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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Was geht denn hier vor?“ fragte er erstaunt. „Wo ist Frau Wodrich?“

Jetzt hatte er Franziska entdeckt, die, mit dem Rücken nach der Thür gewandt, in einem tiefen Sessel lehnte, die Hände vor das Gesicht gepreßt. Beim Klange seiner Stimme hob sie den Kopf und sah ihn an – sekundenlaug irrten ihre Augen über ihn hin, als kenne sie ihn nicht – dann stieß sie einen heiseren schluchzenden Schrei aus, streckte ihm beide Hände entgegen und wimmerte: „O helfen Sie mir, helfen Sie mir!“ Sie wollte aufstehen, aber ihre Glieder versagten den Dienst, im Nu war er neben ihr, stützte die kleine zitternde Gestalt mit seinen Armen und mühte sich ungeschickt, ihr verwirrtes Haar zu glätten. „Ruhe, mein Seelchen, Ruhe, Ruhe!“ murmelte er, von ihrem Anblick erschüttert, dann – als er sah, daß Fräulein von Hagen noch an der Thür stand, bäumte sich etwas in ihm auf, und die Hand ausstreckend sagte er gebieterisch. „Sie hätten wohl die Güte, uns allein zu lassen, Fräulein! Ihre Gegenwart bringt diesem Hause keinen Segen.“

Aurelie warf ihm einen haßerfüllten Blick zu und ging – Franzel horchte ängstlich auf die im Flur hin und hergehenden Schritte, bis endlich die Thür zur Treppe mit hartem Schlage zufiel und alles stille ward. „Sie ist fort,“ flüsterte sie aufatmend.

„Jawohl, sie ist fort – und ich werde dafür sorgen, daß sie nicht wiederkommt – niemals!“ erwiderte der Doktor ernst; dann, nach langer Pause, während er ihr Zeit ließ, sich zu beruhigen, sagte er so sanft, wie kein Mensch es ihm jemals zugetraut hätte: „Und jetzt, mein gutes Kind, werden Sie mir einmal alles beichten, was geschehen ist – wollen Sie?“

„Darf ich nicht zu Ernst? O, lieber Doktor, ich möchte zu meinem Mann,“ bat Franzel in rührender Demut, indes die Thränen in ihren großen traurigen Augen standen.

„Später, später!“ beruhigte der Arzt, der vorhin bei Ernst gewesen und aus seinem eigenen Munde gehört hatte, daß er Franziska nicht sehen wolle. „Nun, Seelchen – so reden Sie!“

Und Franzel legte ihre Beichte ab in die Hände dieses treuen alten Freundes, schluchzend und stockend bekannte sie all diese schuldlose Thorheit der letzten Wochen. Anfangs staunend und kopfschüttelnd, zuletzt ergriffen von der selbstlosen Tapferkeit dieser jungen Seele, hörte der Doktor zu. – Dann stand er auf. „Ich gehe jetzt zu Ernst. Beruhigen Sie sich, Kind – bald komme ich, Sie zu holen.“

Er ging in das Krankenzimmer zurück, wo Ernst noch immer in derselben Apathie lag. „Nun helfe mir Gott!“ sprach der alte Arzt, „wenn ihn das nicht herausreißt – dann weiß ich kein Mittel.“ Er zog sich einen Stuhl dicht ans Bett heran und sagte, den Kranken scharf fixierend: „Bitte, hören Sie einmal zu, Wodrich, und achten Sie gut auf meine Worte. Ich will mich kurz fassen – das Nähere kann Ihnen dann jemand anders erzählen. Ihre Frau – nebenbei bemerkt, eine wahre Heldin von einem Weibe – ist unschuldigerweise in eine Angelegenheit verwickelt worden, die vor Gericht zum Austrag kommen mußte. Nein, bitte, unterbrechen Sie mich nicht,“ sagte er, den Auffahrenden mit fester Hand niederhaltend. „Eine bloße Lappalie – um es kurz zu machen, die Geschichte endigte, wie sich das ja von selbst verstand, mit einer glänzenden Freisprechung. Franziska kennt aber doch Ihre Auffassung solcher Dinge, sie hat also geschwiegen, zuerst aus Angst vor Ihrem Zorn, dann wurden Sie krank, und nun – merken Sie wohl auf, Woderich! – beginnt das Heldentum dieser Frau. Sie können sich wohl denken, was das ist: eine Frau, so umsorgt, so behütet, wie die kleine Franzel von Kindheit auf war, soll vor Gericht! Wie ein Schreckgespenst steht das vor ihr, läßt ihr Nacht und Tag keine Ruh’. Aber nur nichts merken lassen! Der kranke Mann muß geschont werden. Tragen, ganz allein tragen! – So geht’s weiter. Bis die Frauen, die Rätin Lorenz ist die andere Beteiligte bei der Geschichte, ihrer Seele keinen Rat mehr wissen und einen Rechtsanwalt befragen, Doktor Sonnenthal – einen Mann, der sich vor zwei Jahren einen Korb bei Franziska geholt, trotz alledem aber ihr Freund geblieben ist. – Ruhig, Ernst! – lassen Sie mich erst ausreden!

So kämpft nun die kleine Frau ihren Kampf durch bis zu Ende; als sie mir das alles erzählte mit ihrer armen zitternden Stimme, der man noch all die Aufregung, die Angst anhörte – bei Gott, Wodrich, ich alter Knabe hätte niederknien und die kleinen Hände küssen mögen! – Darum also die verbotenen Ausgänge, darum die zwei Briefe dieses Doktor Sonnenthal. Uebrigens, aller Ehren wert! Ein Mann, der einer Frau das nicht nachträgt, sondern trotzdem ihr seine Freundschaft bewahrt – na, ich meine, den sollte sich auch der Ehemann zum Freunde machen. Solche Leute giebt’s nicht viel heutzutage!

