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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

geworden, jedoch erst, nachdem Gustav Adolf die jedenfalls gegen ihn sich verbündenden Reichsfürsten besiegt gehabt hätte.

Es war der Träger weltumfassender Pläne, der an jenem 16. November 1632 dort in der Nähe von Leipzig, in der für die Schweden siegreichen Lützener Schlacht von den Pistolenschüssen kaiserlicher Kürassiere in den Staub gestreckt wurde. In der Morgenfrühe dieses Tages hatte Gustav Adolf noch an der Spitze seiner Offiziere und seines Heeres um den Sieg gebetet, ein Augenblick, der von je die Künstler und so auch den Maler unseres Bildes auf Seite 808 und 809 zur Darstellung gereizt hat; wenige Stunden später war der König, auf den Tod getroffen, im dichtesten Handgemenge gestürzt. Und mit ihm war auch sein Vorhaben, seine Tochter mit dem Sohne des Kurfürsten von Brandenburg, dem nachmaligen Großen Kurfürsten, zu vermählen, zu den Toten gebettet.

Die Geschichte hat andere Bahnen eingeschlagen als die von Gustav Adolf erträumten, aber was er war und gethan, hält sie in ruhmvoller Erinnerung. Als ein ritterlich schöner, selbst vieler Feinde Herzen mit unwiderstehlichem Zauber bestrickender Held lebt er im Gedächtnis der Nachwelt, ein echter Germane, wie er sich denn mit Vorliebe einen Goten nannte, jeder Zoll ein König, der aber darum selbst unter den Schrecken des Krieges nie aufhörte, ein natürlicher, in sich harmonischer Mensch zu sein.


Zeit bringt Rosen.

Novelle von Stefanie Keyser.

      (Schluß.)

Guten Morgen, Fräulein Raunthal.“ Holl stand mit gezogenem Hut neben Gabriele. „Ich komme, mich zu empfehlen.“

Es überraschte sie kaum noch, sie hatte es befürchtet. Sie bot ihm einen der zierlichen Gartenstühle. Er nahm Platz, so daß er den Fenstern den Rücken kehrte.

„Haben Sie Ihre Kur schon beendet?“ fragte sie.

„Man muß manchmal ein Ende machen,“ erwiderte er. „Ich gedenke morgen mit Schersen abzureisen und werde den Rest meines Urlaubs in einem andern Bad zubringen. Dann geht es wieder stramm in den Dienst.“ Er sprach laut, offenbar bemüht, eine innere Bewegung nicht merken zu lassen.

Die Stirn leicht auf ihrer Hände Werk gesenkt, sagte sie: „Wer es doch auch so gut hätte! Das Ziel klar vor Augen, ebenso den Weg, der dahin führt.“ Und da er sie überrascht ansah, lächelte sie, strickte zwei und zwei zusammen und fuhr in leichtem Tone fort: „Ich weiß nämlich im Augenblick mit meiner Novelle nicht aus und ein. Mein Paar ist nicht zu vereinigen.“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „So trennen Sie es!“

Gabriele wiegte das Haupt „Nein! Selbst Goethe hat gesagt, während er sein Gedicht zu gutem Ende führte: ,die Kinder, sie hören es gerne‘.“ Er sah sie prüfend an. „Wer zeigt sich denn am störrischsten?“ fragte er langsam.

„Sie!“

„Ich?“ fuhr er auf.

„Ich meine die Tochter des Pfannherrn,“ berichtigte Gabriele. „Sie ist das verwöhnte einzige Kind – eitel, müßig, selbstherrlich.“

Ihm wurde die Halsbinde zu eng bei dieser Geschichte, die ihn nichts anging, nichts angehen sollte. Ohne darauf zu achten, fuhr Gabriele fort: „Er dagegen ist ein fester ernster Charakter. Sonst hätte er es nicht in jungen Jahren allein durch seine Kraft so weit gebracht.“

Holl machte eine Bewegung, als wollte er sich dankend verbeugen; er bezwang sich noch zu rechter Zeit.

„Die ahnende Empfindung,“ sprach Gabriele weiter, „das Untrüglichste im Menschen, zieht sie zueinander. In ihm ist es das unbewußte Gefühl, daß seine durch strenge Selbsterziehung gezügelte Natur in äußerlicher Form zu versteinern drohe.“

Holl zuckte leise, wie getroffen, zusammen. Gabriele ließ sich nicht beirren. „Darum entscheidet sein Herz für sie, die mit ihrer frischen Ursprünglichkeit ihn vor Einseitigkeit bewahren würde.“

„Sie stehen ganz auf der Seite Ihrer Heldin,“ sagte Holl verletzt.

