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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

wenn sie bald näher, bald ferner aus allen Kompaßstrichen ertönen? Man wird wirr im Kopf, fühlt seine Ohnmacht, das Richtige zu treffen und es ist Gott anheim gestellt, ob man glücklich durchkommt.

Dies ist eins von den unabwendbaren Verhältnissen des Seelebens, das sich durch kein Gesetz ganz aus der Welt schaffen läßt, wohl aber kann man die aus ihm erwachsenden Gefahren durch zweckmäßige Maßregeln bedeutend einschränken, wenn man gegen die Pflichtvergessenheit der Menschen strenger vorgeht.

Es ist gesetzlich vorgeschrieben, daß die Dampfschiffe im Nebel mit halber Kraft fahren sollen. Was heißt das? Ein Schnelldampfer läuft 20 Knoten (10 m in der Sekunde) mit voller Kraft; mit sogenannter halber Kraft, die man sich an Bord beliebig auslegen kann, 10 bis 15. Ein Frachtdampfer, der mit voller Kraft nur 10 Knoten läuft, macht mit halber 4 bis 6. Schon wenn diese Verminderung innegehalten würde, müßten sich die Gefahren wenigstens etwas verringern, aber wer kehrt sich daran? Die Handelsdampfer fast nie. Um sich nicht von Konkurrenzlinien überholen zu lassen, gehen sie auch beim dichtesten Nebel mit ihrer schnellsten Fahrt vorwärts. Die transatlantischen Schnelldampfer durchlaufen in einer Minute eine Strecke von etwa 500 bis 600 Metern, und man kann sich denken, wie schwierig es sein muß, einem Gegensegler, der nahezu ebensoviel Fahrt macht, im Nebel oder auch nur bei dunkler Nacht auszuweichen.

Die farbigen Laternen, welche jedes Schiff führen muß, eine rote an Backbord, eine grüne an Steuerbord, und Dampfer außerdem noch ein weißes Licht am Fockmast vorn, sollen gesetzlich eine Seemeile (1852 m) sichtbar sein. Selbst aber, wenn dies der Fall ist, sie gut brennend erhalten werden, was auch vielfach versäumt wird, und wenn die Leute auf Ausguck ihre volle Schuldigkeit thun, wird jene Meile von beiden Gegenseglern zusammen in 1½ Minuten zurückgelegt, und was für eine kurze Zeit ist das, um den richtigen Entschluß zu fassen und auszuführen, namentlich wenn noch andere Schiffe in der Nähe sind, auf die man gleizeitig zu achten hat. Wie sehr oft ist der Nebel aber so dicht, daß man die Lichter nicht auf eine viertel Seemeile sieht, und dann handelt es sich nur um Sekunden, bei denen selbst das schnellste Stoppen der Maschine nichts mehr hilft.

Hier hat also das Gesetz eine große Lücke, die notwendig ausgefüllt werden muß. Bis jetzt fehlt jede Kontrolle, und wenn sie nicht geschaffen wird, dann werden sich die Zusammenstöße und damit der Verlust an Menschenleben und Nationalvermögen immer weiter vermehren, da sich der Uebergang der Segel- zur Dampfschiffahrt wenigstens in engen Gewässern immer mehr vollzieht.

Früher gab es noch verhältnismäßig wenig Dampfer und bisweilen konnte man tagelang im Kanal segeln, ohne einen von ihnen zu Gesicht zu bekommen; jetzt dagegen begegnet man ihnen in so engen Gewässern täglich viel dutzendweise und sie sind am meisten zu fürchten.

Der Wind bindet Segelschiffe an gewisse Kurse, so daß man selbst bei stockfinsterer Nacht und im Nebel immer ungefähr wissen kann, wie der Gegensegler steuert, aber die vom Winde gänzlich unabhängigen Dampfer sind in ihren Kursen unberechenbar. Wenn die elastischen hölzernen Segelschiffe dann auch einmal gegeneinander rannten, so gab es wohl mehr oder minder „klein Holz“, wie die Seeleute sagen, es gingen wohl auch einige Raaen und Stengen, bisweilen sogar ein Mast „auf den Lauf“, aber in den Grund gebohrt wurden sie in den seltensten Fällen.

Die eisernen Dampfer dagegen mit ihrem messerscharfen Bug und ihrer schnellen Fahrt schneiden ein Schiff mitten auseinander, und die Zahl solcher Zusammenstöße, bei denen die Fahrzeuge in wenigen Minuten mit Mann und Maus in die Tiefe sinken, ist in den letzten Jahren in erschreckendem Maße gewachsen.

