbe, der vorhin über die holsteinischen Querköpfe gemurrt hatte, den Helm herunterriß, die Epheuzweige loslöste und an seine Brust steckte. Aber dann stand sie noch lange droben am Fenster, beugte sich hinaus und schaute den Fortziehenden nach, die wie eine endlose schwarze Linie zwischen den weißen Hecken dahinzogen. Ab und zu blitzte es noch auf von einer Helm- oder Bajonettspitze, ab und zu klang noch ein letzter verhallender Ton der Musik herüber, und dann war alles vorbei und das Städtchen lag wie zuvor einsam, verschneit und lautlos im kalten Glanze der Wintersonne.

Wie war das alles doch so rasch vorübergegangen und entschwunden! Wie eine bunte märchenhafte Vision erschien es dem Katteeker. Vorhin, als die Preußen ihre Nationalhymne anstimmten, da war ihr ganz wunderlich zu Mut geworden, fast so feierlich wie in der Kirche. Atemlos hatte sie gelauscht und unwillkürlich die Hände falten müssen und dabei gedacht: ob sie wohl alle, die hier so frisch und gesund vorübermarschieren, auch ebenso wiederkehren werden, oder ob mancher von ihnen sein junges Leben lassen muß? Und ob ihre großen Brüder wohl auch eines Tages hier so vorüberkommen würden, mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel wie diese anderen? Ja, ob sie überhaupt wußten, daß hier wieder Krieg werden sollte, ihr Vater und sie alle, alle, die von dänischer Willkür in die Verbannung getrieben worden waren, ins fremde Land?

Und da war ihr plötzlich wieder eingefallen, was sie in der letzten Stunde fast vergessen hatte, daß „diese Preußen“ doch eigentlich all das bittere Elend verschuldet hätten, das ihre Eltern traf und das den ersten Schatten in ihre fröhliche Kinderzeit warf. Was wußte solch ein kleines thörichtes Katteeker auch von der Diplomatie, die ihre unsichtbaren Fäden hin und her webt, bis das Netz so fein und dicht geworden, daß sich die Menschheit drin verstrickt? Für sie war alles eins – der Preuße, der hier eben mit Sang und Klang vorüberzog, und jener andere, der ihrem Vater dereinst die Waffen der Befreiung aus den Händen gerungen – einer so unzuverlässig und treulos wie der andere!

Wie finster die schwarzen Augen blicken konnten! Der Schatten der Kindheit stieg darin auf und verdunkelte selbst den Sonnenglanz dieses hellen Tages. Sie ballte ihre kleinen Hände und starrte gedankenverloren auf die roten und blauen Papierfetzen drunten im Schnee, die letzten Reste ihrer Fahne. Und endlich rang sich ein schwerer Seufzer über die roten Lippen. Diese Preußen! Was brachten sie einem doch für schrecklich ernsthafte traurige Gedanken! Katteeker schüttelte den Kopf, daß die schwarzen Zöpfe und die schwarzen Gedanken flogen, zupfte ihre Schürze zurecht und lief die Treppe hinunter, um zu sehen, wie der Tante und den Kindern die Empfangsfeierlichkeiten bekommen waren.

Kaum eine Stunde später kamen ganz unerwartet die Quartiermacher. Es hieß, eine Stafette hätte die Truppen, die vorhin durchgezogen waren, auf halbem Weg erreicht mit dem Befehl, ein Teil der Mannschaften müsse zurück, da in der Nachbarstadt schon alles überfüllt sei mit Sachsen und Hannoveranern.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.


Kunstfahren auf dem Rade. (Zu dem Bilde S. 529.) Große Entfernungen möglichst rasch zurückzulegen, wird stets das Endziel aller Radfahrer sein; darauf weist der natürliche Vorteil des Stahlrads ohne weiteres hin. Und es ist ja auch schon ganz Hervorragendes auf diesem Felde geleistet worden. Fischer, der Sieger auf der kürzlich veranstalteten Distanzfahrt Mailand-München, hat beispielsweise diese rund 590 Kilometer lange Strecke in 29½ Stunden zurückgelegt, also durchschnittlich in der Stunde 20 Kilometer oder den Kilometer in 3 Minuten bewältigt. Andere Jünger des Radsports trachten weniger nach dem Ruhm der Geschwindigkeit als nach dem der Kunst. Für sie wird das Rad, was für den Seiltänzer das Seil ist. Was Kraft und Uebung in dieser Beziehung zustande bringen können, das zeigen unsere Bilder, die keineswegs aus der Phantasie geschöpft, sondern unmittelbar dem Leben entnommen sind, und zwar den Vorführungen des Kunstfahrers Richard Schulz aus Hamburg-Altona, die gelegentlich auf der Radfahrbahn in Halensee bei Berlin zu sehen waren. Die Kunststücke im einzelnen erklären sich aus den beigefügten Unterschriften – soweit man hier von „erklären“ reden kann. Denn dem Auge des Beschauers erscheinen die Leistungen dieses Akrobaten auf dem Rade der großen Mehrzahl nach so gut wie unerklärlich. Im übrigen liegen sie dem eigentlichen Zwecke des Radfahrens ziemlich fern. Eine gesunde Körperbewegung ist das Radfahren auch ohne solche halsbrecherische Kraftstücke, und die Bedeutung der flinken Maschine ruht in ihrer Eigenschaft als Verkehrsmittel, nicht darin, daß sie Gelegenheit zu neuen Cirkuskünsten bietet.

Elektrische Küche. Daß die Elektricität sich auch in den Dienst der Küchenfeen stellen könnte, daran hat man seit geraumer Zeit nicht gezweifelt. Sie läßt sich ja in Hitze umsetzen und mit ihrer Hilfe wird die stärkste Glut erzeugt, über die der Mensch überhaupt verfügt. Es handelte sich also nur darum, elektrische Apparate zu ersinnen, welche als Heizapparate in der Küche verwendet werden könnten. In den letzten Jahren hat man wiederholt von elektrischen Kochtöpfen gehört, deren Boden und Wände Heizkörper darstellten: brachte man diese mit einer elektrischen Leitung in Verbindung, so erhitzten sich die Töpfe und es wurde möglich, die in ihnen enthaltenen Speisen zu kochen und zu braten. Aber diese Apparate waren nicht einfach und bequem; ihre Bedienung erheischte eine besondere Uebung und technische Fertigkeit, die man vom Küchenpersonal nicht gut verlangen kann.

Voriges Jahr wurde nun auf der großen Weltausstellung in Chicago und in der kleinen, aber interessanten Tiroler Landesausstellung zu Innsbruck eine elektrische Küche vorgeführt, die anscheinend alles leistet, was man von der Elektricität als Heizmittel in der Küche fordern kann. Die Ausstellerin dieser in den meisten Ländern zum Patent angemeldeten Neuerung war eine deutsche Firma, „F. Schindler-Jenny“ in Kennelbach bei Bregenz.

Die elektrischen Kochöfen sehen äußerlich unsern gewöhnlichen Kochmaschinen und Kochherden nicht unähnlich; im Innern aber schaut es anders aus. Auf feuerfesten Platten liegen die elektrischen Leiter, welche, sobald der Strom durch sie kreist, sich erhitzen. Diese geben ihre Hitze an metallene Platten ab, welche wie unsere gewöhnlichen Kochringe in gleicher Ebene mit der Herdplatte und in dieser selbst angebracht sind. Auf dem elektrischen Ofen kocht man also in derselben Weise wie auf einem gewöhnlichen Kochherde. Er besitzt aber auch Back- oder Braträume, in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_531.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2023)