Seite:Die Gartenlaube (1895) 100.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

0


Blätter und Blüten


Ein Hofnarr in tausend Nöten. Aus dem Dresdener Archiv wird vom Archivrat Distel ein ergötzliches Schreiben des Hofnarren Fröhlich an seinen Herrn, den Kurfürsten Friedrich August von Sachsen, veröffentlicht. Fröhlich versichert zunächst den königlichen Herrn seiner treuen Anhänglichkeit in überschwenglichen Wendungen, die einem Shakespeareschen Clown Ehre machen würden. Der König habe ihn durch seine Huld und Gnade dermaßen verwöhnt, „daß keine Seemuschel oder Auster in dem tiefen Meeresgrunde so feste an den Felsen angewachsen und sich daran halten kann, als mein Herz an der felsenfesten Gnade Eurer Majestät hanget. Denn wenn ich alle Gnadenbezeigungen auf diesem engen Blatte namhaft machen sollte, welche gleich einem Strom auf mich dürren Stockfisch zeithero zugeflossen und dadurch ich so geschmeidig geworden bin, als ein in Butter zerlassenes Ei oder wie ein neunmal aufgewärmtes Sauerkraut, so wäre es ebenso viel, als wenn mir einer zumutete, ich sollte an einem Tage von hier bis Gibraltar laufen und morgen wieder zu Mittag hier sein“. Der arme Narr, der sich unterzeichnet als „allerunterthänigster von Kummer und Schulden ausgemergelter armer, doch hochweiser Bürgermeister von Narrendorf“, erkennt es in seinem Schreiben an, daß er seine frühere Schuld noch nicht abgetragen hat. „Es gehet mir jedoch nicht wenig zu Herzen, daß ich mein bürgermeisterliches hohes Wort nicht halten und mich mitsamt dem Darlehen meinem allervornehmsten Herrn Gläubiger zu Füßen werfen könne, inmaßen mir dann der Kummer dermaßen zusetzt, daß, da ich sonsten täglich mit vier Kannen Wein mich habe beholfen, ich jetzo mit sechs Maß kaum auskommen kann, zu geschweigen, daß meine Magd täglich acht Groschen mehr Marktgeld für die Küche fordert und haben will.“ Nachdem Fröhlich so seine „bittere Not“ geklagt, giebt er seinem Bittgesuch folgende de- und wehmütige Gestalt: „Dahero komme ich armer Schelm an die Banco meines einmal wie das andere freundlichen Herrn Creditoris und klopfe mit dem Hammer meines Elends an das Comptoir meines allergütigsten Herrn Banquiers mit mehr als fußfälliger, mit mehr als barmherziger, ja mit mehr als miserabler Bitte, Ew. Maj. geruhen mich bärenhäuterischen Debitoren mit eben einem solchen Geldsacke, wie der vorige mit dem Darlehen gewesen, nun schon vollends zu Boden zu werfen, daß ich das Aufstehen bis auf die Leipziger Neujahrsmesse vergessen möge, da ich dann, ehender aber nicht, verspreche, daß ich mich wieder werde erholet haben und will ich sodann alle beide Geldsäcke, den vorigen und den jetzigen, wieder bringen und trotz einem Bürgermeister jedem ehrlichen Kerl unter die Augen gehen. Ich bitte ja gar zu entsetzlich sehr, E. M. gewähren mich doch meine Bitte, wenn es möglich ist; denn ich bin ärger als mein kleiner Prinz; wenn der was haben will, so zerrt er so lange, bis ich’s ihm gebe.“

Ob der neue Geldsack durch die Gnade des Kurfürsten-Königs in Fröhlichs Narrenhäuschen in Dresden gewandert ist, darüber schweigen die Quellen des Archivs. †      


Großmütterchen. (Zu dem Bilde S. 85.) Wahrhaftig, in jedem Kinde steckt ein kleiner Schauspieler! Wer, der öfter Gelegenheit hat, mit Kindern zu verkehren, wäre nicht schon durch eine ähnliche Scene überrascht worden, wie sie unser dem Leben direkt entnommenes Bildchen bietet. Die Ueberraschung ist oft keineswegs angenehm. Betroffen sieht das Auge der wirklichen Großmutter, die da ihr geliebtes jüngstes Enkelkind beim „Großmütterchenspielen“ überrascht, mit welcher scharfen Beobachtung der kleine Thunichtgut die ernsten Züge ihres Gesichts studiert haben muß, um unter ihrer Haube und mit der viel zu großen Brille auf dem Näschen die ganz respektwidrige Rolle so treffend durchzuführen. Und dort die ältere Schwester, die der Kleinen mit gutem Beispiel vorangehen sollte, sieht sie mit der breiten Spitzenhaube der Mutter und dem Strickstrumpf in der einen Hand, während die andere nachdenklich das Kinn stützt, nicht wirklich aus wie ihre stattliche Mama im letzten Viertel einer „Kaffeevisite“? Ein trüber Schleier legt sich für einen Moment über die Augen der alten Frau. Sind das ihre Herzblättchen, die treuherzigen harmlosen Mädel, die den Sonnenschein ihres Alters bilden? Verspotten wohl gar Mutter und Großmutter mit ihrer Schauspielerei? „Kinder!“ ruft sie streng. – Doch diese wenden sich um, hüpfen auf sie zu, treuherzig und harmlos wie immer, ohne eine Ahnung, daß ihr liebes einziges Großmütterchen in ihrem fröhlichen Mummenschanz etwas anderes finden könnte als einen herrlichen Spaß. Und sie erkennt ihren Irrtum und lacht mit ihnen.


