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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Europas, ja selbst jenseit des Weltmeeres feierte er glänzende Triumphe.

Wer mag die Frage entscheiden, ob Strauß der Kapellmeister oder Strauß der Tondichter höher zu stellen ist? Jene liebenswürdige Heiterkeit, die den Menschen auszeichnet, bildet auch das Merkmal des Komponisten, und darüber sind die Musikgelehrten wohl einig, daß Johann Strauß der Sohn die künstlerische Form des Walzers zu einer vorher nicht gekannten Höhe emporgehoben hat. Während die Jugendwerke so sehr ins Volk gedrungen sind, daß sie wohl nicht so bald aus seinem Besitze verschwinden dürften - wer kennt nicht den Walzer „An der schönen blauen Donau“, dessen Anfangstakte, in getreuer Nachbildung von Strauß’ eigener Handschrift, der Leser an der Spitze dieses Artikels findet – werden seine neueren Stücke als Muster tonkünstlerischer Durchbildung geschätzt. Just als Tonsetzer verdient Johann Strauß den Namen eines Walzerkönigs. Denn auch in seinen Bühnenwerken ist es stets ein Walzer, der am meisten zündet. Als unser Künstler auf der Höhe seines Schaffens stand, beherrschte die Operette den Geschmack. Mit seiner „Fledermaus“, die einen förmlichen Siegeszug durch Europa hielt, bewies Johann Strauß auch auf diesem Gebiete seine unerreichte Meisterschaft. Die Operetten „Prinz Methusalem“, „Das Spitzentuch der Königin“, „Der lustige Krieg“ und „Eine Nacht in Venedig“ trugen dem Komponisten nicht nur theatralische Erfolge ein, sondern lieferten auch zahllose Stücke für Tanz- und Konzertmusik. Der „Zigeunerbaron“, mit dem uns der nahezu Sechzigjährige eine Fülle eigenartiger Melodien von großer orchestraler Wirkung geschenkt hat, wurde in verschiedenen Städten mehr als hundertmal aufgeführt.

An die Operette „Simplicius“ knüpft sich der bedeutendste Eindruck, den ich persönlich von Johann Strauß erhielt. Während der Erstaufführung im Theater an der Wien, die Strauß selbst leitete – es mag sieben Jahre her sein –, brach ein wüster Feuerlärm aus. Die Insassen der Logen erhoben sich von den Plätzen, im Parkett begann ein furchtbares Gedränge, von den Galerien hörte man gellende Angstrufe, und auf der Bühne liefen die Darsteller in wirrem Durcheinander auf und ab. Nur das Orchester blieb in Ordnung. Man hätte glauben sollen, daß Johann Strauß, der als nervös bekannt ist und der Frau und Kind im Hause wußte, als einer der ersten aufspringen werde, um sich und die Seinen zu retten. Aber er blieb auf dem Posten! Ohne mit einer Wimper zu zucken, den Taktstock in der erhobenen Rechten, stand er aufrecht, bis der Sturm ausgetobt hatte. Das dauerte Minuten. Bei der ersten Pause, die in dem allgemeinen Lärm entstand, ließ Johann Strauß die Musik wieder einfallen, und von der Bühne her erklang das Walzerlied: „So denk’ ich auch so gern der schönen Zeit, die fern ...“ Das Publikum beruhigte sich.

Und so wird Johann Strauß in meiner Erinnerung fortleben: eine wilderregte Menge durch der Töne Macht besiegend und von gemeiner Todesfurcht zurückzwingend zum Genießen heiterer Kunst ...

Spät, wenngleich nicht zu spät, hat Johann Strauß in das Wiener Hofopernhaus seinen Einzug gehalten mit dem „Ritter Pazmann“, für welchen Ludwig von Dóczy die Worte gedichtet hatte. Für sein neuestes Werk verfassen der Musikschriftsteller Max Kalbeck und der Lustspieldichter G. David gemeinsam das Textbuch. Eben jetzt arbeitet Johann Strauß mit nicht versiegender Schaffenskraft an seiner neuen Oper, während sich Wien zur fünfzigjährigen Jubelfeier rüstet. Ein kunstverständiges Mitglied des österreichischen Hochadels, Hanns Graf Wilczek, steht an der Spitze der Männer, die sich zur Ehrung des Meisters vereinigt haben. In allen Wiener Theatern werden Festaufführungen geplant, und auch die bildenden Künste tragen zur Huldigung das Ihre bei. Karl Rudolf Huber schuf ein lebensgroßes Bildnis des Walzerkönigs, Anton Scharff fertigte das trefflich gelungeue Modell für eine Denkmünze zum Straußjubiläum, Viktor Tilgner verewigte seine Züge in einer Büste, die ein ernsteres Gegenstück zu desselben Künstlers genial skizzierter Statuette bildet, welche die „Gartenlaube“ mit diesen Zeilen ihren Lesern vorführt.

