Seite:Die Gartenlaube (1894) 839.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

es wird ihnen gesagt, der heilige Christ habe dasselbe über Nacht gebracht. Das Bündel heißt „Christbürde“ und dabei fehlt niemals die „Christrute“, die vordem der Heilige Christ als Nachfolger des heiligen Martin und Nikolaus geführt hatte. Ursprüglich ein Segenszweig oder Segensbäumchen, hatte sie dann die Bedeutung eines Zuchtmittels bekommen und steht neben anderen Schulsachen, welche den Kindern geschenkt werden. Dann erhalten die Kinder ihre Geschenke auch im Abendgottesdienst selbst. Eine Liste aus dem Jahre 1584 zählt davon auf: Klappern, Kästchen, Kleidet, Störche, Schäfchen, Pferdchen, Wägelchen, Aepfel, Birnen, Nüsse und Honigkuchen. Nach und nach werden die Weihnachtsgeschenke für Kinder zum Luxusartikel. Die aufblühende Industrie bemächtigt sich ihrer und gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts hin wird der alte Nikolausmarkt zum Weihnachtsmarkt und bietet eine übersichtliche Schaustellung alles dessen, was Große schenken können und was Kleine erfreut. Zahl und Umfang der Weihnachtsgaben wachsen, und damit wird es zur Unmöglichkeit, die Gaben in Bündel einzuschnüren und sie die Kleinen früh beim Erwachen am Bettchen finden zu lassen. Auf dem Tische bauen sie sich nunmehr auf, erst in Schüsseln, dann auf weißem Tuche, und so entsteht zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die moderne Weihnachtsbescherung mit ihrer aufgebauten Gabenfülle, ihrem Lichterglanz und ihrem – Weihnachtsbaum.

Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimat? so habe ich die Leser der „Gartenlaube“ vor sechs Jahren an dieser Stelle gefragt (in Nr. 49 des Jahrganges 1888) und ihnen erzählt, was ich davon wußte. Dann bin ich noch einmal darauf zurückgekommen („Noch einmal auf den Spuren des Weihnachtsbaumes“, 1889, Nr. 51), ohne eine endgültige Antwort darauf geben zu können. Was die Forschung bis in das vorige Jahr darüber festgestellt hatte, konnte ich dann in meinem Buch „Die Geschichte der deutschen Weihnacht“ zusammenstellen, das inzwischen im Verlag der „Gartenlaube“ erschien. Heute weiß ich, woher der Weihnachtsbaum stammt, und daher will ich den Lesern der „Gartenlaube“ zu den anderen auch noch dies Weihnachtsgeheimnis verraten.

Das Aufrichten eines Segensbäumchens zum Schutze gegen unholde Gewalten ist ein alter Brauch der arische Völker. Der Brauch scheint an keine bestimmte Zeit im Jahre gebunden gewesen zu sein, sondern war an festlichen Tagen aller Art üblich. Der Maibaum und der Erntemai, das Eierbäumchen der Osterzeit und das Martinsbäumchen, sie alle stammen von jenem alt-arischen Segensbäumchen ab, und die Dorflinde als Ortsheiligtum, als Mittelpunkt der Gemeinde, als Ratsstelle und als Schirm des Tanzplatzes ist wohl ebenfalls mit ihm verwandt. Im Frühling wird das Segensbäumchen dargestellt durch einen blühenden Busch, im Herbste durch einen blättertragenden Zweig, den Bänder schmücken, und im Winter durch ein immergrünes Nadelholzstämmchen, an dem allerhand bunte Flitter hängen, oder auch durch ein künstliches Gebäu aus kahlen Ruten oder Aesten, an dem Wintergrün, bunte Eier, Schnitzel und Lichter befestigt sind. Die Sage von den blühenden Bäumen der Weihnacht verbindet den blühenden Busch zuerst mit der dunkelsten Zeit des Jahres, und der 24. Dezember als der Tag „Adam und Eva“ giebt mit seinen kirchlichen Paradiesspielen und ihrem Lebensbaum einen weiteren Anlaß zur Verknüpfung des blühenden oder Frucht tragenden Busches mit dem eben entstehenden deutschen Weihnachtsbaum. Als sich dann seit dem fünfzehnten Jahrhundert eine ganze Fülle Winteranfangsbrauch und Winteranfangsglaube vom Martinsfest auf Weihnachten zu verschieben begann, da brachte der heilige Martin, der bis dahin nur an seinem eigenen Tage sein Martinsbäumchen herumgetragen und es schließlich im Hause aufgepflanzt hatte, dasselbe auch mit nach Weihnachten. Und als er dann zum heiligen Christ umgewandelt wurde, behielt er’s bei, und es ward in seiner Hand zur Christrute, die wir samt ihrer neuen pädagogischen Bedeutung schon kennenlernten. Hier und da bekamen die Kinder den Busch mit den Christbürden zum Spielen und zur Vermahnung. Anderorts ward er schön geschmückt im Hause aufgerichtet und von den Kindern bestaunt, begrüßt und schließlich – abgeleert. Statt der alten Schnitzel fand sich jetzt Zuckerwerk, fanden sich Aepfel und Nüsse auf seinen stachligen Zweigen. Der erste solche Weihnachtsbaum ist uns 1604 in Straßburg bezeugt. Vier Menschenalter später sind die Lichter, die ehedem unter ihm brannten, auf seine Zweige emporgestiegen, und nach weiteren fünfzig Jahren giebt ihm Goethe in den „Leiden des jungen Werther“ eine weltweite Verbreitung.


