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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

die Herrschaften treten in die auf S. 763 abgebildete Vorhalle, aus der zwei von mehreren Steinballustraden begleitete Treppenarme in das Hauptgeschoß führen. Zwei weitere Portale an den beiden nach Nord und Süd gelegenen Schmalseiten vermitteln den übrigen Verkehr – man gelangt durch beide zunächst in das Erdgeschoß. Hier finden wir wieder mehrere Sitzungssäle, das Archiv, die Botenmeisterei, Garderoben, die Wohnungen des Hausmeisters und des Pförtners, die Durchfahrt zwischen den beiden Höfen, die Küche und Nebenräume der Restauration, die bereits erwähnten Gemächer der Stenographen, die Druckerei und endlich eine Wartehalle für das Publikum. Dieses tritt durch das Nordportal ein, und von der Wartehalle führt dann eine Treppe unmittelbar in den Vorraum der Tribüne.

Das Buffett in der Restauration.

Damit wäre unsere Wanderung zu Ende. Es konnte leider nur eine flüchtige Wanderung sein, die uns nicht einmal gestattete, bei allen Hauptpunkten des Riesenwerkes so lange zu verweilen, wie wir’s gern gethan hätten. Aber der Zweck dieser Zeilen war ja nur, dem Leser skizzenhafte Linien vorzuführen so ausgewählt, daß sich ihm in den Hauptzügen doch ein klares Bild dieses Monumentalbaues gestaltet, der das größte moderne deutsche Bauwerk ist. Im übrigen muß man eben unserer Versicherung glauben, daß wir von den interessanten Einzelheiten nur einen winzigen Teil vorbringen konnten. Man braucht in dem gewaltigen Hause nur irgendwohin seine Augen zu richten und man sieht gewiß etwas Bemerkenswertes. Da geht man eine Treppe hinauf und staunt über die allerliebste weiße Schnur, die die Geländersäulen in der halben Höhe miteinander verbindet. Aber die Knoten sind nicht geschlungen – die Schnur ist von Stein. Und da wieder sieht man eine Wandmalerei, in der ein Dürersches Motiv in reizender Weise verwertet ist, dort lockt ein origineller Kamin zum Verweilen. Und wie viel ließe sich über den plastischen Schmuck des Inneren und Aeußeren sagen, an dem Künstler beteiligt sind wie O. Lessing, R. Begas, R. Diez, Schaper, H. Voltz, Widemann, A. Brütt, Eberlein, Schierholz, Maison, S. Eberle, Behrens, Klein, Vogel und andere! Wie hübsch ließe sich noch über das Material plaudern, das aus fast allen „steinreichen“ deutschen Gauen zusammengeholt wurde – auch Elsaß-Lothringen hat das Seine zum Bau des deutschen Reichstagshauses beigetragen, ebenso wie unser Kolonialbesitz, der mit Holz für Thüren und Getäfel vertreten ist. Die Damen würde gewiß auch ein Blick in die Küche fesseln, in der nur mit Gas gekocht wird, und die Herren würde es freuen, des Näheren zu erfahren, wie Wallot einige Disharmonien der Dekoration vertrauensvoll dem Raucheifer der Herren Abgeordneten überläßt. „Wenn da erst einmal tüchtig gedampft worden ist,“ meinte er kürzlich, „dann wird es auch so gut zusammenstimmen wie in den alten Bauwerken.“ Endlich würden die Einrichtungen für das elektrische Licht – das Haus wird ausschließlich elektrisch beleuchtet – und die Heizungsanlage, die sich außerhalb des Gebäudes befindet und durch einen Tunnel, in dem die Rohre laufen, mit dem Keller verbunden ist, eine Besprechung verdienen. Aber unser Raum ist erschöpft; nur noch einem Wunsch sei Ausdruck gegeben: möge nunmehr das neue Reichstagshaus eine seiner würdige Umgebung erhalten, möge der „Königsplatz“, nach dem die Hauptfassade geht, einst einen Ausbau finden, wie ihn die unvergleichlichen Plätze der italienischen Städte gefunden haben. Dann erst wird auch das neue Reichshaus auch außen hin zu rechter Wirkung kommen.


