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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Die politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert.

Von Rudolf von Gottschall.

„Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.“

So sang einst Friedrich Schiller. Er ahnte nicht, daß in diesem neuen Jahrhundert der politische Mord eine große Rolle spielen, daß er schließlich in ein System gebracht und die Losung einer ganzen Partei werden würde. Der politische Mord ist ja nicht von gestern oder heute. Fürsten und Staatsmänner und Parteiführer sind zu allen Zeiten meuchlerischen Attentaten zum Opfer gefallen. Aber dem neunzehnten Jahrhundert blieb es vorbehalten, eine Partei hervorzubringen, in deren Lehre der politische Mord einen wesentlichen Bestandteil, ein Mittel der Propaganda bildet.

Oft genug hat man für mildernde Umstände bei der moralischen Verurteilung jener Morde und Mordversuche plädiert, welche von der Gesetzgebung gerade mit den härtesten Strafen bedroht werden: man wollte einen Möros, welcher, den Dolch im Gewande, sich zu Dionysios schleicht, um die Stadt vom Tyrannen zu befreien, nicht in eine Linie stellen mit dem gemeinen Mörder: das Gesetz aber bestraft hier schon den Versuch mit dem Tode. Der Mord aus blindem Fanatismus ist stets verurteilt worden; aber ein Mord aus patriotischem Gefühl, um ein politisches Ideal vor schmachvoller Entweihung zu retten, hat doch seine Anwälte gefunden, selbst bei edeldenkenden Geistern. Wir erinnern nur an Charlotte Corday, zu deren Ehrenrettung sogar ein weichgestimmter deutscher Idealist wie Jean Paul mit begeisterte Hymnen eingetreten ist. Freilich, sie lebte in einer Zeit, in welcher der politische Mord gesetzmäßig organisiert war und eine Schreckensherrschaft mit der stets bereiten Guillotine die widerstrebenden Parteien decimierte. Und von dem blutigen Hintergrunde alltäglich gewordener Greuel hebt sich ihr Bild fast wie eine Idealgestalt ab – die schöne Mörderin neben dem häßlichen widerwärtigen Opfer; und wie oft hat man den blutdürstigen Volksheiligen Marat verdammt und die jungfräulich-reine und edle Charlotte Corday gepriesen!

Der Größenwahn eines Herostrat, der sich einen Namen machen wollte, indem er den Tempel der Diana in Ephesus in Flammen steckte, hat vielen das Messer und das Mordgewehr in die Hand gedrückt, um mit dem Untergang gekrönter Häupter ihren Namen zu verknüpfen und ihm Dauer zu verschaffen. Sehr viele, die den Entschluß zu solcher That aus der eigenen Brust schöpften, litten an solchem Größenwahn; aber auch von denjenigen, die nur als Werkzeuge geheimer Verbindungen, als ausgeloste Vollstrecker eines von jenen gefällten Todesurteils zur Mordwaffe griffen, berauschten sich an dem Gedanken eines Nachruhms, der einem solchen verbrecherischen Heldentum ein dauerndes und bei Gleichgesinnten rühmliches Angedenken sichert.

Wenn wir hier die Reihe der politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert vor uns vorüberziehen lassen, so haben wir von vornherein eine Anzahl solcher auszuscheiden, bei denen keinerlei politisches Motiv dem Angreifer die Hand führte und die nur um deswillen unter den politischen Attentaten aufgezählt zu werden pflegen, weil sie eine hervorragende politische Persönlichkeit zum Ziel hatten. Aus Privatrache schoß der ehemalige Bürgermeister Tschech am 26. Juli 1844 auf König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, und der Sattlermeister, der am 26. März 1854 den verlotterten Herzog Karl III. von Parma inmitten vieler Zuschauer mit einem Dolche durchstieß, grollte dem Herzog, weil er von ihm öffentlich eine Ohrfeige erhalten hatte. Jener Gaiteau, der am 2. Juli 1881 den Präsidenten der Vereinigten Staaten James Garfield zu Washington mit seinem Revolver auf den Tod verwundete, war nichts anderes als ein mißvergnügter Stellenjäger, der seine Unzufriedenheit am Staatsoberhaupte ausließ. Vollends außer Betracht fallen die fruchtlosen Versuche einiger Irren, die der Größenwahn auf die Glorie des Königsmörders erpicht machte. Angriffe solcher Art hat insbesondere die Königin Viktoria von England eine ganze Reihe erlebt; auch der ehemalige Unteroffizier Sefeloge, der am 22. Mai 1850 die Hand wider Friedrich Wilhelm IV. erhob, war irrsinnig.