Und Sie merken nun was und machen sich natürlich die schwärzesten Gedanken. Was, weiß ich ja nicht – kann mir’s aber vorstellen. Und um so was, um so eine elende Kleinigkeit geht beinah’ ein Menschenleben zu Grunde – jawohl, Wodrich, soweit war’s mit Ihnen! – die Frau aber schweigt, schweigt trotz allem – geht heute morgen zu Gericht, so tapfer wie ein Held, wird freigesprochen und nun wartet sie – – soll ich sie holen, Ernst?“

Er nickt nur, sprechen kann er nicht. Eine Minute später führt Doktor Böhmer Franziska ins Krankenzimmer; er sieht nur, wie Ernst seine Arme nach ihr ausbreitet, wie das junge Weib vor dem Bett in die Knie sinkt – dann schließt er leise, ganz leise die Thür. Draußen räuspert er sich, fährt mit der Hand über die Augen und sagt zu sich selber: „Ruhig, alter Kerl, ruhig! Was jetzt da drinnen verhandelt wird, das brauchen nur die beiden allein zu hören – und noch einer, ja! – Was nutzt all unser bißchen Weisheit? Wenn der dort oben nicht aufpaßte, dann wären doch jetzt die zwei Menschenleben in Stücke gegangen – und um was? Um eine Kleinigkeit!“


Blätter und Blüten


Neue Erfahrungen über die Giftwirkung arsenhaltiger Tapeten. Daß durch Tapeten, die mit arsenhaltigen Farben bemalt sind, Menschen an ihrer Gesundheit geschädigt werden können, ist schon seit langer Zeit bekannt. Unerklärlich war es aber, in welcher Weise der feste Arsenik der Farbe sich in eine flüchtige gasförmige Verbindung verwandelt, die den Bewohner des betreffenden Zimmers allmählich vergiftete. Neuerdings wurde dieses Rätsel zuerst von dem italienischen Forscher Gosio und dann durch Ch. K. Sanger aufgeklärt. Die Verflüchtigung des Arseniks wird durch bestimmte Arten von Schimmelpilzen besorgt, die sich, falls der Wohnraum feucht ist, auf und hinter der Tapete niederlassen und in dem Stärkekleister derselben einen ausgezeichneten Nährboden finden. Die Entwicklung des giftigen flüchtigen Stoffes ist am ergiebigsten, wenn in dem Nährboden des Pilzes nur wenig Arsen (etwa 1/100 bis 5/100 Prozent) enthalten sind. Sanger hat durch verschiedene Versuche die wichtige Thatsache ermittelt, daß die Schimmelpilze schon dann für den Menschen gefährliche Mengen flüchtiger Arsenverbindungen zu erzeugen vermögen, wenn in einem Quadratmeter Tapete nur acht Milligramm Arsen enthalten sind. – Diese Untersuchungen zeigen wieder, wie streng jede Anwendung irgendwie arsenhaltiger Farben zum Bemalen von Tapeten oder anderen Gebrauchsgegenständen gemieden werden muß. *      

Die weißeste Stadt der Erde ist nach dem Zeugnis des bekannten Reisenden Ernst von Hesse-Wartegg die südspanische Hafenstadt Cadiz. „Etwas Weißeres,“ sagt er in seiner Schrift „Andalusien, eine Winterreise durch Südspanien“ (Leipzig, Reißner), „kann es einfach nicht geben, es müßte denn eine Stadt aus Schneeballen gebaut werden. Wir kamen nach Cadiz auf einem der kleinen, zwischen den spanischen und marokkanischen Häfen verkehrenden Lokaldampfer. Sechs Stunden mochten wir auf den blauen Meereswogen getanzt haben, als plötzlich gegen Osten, anscheinend gerade wie wir auf den Wogen schwimmend, eine weiße Masse sichtbar wurde. ‚Ein Eisberg, ein Eisberg!‘ so riefen meine amerikanischen Reisegefährten, denen der Anblick dieser Sendboten aus den Polarmeeren an den atlantischen Westküsten nichts Neues ist. Dort auf dem tiefblauen Meere, mit dem ebenso blauen leuchtenden Himmel als Hintergrund, erschien ein Eisberg in blendendster Weiße mit senkrecht aus den Fluten aufsteigenden Eismauern, die sich auf der Wasserfläche wiederspiegelten. Die Sonne hatte die Oberfläche teilweise abgeschmolzen, so daß Türme, Dome und Zacken aus ihr hervorstanden; aber nur im ersten Augenblick wurden wir so getäuscht, denn die weiße Masse im blauen Wasser war Cadiz, diese Lieblingstochter der Sonne. Niemals zuvor hatte ich irgendwo ein ähnliches Bild gesehen, höchstens als Fata Morgana in den Prairien oder den Llanos, wenn die heiße Luft über den weiten Ebenen zitterte und am Horizont entzückende Trugbilder von Seen und Städten hervorzauberte. Cadiz erschien wie eines dieser Trugbilder, so unmöglich weiß waren die Mauern, Türme, Dome, die direkt aus den Meeresfluten emporzusteigen schienen. Wir konnten kein Auge abwenden von diesem phantastischen Bilde. Keine andere Stadt, auch Venedig nicht, präsentiert sich vom Meere aus in so magischem Kleide, keine ist so übernatürlich, so seltsam wie dieser Haupthafenort des herrlichen Andalusien.“ †      

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_067.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)