„Wer stände nicht auf der Seite der Schwächeren, der Besiegten?“ entgegnete Gabriele. „Von ihm weiß man: er kommt darüber hinaus durch ein neues Räderwerk –“ Holl sah sie an, als sei sie irre geworden. „– das er für den Salzborn erfindet,“ erklärte sie ruhig. „Nun ja, er ist doch Salzschreiber!“

„Ach, so!“

„Aber sie? Während er schon mit fester Hand den Strich unter dieses Erlebnis gezogen hat, fängt sie an, nach seinem Wunsch sich zu wandeln. Sie trennt die Silberglöckchen von ihrer Schleppe, weil er den hoffärtigen Aufruhr nicht leiden mag, Sie lernt sein Leibessen, die Kiebitzeier, sieden, die es in dem wasserreichen Thal giebt, und wenn die fürnehmen ledigen Gesellen, welche die Stadt beherbergt, die Augen auf sie werfen, da schlägt sie die ihrigen sittig nieder. Soll das vergeblich sein? Wäre es nicht richtiger, wenn der Salzschreiber bedächte, daß eine Rose Sonnenschein braucht, um zu blühen, daß zu jedem Werk Geduld gehört, nicht nur – Schneidigkeit? Ach nein, das Wort kannte man vor vierhundert Jahren noch nicht – daß man mit einer Frau nicht verfährt wie mit –“

„Na, sagen Sie nur: wie mit einem Rekruten,“ brummte er.

„Wie mit Siedemeistern und Bornknechten“ setzte Gabriele hinzu, als habe sie nicht gehört. „Er hat es vergessen, daß in diesem Verhältnis die Natur das letzte Wort spricht, nicht das –“

„Ich weiß ja schon: das Reglement,“ warf er murmelnd ein.

„Das Salzgericht. Und daß wir als Menschen, nicht als – Salzschreiber auf die Welt gekommen sind. Bis hierher bin ich gelangt. Die Spannung wäre da, aber der befriedigende Schluß?“ Sie sah ihn an. Er starrte düster vor sich hin. Gabriele seufzte. „Vielleicht weiß Herr von Schersen eine Lösung,“ wandte sie sich an diesen, der eben, einen Zug leichter Befangenheit im Gesicht, herankam.

„Eine Lösung?“ sagte er unsicher. „Wir reisen ab.“

Sie schien das abermalige Mißverständnis zu überhören. „Es handelt sich um die kleine Novelle, die ich zu spinnen begann, als ich einmal abends allein in der Kräme spazieren ging.“

Er wurde rot; aber seine Mienen sollten andeuten, daß er sich nicht erinnern könne.

„Ich möchte meine Erzählung zu einem guten Ende führen. Das Gesetz, das ein versöhnendes Ausklingen für die Kunst vorschreibt, ist dem höheren abgelauscht, das über der Menschheit waltet. Jede Dissonanz, die das Leben bietet, löst sich endlich in Harmonie auf, ob diese auch oft ernst und erst nach langen Zeiträumen ertönt. Wohl uns, wenn es in unsere Hand gelegt wird, das ,zu spät‘ zu vermeiden!“ schloß sie sehr ernst.

Einen Augenblick blieb es still. Dann erhob sich Holl jäh, als mache er allem Schwanken gewaltsam ein Ende. Die Augen niedergeschlagen, daß man nicht in ihnen zu lesen vermochte, stand er vor Gabriele. „Falls wir uns nicht wiedersehen sollten“ – gegen seine Gewohnheit sprach er den Satz nicht aus. Eine tiefe Verbeugung beendete ihn. Er ging rasch fort. Auch Schersen empfahl sich. Aber in seinem schönen Gesicht war die Sympathie wieder aufgedämmert, die er nun einmal für Gabrieles Wesen empfand. Sie sah ihnen traurig nach. Alles vergebens – es war aus! Gut enden würde nur ihr salziges Geschichtchen.

Als sie dem unerbittlichen Hauptmann den Salzschreiber als Spiegelbild vorhielt, war ihr der Schluß gekommen, wie das der meteorartigen Natur der Einfälle entspricht: unvermutet, zu einer Zeit, da man ihrer nicht gewärtig ist. Sie hatte das hübsche Bild deutlich vor sich gesehen: den Platz am Salzquell, zum alljährlich gefeierten Fest mit Laubgewinden geschmückt, den jungen Salzschreiber in seiner prächtigen geteilten Tracht – halb wie dunkelnder Nachthimmel, halb wie lichte Morgenröte – für die Pfännerschaft das Borngebet sprechend, während das von ihm erfundene Kunstrad angelassen wurde; die Schar der Jungfrauen, an deren Spitze die schöne goldhaarige Maid aus der Kräme heranschritt, um ihm den Dank der Pfannherren zu überreichen. Grelles Geklingel geleitete sie wie immer. Höher richtete er sich auf. Aber da legte sie ihm eine güldene Kette um den Hals, mit Silberschellen verziert. Sie selbst schritt lautlos dahin – sie hatte ihre hoffärtigen Glöckchen an seinen Halsschmuck gestiftet, ihren Stolz ihrer Liebe geopfert. Unter St. Wolfgangs Fahne fügten sie Hand in Hand.

Ach, die freundliche Vorstellung zerflatterte, von der Wirklichkeit rauh angeblasen! Nur in der Phantasie vermochte sie die Liebenden zu vereinigen; im Leben lag ihr ob, einem jungen bangenden Herzen zu verkünden, daß es nichts mehr zu hoffen

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