Schlittenwettfahrt auf der Rückkehr vom Markt. (Zu dem Bilde S. 89.) Auch im Lande der Ruthenen, in der weiten Tiefebene Ostgaliziens im Flußgebiete des Dnjestr, breitet der Winter langanhaltende Schneeflächen zwischen die menschlichen Wohnstätten. Und auch hier dient dieser Bann, mit welchem die kalte Jahreszeit die Natur belegt, den Menschen gerade dazu, den Verkehr untereinander zu beleben. Unser Bild zeigt uns, wie die Lust der Schlittenfahrt fröhliches Leben in die Oede der Landschaft bringt. Bauern kehren heim vom nächsten Markt zu ihren Gehöften. Angeregt vom Verkehr und den zerstreuenden Eindrücken des Marktlebens, wohl auch von dem erwärmenden Getränk, das sie vor dem Aufbruch zum Schutz gegen die Kälte reichlich zu sich genommen, wird ihnen die Fahrt durch das schneeige Gefilde zur Kurzweil. Die Führer der beiden Schlitten haben sich in ein Wettfahren eingelassen; in lebhaftem Galopp geht die Fahrt dahin, daß es glitzernd aufstiebt vom weißen Grunde. Die Wirkung auf die Insassen ist freilich recht verschieden. Drüben dem jungen Mädchen mit den fröhlich blitzenden Augen wird die wilde Jagd zum willkommenen Anlaß, sich dichter an ihren Schatz zu schmiegen, der mit glückseligem Behagen der Geliebten den starken Arm als Lehne bietet. Weniger zufrieden blickt die Frau des älteren Gutsherrn in dem anderen Schlitten drein. Die Zeit der Brautschaft und der Flitterwochen liegt zu weit hinter ihr, um für die Stimmung des jungen Paares noch das volle Verständnis zu haben, wogegen die rasende Eile, zu welcher ihr Mann die wackeren Gäule antreibt, den wohlgefüllten Korb, mit dem sie vom Markte heimkehrt, schon wiederholt in die Gefahr, umzufallen, gebracht hat. Doch sie hält ihn fest. Ja, sie hat gehörig eingekauft und dieser Gedanke beruhigt ihr Gemüt. Was hat denn der Schlitten da drüben für Ladung? – Leichte Ware!


Vor dem Maskenball. (Zu unserer Kunstbeilage.) Träumerisch blickt sie noch einmal in den Spiegel, aber nicht mehr auf die Anordnung ihrer Toilette bedacht. Sie denkt an ihn, sieht im Geiste seine Gestalt, die geliebten Züge des Mannes, den sie heute auf die Probe stellen will, auf die letzte. Wenn er die noch besteht, dann soll er ihr Jawort erhalten. Ach, wie gern hätte sie seine Werbung schon früher damit erwidert – aber durfte sie ihm trauen? Hatte er nicht vorher so vielen anderen Mädchen den Hof gemacht? War er wirklich frei von Flattersinn, er, der verwöhnte beste Walzertänzer der „Harmonie“? Hatte ihre beste Freundin ihr nicht noch neulich beim Nachhausegehen ins Ohr geflüstert: Nimm Dich vor dem in acht – er ist ein Schmetterling! Heute will sie erproben, ob die Freundin recht hat mit ihrem Verdacht. Gerade mit ihr hat sie sich verabredet, den Maskenball im Schutze der guten immer lustigen Tante zu besuchen. Ganz heimlich – ganz inkognito. O, sie will sich schon schlau anstellen, daß sie sein Wesen ergründet. Und erkennen soll er sie gewiß nicht! … So redet sie sich ein. Aber ob die Liebe nicht dennoch es fügt, daß die ernste Träumerin, wenn sie erst am Arm des geliebten Mannes durch das Maskengedränge dahinschreitet, sich diesem längst vor der allgemeinen Demaskierung zu erkennen giebt – trotz Maske und Domino? p.     


CARNEVAL


manicula 0Hierzu Kunstbeilage II: Vor dem Maskenball. Von E. Melida.

Inhalt: Buen Retiro. Von Marie Bernhard (5. Fortsetzung). S. 85. – Großmütterchen. Bild. S. 85. – Schlittenwettfahrt auf der Rückkehr vom Markt. Bild. S. 89. – Der Accumulator. Von Franz Bendt. Mit Abbildung. S. 90. – Karneval am Rhein. Von Ernst Lenbach. S. 94. Mit den Bildern S. 93 und 96 und 97. – Loni. Erzählung von Anton von Perfall (1. Fortsetzung). S. 95. – Blätter und Blüten: Ein Hofnarr in tausend Nöten. S. 100. – Großmütterchen. S. 100. (Zu dem Bilde S. 85.) – Schlittenwettfahrt auf der Rückkehr vom Markt. S. 100. (Zu dem Bilde S. 89.) – Vor dem Maskenball. S. 100. (Zu unserer Kunstbeilage.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_100.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)