Blätter & Blüten.

Zu unseren Weihnachtsbildern. Bricht der Weihnachtsabend herein, senkt er die frühe Winternacht aus die Erde, dann beginnen für die Schar der Kleinen die Stunden des seligsten „Langens und Bangens in schwebender Pein“. Freilich nicht alle hat das Christkind in gleicher Weise bedacht und manche kleine Hand streckt sich vergebens nach den erträumten Herrlichkeiten aus. Vielfach aber hat die Volkssitte dafür gesorgt, daß auch die bedürftigen Kinder an dem frohen Feste nicht leer ausgehen, namentlich auf dem Lande erinnern von alters her allerlei weihnachtliche Bräuche die Herzen an die Freude des Gebens. So besteht seit langer Zeit in einigen märkischen Dörfern bei Spandau, in Pichelsdorf und Tiefwerder, die hübsche Sitte, daß die unbemittelten Kinder einige Tage vor Weihnachten beginnen, beim flackernden Schein einiger Laternen, in Begleitung des Nachtwächters, vor den Häusern das Fest „einzututen'. Bis zum Heiligen Abend wird der eigenartige Brauch ausgeübt und endet dann, wie unser Bild „Weichnachtstuten in der Mark“ S. 828 weist, mit einer Belohnung der eifrigen Musikanten von seiten der Einwohner.

Freundlicher hat es das Leben mit den drei Geschwistern gemeint, die uns der Künstler S. 836 „vor der Bescherung“ zeigt. Sie können es kaum erwarten, bis die Tante sie aus ihrem Versteck hinter der Portiere erlöst, bis Vater und Mutter den Christbaum angezündet und die vom Christkind erbetenen Gaben geordnet haben – die wohlbewehrte Burg, die Arche Noäh, die Kutsche mit dem feurigen Zwiegespann. Und wenn sie dann jubelnd hervorstürzen dürfen, wenn sie mit leuchtenden Augen im Glanz der Lichter ihre Geschenke bestaunen, dann wird das trauliche Zimmer erfüllt sein von einem echten Weihnachtsglück.

Neben diesem fröhlichen Familienbild die „einsamen Weihnachten“ – welch ein Gegensatz! Und doch wirft auch in das Junggesellenstübchen dieses Einsamen ein Weihnachtsbäumchen, von der Hand der sorglichen Hauswirtin angezündet, seinen freundlichen Schimmer. Vielleicht daß der, der da so verlassen an seiner Arbeit sitzt, am heutigen Abend daheim von Eltern und Geschwistern schmerzlich erwartet wird, allein seine Lage gestattet ihm nicht, die Seinen aufzusuchen. Ihm wird es nicht so gut wie dem jungen Weltreisenden auf unserem Bilde S. 832 und 833, dessen „Heimkehr“ zum Weihnachtsabend das willkommenste Geschenk für seine Eltern ist. In banger Sorge haben Vater und Mutter und Schwester die Briefe gelesen, in denen er von seinen Abenteuern im fernen Afrika berichtete, und selbst die kleine Nichte hat kindlich teilgenommen an dieser Sorge um den „großen Onkel“. Und nun steht er mitten im Kreis der Seinen, wohlbehalten mit offenen Armen von allen begrüßt. Auch der alte Diener des Hauses nimmt tief gerührt Teil an dem frohen Ereignis, wenn er auch seine geheimen Bedenken über den schwarzen Konkurrenten hegt, den ihm sein Herr zu Weihnachten mitgebracht hat. Aber dieser verborgene Druck wird bald von seiner Seele gewichen sein, wenn er erkannt hat, wie willig sich der neue Ankömmling von ihm kommandieren läßt, und auch in der Gesindestube wird dann zu finden sein, was das Weihnachtsfest überall bringen soll: Frieden und Wohlgefallen. – Eitel Wohlgefallen hat das Fest auch dem schneidigen Einjährig-Freiwilligen gebracht, den unsere farbige Kunstbeilage auf der Schlittschuhbahn zeigt. Diensteifrig benutzt der junge Bayer seinen „Weihnachturlaub“ dazu, im Glanz seiner Uniform und einer unbegrenzten Liebenswürdigkeit das Herz seiner hübschen Cousine zu erobern, und wer weiß – vielleicht erringt er sich da ein Weihnachtsgeschenk für das ganze Leben!

Der Cottasche Musenalmanach hat sich in der künstlerisch anmutenden Gestalt, die er bei seinem Wiederaufleben im Verlage der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger erhalten hat, so viele Freunde erworben, daß der eben erschienene fünfte Jahrgang sich von vornherein warmer Sympathien erfreuen darf. Die kritische Prüfung des schönen Bandes, der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_839.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2022)