Je mehr Dampfer gebaut werden, desto größer wird die Gefahr der Zusammenstöße und das Gesetz muß dagegen einschreiten. Es muß für Nebel und unsichtige Nacht nicht „halbe Kraft“, sondern eine gewisse nicht zu hohe Geschwindigkeit, 5 bis 6 Knoten, wie sie unter solchen Verhältnissen die Kriegsschiffe inne halten, für alle Dampfschiffe festgesetzt und ein Ueberschreiten derselben mit schweren Strafen geahndet werden.

Eine Kontrolle wird in den meisten Fällen trotzdem nicht geübt werden können, aber in dem einen des Zusammenstoßes dennoch, und dann müssen nicht allein die betreffenden Kapitäne, sondern vor allem die Reeder dafür verantwortlich gemacht werden, denn nicht jene, sondern diese tragen in den meisten Fällen die Hauptschuld. Erstere würden gern den Gesetzen gehorchen, weil sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen viel mehr das eigene Leben auf das Spiel setzen als bei geringerer Fahrt; aber wenn sie durch Gehorsam gegen das Gesetz ihre Reise verlängern und andere gewissenlosere Kapitäne ihnen den Rang ablaufen, dann setzen sie sich dem aus, daß sie ihre Stellung verlieren und die Reeder einen anderen, „schneidigeren“ Kapitän nehmen.

Würden aber die Reeder des schuldigen Schiffes nicht allein gesetzlich bestraft, sobald ihnen nachgewiesen wird, daß sie den Kapitän nicht zur genauen Nachachtung der einschlägigen Bestimmungen verpflichtet haben, sondern sie auch in vollem Umfange zur Haftpflicht für alle Beschädigten herangezogen, so würde sich sehr bald eine Aenderung zum Besseren zeigen und man nicht so viel von Zusammenstößen hören.

Natürlich kann ein solches Gesetz nur international sein, aber da das Ausweichen auf See, die Führung der Lichter, das Signalisieren etc. ohne Schwierigkeit bereits international geregelt sind, so würde sich auch dies regeln lassen, da alle seefahrenden Völker gleichmäßig dabei interessiert sind. Es bedürfte unter Hinweis auf die sich immer mehr häufenden Unglücksfälle wohl nur der Anregung durch eine Regierung, um die Frage in Fluß und zu einem günstigen Abschluß zu bringen. –

Es würde Deutschland zu höchsten Ehre gereichen, auch in dieser Beziehung die Initiative zu ergreifen, nachdem es in humanitärer Beziehung bahnbrechend vorgegangen. Es ist um so mehr hierzu berufen, als gerade die deutschen Schiffsführer den Ruhm in Anspruch nehmen dürfen, die strengste Disciplin auf ihren Schiffen zu halten und in Fällen drohenden Zusammenstoßes die Pflichten der Menschlichkeit mit den von ihnen vertretenen Interessen nach Kräften in Einklang zu bringen.


Zwischen zwei Feuern. (Zu dem Bilde S. 101.) Die Gegensätze ziehen sich an – Kälte weckt Wärme, Frost innere Gluten; man braucht, um im Winter diese Erfahrung zu machen, sich nicht erst die Hände zu erfrieren und davon brennenden Schmerz zu empfinden – das weiß jeder Schlittschuhläufer! Hei, wie die rasche gleitende Bewegung über die Eisfläche durch die eisesfrische Luft die Wangen rötet, die Lebensgeister erwärmt, so daß das Auge in froher Lust erglüht. Und nun gar erst das Herz - wenn heimliche Liebe darinnen wohnt, die hier in der freien Luft, in der frischen Bewegung des Eislaufs ihre Befangenheit verliert. Wenn erwartungsvolle Mädchenaugen das Gewühl der übrigen Schlittschuhläufer mit spähendem Blick durchdringen, in den Mienen die schwer unterdrückte Frage, ob er nicht bald kommen wird, der „riesig nette“ Herr Student, der als Primaner in der Tanzstunde noch so ungelenk war, aber hier draußen auf dem Eis sogar im „Bogenfahren“ ein Meister ist. ... Ach, wenn man erst weiß, wie schön es sich so zu zweien fährt, da macht das Alleinfahren gar keinen Spaß mehr! ... Aber – die Gegensätze ziehen sich an. Jung Klärchen hat auch noch einen anderen Verehrer, der lange nicht so hübsch und nett wie der Erwartete ist. Und richtig – da kommen beide Rivalen zugleich auf sie zu. Wie fatal! Doch sie ist ein wohlerzogenes Mädchen und weiß, was sich schickt. Schnell überwindet sie die Mißstimmung über die Störung durch den „andern“; sie reicht ihm und dem „einen“ mit gleicher Freundlichkeit eine Hand zum gemeinsamen Lauf und läßt sich’s in der Winterkälte wohl sein „zwischen zwei Feuern“, ihr eigenes Feuerlein geheim im Herzen hegend.p.     


