Seite:Die Gartenlaube (1894) 873.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Katharina deutlich. Das reichte hin, den Zorn der Kaiserin zu erregen. Bestushew fiel samt Apraxin in Ungnade, er wurde verhaftet und verlor seine Stelle, und die Großfürstin bekam von der Kaiserin so schlimme Worte zu hören, daß sie diese bat, ihr die Rückkehr nach Deutschland zu gestatten. So weit wollte Elisabeth die Sache jedoch nicht treiben, um so weniger, als der Großfürst den Plan der Entfernung seiner Gemahlin mit Freuden aufgriff, um statt ihrer ein Fräulein Woronzow heiraten zu können. So verlangte Elisabeth nur, daß die Leitung der holsteinischen Regierung, die ihr für die Großfürstin als eine Versuchung zur Machterweiterung erscheinen mochte, von dieser aufgegeben werde; im übrigen ging der Sturm ohne dauernden Nachteil für Katharina vorüber.

Am 5. Januar 1762 starb die Kaiserin Elisabeth, und der Großfürst bestieg als Peter III. mit seiner Gemahlin den Kaiserthron. Wohlgemeinte Warnungen Friedrichs des Großen hielten den neuen Herrscher, wie er einmal beschaffen war, von Thorheiten nicht ab. „Die Kaiserin befindet sich in einer grausamen Lage,“ schrieb der französische Gesandte Breteuil, „und wird mit der ausgezeichnetsten Verachtung behandelt. Sie erträgt das Benehmen des Kaisers gegen sie und den Hochmut des Fräuleins Woronzow mit großer Ungeduld. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Kaiserin, deren Mut und Heftigkeit ich kenne, nicht früher oder später zum Aeußersten greifen sollte. Sie hat Freunde, welche, wenn sie es verlangt, alles für sie wagen würden.“ Eine unmögliche Regierungsweise vor Augen, scharten sich die russischen Großen wie von selbst um Katharina. Die drei Grafen Orlow mit ihrem großen Anhange unter den Offizieren, der Graf Panin, die Fürstin Daschkow übernahmen es, der Kaiserin die Herrschaft zu sichern, und diese hatte außerdem die öffentliche Meinung im russischen Volke für sich. Am 10. Juli 1762 wollte Peter seine Gemahlin und ihren Sohn gefangen setzen und sie in ein Kloster bringen lassen; unmittelbar darauf sollte seine Trauung mit Fräulein Woronzow stattfinden. Nun galt es, handelnd ihm zuvorzukommen. In der Nacht zum 9. Juli fuhr Katharina von Peterhof nach der Hauptstadt und ließ sich in den Kasernen und in der Kathedrale huldigen. Der Kaiser erfuhr in Peterhof, daß er zu regieren aufgehört habe, und fügte sich in sein Schicksal. Er wurde in das Landhaus zu Ropscha gebracht; später sollte er in Schlüsselburg in Haft gehalten werden. Allein acht Tage später wurde er, wahrscheinlich von Alexei Orlow, in Ropscha ermordet. Katharina durfte nicht wagen, die Ermordung ihres Gatten zu bestrafen, aber es darf ihr nicht zur Last gelegt werden, daß sie sie angeordnet oder auch nur vorher gewußt und gebilligt habe.

So wurde aus der „Fieke“ von Zerbst die Kaiserin Katharina II. von Rußland.


Der Böse.

Von Hermine Villinger. Mit Illustrationen von A. Seligmann.

     (Schluß.)

Ueber den Suldenferner ging’s hinüber zum Cevedale, und von da in die jenseitige Welt, den Thälern zu, wo die Orangen blühen. Der Hans Sepp lief immer hinter den Männern her; nun aber, da er die Heimat im Rücken hatte und das kleine Thal seinen Blicken entschwunden war, sah’s gar jämmerlich in seinem Innern aus; blutenden Herzens sehnte er sich nach seiner öden Hütte, nach seinem Hund, der ihn verlassen hatte; daß Fex es gethan, daß der Hund ihm nicht nachkam, daraus ersah Hans Sepp erst recht die Größe seiner Schuld.

Drunten in der Osteria cines kleinen italienischen Dorfes trennte sich der Herr von seinen Führern, und auch diese gingen jeder seines Wegs. Der Hans Sepp aber wich nicht von der Seite des dunkelbärtigen Felice, und dieser ließ ihn lachend gewähren.

Es war eine wunderbare Welt, die sich vor dem kleinen Hochländer aufthat, ihm so unbegreiflich mit ihrem südlichen Sonnenschein, ihrer Lebendigkeit und üppigen Farbenpracht. Aber der sonst für alles Neue so empfängliche Bursche war er nicht mehr; er ging mit einem Riß in der Seele, mit einer weit klaffenden Wunde, die ihn unaufhörlich schmerzte und ihm die Fähigkeit raubte, sich wie früher rückhaltlos seinen Eindrücken hinzugeben.

Außerhalb einer kleinen rebenumpflanzten Ortschaft lag des Felice Hütte, wie ein Schwalbennest an eine hohe Mauer geklebt, die, von dichtem Epheu umsponnen, aus einem Haufen von Schutt und Gestein ragte. Man erkannte an den bogenförmigen Eingängen der sich lang hinstreckenden Steinwand und an der zellenartigen Fensterreihe, daß es die Baureste eines alten Klosters waren, dessen Herrlichkeit allein das Pförtnerhäuschen überdauert hatte, während rings umher eine Mauer nach der andern eingestürzt war.

Felice und sein junger Begleiter mußten erst ganze Berge von Schutt übersteigen, bis sie zum Eingang der Hütte gelangten. Hier empfing sie ein ungekämmtes Weib mit einem unbeschreiblichen Aufwand von Geschrei; wieder war eine Wand zusammengefallen, und sie hatte müssen den ganzen Tag Schutt fahren, nur damit es möglich war, in das Haus zu kommen. Jetzt aber war’s an ihm, dem Felice, den Weg endgültig vom Gestein zu befreien, und sie verschwor sich hoch und teuer: nichts zu essen bekomme er, wenn er nicht arbeite.

Der Mann schob den Buben zwischen sich und das keifende Weib; den habe er mitgebracht, damit er die Arbeit thue; es sei ein hergelaufener Bursch, der froh sei über ein bißchen Essen und einen Platz hinterm Herd.

Der wurde ihm, und zu essen bekam er auch; allein so wenig verwöhnt der Hans Sepp von Haus aus war, seine kleine Hütte mit den blinden Fensterscheiben dünkte ihm ein wahres Herrenheim im Vergleich zu der vor Schmutz starrenden, über alle Begriffe unordentlichen Häuslichkeit des Felice; dieser selbst war wie ausgewechselt, that nichts als Tabakrauchen und auf der faulen Haut liegen und schickte jeden heim, der ihm seine Schuhe zum Flicken brachte; denn Felice war seines Handwerks ein Schuster, rührte aber keine Arbeit an, so lang er von seinem Führerlohn zu zehren hatte.

Wohl zwanzigmal im Tag fuhr das Weib mit dem Kopf in den kleinen Raum neben der Küche und schrie den auf einer Bank lungernden Felice an: „Thust wieder nichts, Du Faulpelz, dann

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_873.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)