Auch wenn wir diese Fälle beiseite lassen, wenn wir ferner absehen von Mordthaten, die in offenem Aufruhr begangen wurden, wie jene, denen der Graf Latour in Wien, der General Auerswald und der Fürst Lichnowsky in Frankfurt, Graf Rossi, der päpstliche Minister in Rom, im Revolutionsjahre 1848 zum Opfer fielen – so ist die Kette von Attentaten, die sich durch das neunzehnte Jahrhundert hindurchzieht, noch immer erschreckend groß. Frankreich, das Land der politischen Umwälzungen, ist besonders reich daran. Das Attentat auf den ersten Konsul Bonaparte am Weihnachtsabend des Jahres 1800 eröffnete den Reigen. Wegen seiner Folgen gehört es mit in unser Jahrhundert. Seine Anstifter sind unter den königstreuen Chouans zu suchen, unter den Landsleuten und Gesinnungsgenossen George Cadoudals, der aber selbst an diesem Attentat nicht beteiligt scheint. Ein früherer Marineoffizier Namens St. Rejant fertigte mit zwei Genossen eine Höllenmaschine an, die aus einem mit Kartätschenkugeln geladenen Pulverfaß bestand. Am Weihnachtsabend, als Bonaparte in die Oper fuhr, um Haydns „Schöpfung“ zu hören, führten die Verschworenen das Faß auf einem mit einem Pferde bespannten Karren an die engste Stelle der Straße St. Nicaire, durch welche der Wagen des Konsuls durchfahren mußte. St. Rejant blieb allein zurück und beging noch die empörende Grausamkeit, das Pferd von einem fünfzehnjährigen Mädchen halten zu lassen. Als der Wagen Bonapartes sich näherte, zündete St. Rejant die Lunte an und entfloh. Doch die Lunte brannte zu langsam und der zufällig betrunkene Kutscher des Konsuls fuhr zu rasch, so daß, als die Explosion erfolgte, der Wagen schon vorbei und durch eine Umbiegung der Straße gedeckt war; nur die Fenster der Karosse zersprangen, das Mädchen und das Pferd aber sowie die nächsten Häuser flogen in die Luft. St. Rejant und der eine seiner Genossen mußten das Schafott besteigen; nur der andere entkam.

Den Versuch, der 1800 mißlungen war, wiederholte Cadoudal persönlich einige Jahre darauf mit ebensowenig Erfolg. Im Jahre 1803 hielt er sich verkleidet in Paris auf, wohin er mit gleichgesinnten Edelleuten und Chouans gekommen war. In seiner Begleitung befand sich Pichegru, ein General der Republik, und auch Bonapartes Nebenbuhler, Moreau, nach jenem der gefeiertste Kriegsheld Frankreichs, wußte von der Verschwörung. Allein Fouché, obschon damals nicht Chef der Polizei und beiseite geschoben, weil er in den Augen vieler anständigen Leute mißliebig war, entdeckte durch seine Agenten die neue Verschwörung, die von einigen eingeschüchterten Genossen verraten wurde. Cadoudal wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet (26. Juni 1804); General Pichegru erdrosselte sich selbst im Gefängnis.

So groß später der Haß war, den der siegreiche Imperator bei den besiegten und unterdrückten Völkern gegen sich entflammte, so nahte sich ihm doch nur ein einziges Mal die Gefahr, ermordet zu werden. Es war nach den blutigen Schlachten von Aspern und Wagram im Jahre 1809; Napoleon leitete in Schönbrunn die Friedensunterhandlungen mit Oesterreich; da suchte am 13. Oktober ein Deutscher aus Naumburg, der Predigersohn Friedrich Stapß, ein achtzehnjähriger Jüngling, sich in verdächtiger Weise der Person des Imperators zu nähern; man nahm ihn fest und er gestand, er habe Napoleon als den Verderber des deutschen Vaterlandes umbringen wollen. Der Kaiser fragte ihn, ob er ein Narr oder ein Illuminat sei; er erklärte, er sei kein Narr und wisse nicht, was ein Illuminat sei. Napoleon wollte ihm verzeihen und ihm das Leben schenken. „Ich will keine Verzeihung,“ sagte Stapß. „Würden Sie mir nicht danken, wenn ich Sie begnadigte?“ „Ich würde Sie doch zu töten suchen,“ versetzte der Jüngling. Erbittert über diesen Trotz, ließ ihn der Kaiser erschießen.

Während im Westen Napoleons Stern noch im Aufsteigen begriffen war, ward im Osten Europas ein Beherrscher des mächtigen russischen Reiches das Opfer einer Palastverschwörung. Der Zar Paul I. war, obwohl nicht ohne gute Anlagen, unter dem Druck furchtbarer Lebenserfahrungen zu einem Despoten schlimmster Sorte ausgeartet. Jene Mischung von Großmut und Mißtrauen, von hochherzigen Anwandlungen und asiatischen Sultanslaunen, die seine innere und äußere Politik so schwankend und unberechenbar machte, prägte sich am allerpeinlichsten im persönlichen Verkehr aus. Infolgedessen bildete sich eine Verschwörung, deren Haupt Graf Peter Pahlen, damals der einflußreichste Mann in des Kaisers Umgebung, war und deren Fäden bis in die kaiserliche Familie sich erstreckten. In der Nacht des 23. März 1801 drangen die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_746.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)