Möge Johann Strauß, der heute noch trotz seiner 69 Jahre – er ist am 25. Oktober 1825 zu Wien geboren – mit dem elastischen Schritt und dem leuchtenden Auge eines Jünglings dahinwandelt, in ungetrübter Freude den schönen Abend seines schönen Lebens genießen; an der Seite seine liebenswürdige, reizvolle Gemahlin, der er eines seiner besten Stücke, den „Adelenwalzer“, gewidmet hat.

So lange die Menschheit empfänglich ist für heitere Anmut in der Kunst, wird sie Johann Strauß, dem Walzerkönig, als dem Spender so vieler glücklicher Stunden, dankbare Erinnerung weihen. Gerhard Ramberg.     


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Mäuschen.

Humoreske von Ernst Lenbach. Illustriert von A. Mandlick.
1.

Ein freundliches geräumiges Zimmer mit zwei hohen Bogenfenstern, die auf einen wohlgepflegten Garten hinausgehen. Die Einrichtung halb die eines Schulsaales, halb die eines behaglichen Wohnzimmers. An den Wänden hängen Landkarten, aber auch eine zierlich geordnete Sammlung von Photographien in vornehmen dunklen Rahmen, ausschließlich Damenporträts, darunter zwei Gruppenbilder. Auf einem „stummen Diener“ steht ein mächtiger Globus, anmutig umgeben von eleganten Stickrahmen und Nähkörbchen. Es ist ein Schulzimmer, aber ersichtlich von Damen geleitet und von solchen, die es werden wollen, besucht. An dem Rokoko-Arbeitstischchen, das auf zwei Stufen hoher Estrade zwischen den Fenstern steht, sitzt Frau Doktor Ulrich, seit dem Tode ihres Mannes die Besitzerin und Leiterin des vornehmsten Pensionats in der schönen Universitätsstadt. Sie liebt es, persönlich die Ehrenwache zu übernehmen, wenn Professor Seeling ihren demnächstigen Abiturientinnen Litteraturgeschichte vorträgt.

Bei seinen Hörerinnen genießt Professor Seeling die vorteilhafteste Stellung, die ein Mädchenlehrer haben kann: ein Fünftel Furcht und vier Fünftel Schwärmerei. Man kann ihn nicht um den Finger wickeln wie den alten Zeichenlehrer Rabe, er ist mit seinem dichten roten Schnurrbart und den männlichen kräftigen Zügen kein Bild eines sanften Adonis wie der junge Pastor Frommlieb, aber er ist weit mehr als sie alle – er ist „furchtbar interessant“. Die leisen Schauer möchte man nachher um nichts missen, die einen – oder vielmehr eine – überrieseln, wenn er so mit einem blitzschnellen Ruck den goldenen Kneifer abspringen läßt und, die grauen Augen gemütlich auf sie richtend, langsam sagt: „Was Sie uns da eben erzählen, Fräulein von Siegendorf“ – oder „Fräulein Menzel“ – oder „ Fräulein Meyer“ – auf die hat er es besonders abgesehen – „ist mir sehr interessant. Also Goethe ist in Königsberg auf die Welt gekommen? Das hat man mir in der That noch niemals verraten.“ Und dann setzt er den Kneifer wieder auf und fährt in mildem Tone fort: „Nun, schließlich muß es ja irgendwo gewesen sein. Aber sagen wir lieber: in Frankfurt am Main.“ Dabei lächelt er ein wenig, und dann sieht man, was für schöne Zähne er hat. Aber sein Vortrag ist doch noch viel schöner. Paula Meyer hat neulich laut geweint, als er Körners Tod schilderte, und alle stimmten darin überein, daß Körner genau so ausgesehen haben müsse wie Professor Seeling.

„Und dabei hat er es nicht einmal nötig,“ bemerkte Thusnelde Lehmann. „Er brauchte uns gar nichts vorzutragen. Sein Vater ist fabelhaft reich: Buckskin und Wollwaren. Er ist Konkurrent von uns. Auch von Euch, Margot, aber Ihr fabriziert ja jetzt mehr Halbseide.“ – Also ein freiwilliger Wohlthäter!


2.

Die Nachmittagssonne lugt zwischen den weißen Vorhängen durch und läßt ihre goldroten Strahlen wohlgefällig über die hübschen Köpfchen spazieren, von Paula Meyers Tituslocken zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_637.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)