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Der Winter in der Kinderstube.

Von meinen Fenstern blicke ich in einen Garten – nicht nur das Grün seiner Bäume und die bunten Farben seiner Blumen haben im Sommer mein Auge erfreut; ich habe in dem Garten auch liebe Bekannte und Freunde gefunden, deren Thun und Treiben ich oft zuschaute; hoch in den Kronen der Linden und Kastanien waren es lustige Vöglein und tief unten auf dem Rasenplatze und dem Sandhaufen die drei Kinder meines Gegenüber, ein Mädchen im Alter von zwei Jahren und zwei um je ein Jahr ältere Buben.

Nun ist es still und öde in dem Garten geworden; der Herbst geht zur Neige, gefallen ist das Laub von Zweig und Ast; Nachtfröste haben auch die Spätblumen getötet; verschwunden sind die Stare und still ist es auf Rasenplatz und Saudhaufen geworden. Vom trüben Himmel fallen die ersten Schneeflocken nieder; sie verkünden den Eintritt des rauhen Winters, der das Antlitz der Natur und die Lebensgewohnheiten der Menschen verändert und auch die kleinen Kinder, die sich in der schönen Jahreszeit so oft und lange im Freien umhergetummelt haben, zu Stubengefangenen macht. Ihr Reich, in dem sie jetzt weben und leben, ist die Kinderstube.

Unsere Nachbarinnen bedauern die armen Würmer, daß sie eine so ängstliche, übersorgsame Mutter besitzen. Die Nachbarinnen lassen noch ihre Kleinen in Hof und Straße umhertummeln; sie wollen kein verweichlichtes Geschlecht erziehen, aber ihre Kritik rührt nicht die Leute von gegenüber, und die alte Großmutter, die dort drüben trotz der hohen Jahre als feste Hausstütze mit Rat und That waltet, will nichts von der Abhärtung so kleiner Kinder im Winter wissen. Sie ist auf dem Lande groß geworden und erwidert mit dem Sprichwort: „Kinder und junge Puten muß man warm halten. Kommt Zeit, kommt Rat.“

Ganz und gar hält sie ihre Enkel nicht gefangen, die jungen Puten werden auch ausgeführt, aber vorher hat die Großmutter das Wetter geprüft und nach der Windfahne auf dem benachbarten Kirchturme geschaut. Eine originelle, wohl etwas eigensinnige alte Frau, meinen die jüngeren Mütter, gestern mußten die Kleinen zu Hause bleiben, obwohl der Himmel blaute und die Sonne hell niederstrahlte! Heute schneit es und die Kleinen von unserem Gegenüber gehen wirklich spazieren.

Da rollt ein Wagen durch unsere stille Straße; er hält vor dem Thore des Nachbarhauses; es ist der Wagen des Arztes. Wer ist wohl in dem Hause krank geworden? Dort oben im zweiten Stocke liegt einer der pausbäckigen Buben, die sich gestern an dem schönen klaren Tage im Freien umhertummelten, fiebernd im Bettchen. Betrübt steht die junge Mutter da, denn den lieben kleinen hat eine Lungenentzündung befallen. Er hat sich das schwere Leiden in dem schönen, aber trügerischen Winterwetter geholt.

„Kinder und junge Puten muß man warm halten!“ Wenn die Mütter über den Einfluß der kalten Luft auf die zarten Kinder besser unterrichtet wären, wie viel Kummer und Sorge, wie viel schlaflose Nächte

würden ihnen erspart bleiben! Der Winter ist eine harte Jahreszeit und alljährlich rafft er zahlreiche Kinder dahin, die an Katarrhen und Entzündungen der Atmungsorgane zu Grunde gehen. Wie wir im Sommer die Kinder vor allem vor Darmkrankheiten beschützen müssen, sollten wir im Winter von ihnen alle Erkältungsursachen fern halten. Leider aber herrschen im Publikum vielfältig sehr unrichtige Vorstellungen über die Zuträglichkeit des Winterwetters für jüngere Kinder. Professor Brücke hat darüber etwa folgendes gesagt: Ist einmal die Temperatur unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_766.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2023)