Stier im Kampfe mit einem Bären. (Zu dem Bilde S. 104 und 105.) Tiercharaktere sind im allgemeinen leichter zu erkennen als die menschlichen, trotzdem herrscht über sie nicht in allen Fällen die erwünschte Klarheit. Auch was den Meister Braun anbelangt, gehen die Ansichten der Forscher weit auseinander. Drollig, liebenswürdig, von gemütlichem Humor nennen die einen den guten Meister Petz, während ihn die anderen als dumm, grob und ungeschliffen darstellen. Der Bär kann sich von beiden Seiten zeigen, er scheint sich nach dem Spruch zu richten, der da lautet: „Alle Kultur kommt vom Magen.“ Er ist mit Vorliebe Pflanzenfresser, und wenn der Wald ihm in Hülle und Fülle Beeren, Nüsse und frische Triebe liefert, dann mag er gemütlich sein. Wenn ihm aber seine Lieblingskost fehlt, dann wird er zum schlimmen Räuber, und wenn er wiederholt Blut geleckt hat, gerät er auf Abwege.

Aber auch als Räuber bleibt er plump. Am liebsten stellt er Schafen nach, wagt sich jedoch auch an größere Tiere, namentlich Ochsen und Pferde. Er schleicht sich an weidende Herden heran, und wenn sich eins der Tiere seinem Versteck genähert hat, bricht er plötzlich hervor. Es beginnt nunmehr ein Rennen, in welchem der ausdauernde Bär zu siegen pflegt, indem er das Tier so lange umherjagt, bis es ermüdet zusammenbricht oder in den Abgrund stürzt. Dann steigt der Räuber als gewandter Kletterer in die Tiefe hinunter und sättigt sich an der Beute. Immer jedoch hat er nicht so ein leichtes Spiel. Die Rinderherden haben ihre natürlichen Beschützer, die mutigen Stiere. Der Leiter der Herde flieht nicht vor dem Bären. Während die Kühe im ersten Augenblick wild und scheu umherrennen, rückt der Stier mit gesenkten Hörnern gegen den Feind vor. Ein doppeltes Gebrüll durchzittert die Luft, die Stimme des Stiers tönt gewaltig. Schon bilden die Gegner einen Knäuel, wie dies auf unserem Bilde meisterhaft wiedergegeben ist. Der Bär hat einen bösen Stoß empfangen, aber auch der Stier fühlt die mächtigen Pranken. Da naht die Hilfe. Die Kühe haben den Kampfruf ihres Herrn vernommen und einige eilen bereits auf den Kampfplatz. Bald wird die ganze Herde brüllend und schnaubend den schlimmen Räuber umringen und der verwegene Geselle wird den Kürzeren ziehen.*     


Der Dritte im Bunde. (Zu dem Bilde S. 113) Er hat etwas lange auf sich warten lassen, dafür ist er denn jetzt auch Mittelpunkt, um den sich das ganze Haus dreht. Die zwei „Großen“ rennen von jedem Spiel weg, sobald der Kleine im grünverhangenen Bettkörbchen von seiner Trägerin herunter an die Luft gebracht wird. Diese lächelt mit echtem Ammenstolz auf ihr Bübchen nieder und auch den Kindern scheint’s, als könne es nichts Herzigeres geben als das dicke rote Gesichtchen mit den zwei festgeballten Fäustchen, das so süß in seinem weichen Federneste schlummert. Das blondlockige kleine Fräulein, der bisherige Verzug des Hauses, reckt sich allerdings nur auf Zehen und wirft, mit lässig auf den Rücken gelegten Händen, einen gnädigen Neugierblick zwischen die seidenen Vorhänge: auch in der Bewunderung kommt ihr das Gefühl des eigenen verwöhnten Persönchens nicht abhanden. Der ehrliche Junge dagegen, mit seinem hausgeschnittenen braunen Staffelkopf, er ist ganz Hingebung und Entzücken. Seine Seele denkt nicht mehr an den schönen neuen Drachen, der ihm rückwärts herunterpendelt, er harrt nur atemlos, ob das Brüderchen nicht doch vielleicht die Aeuglein öffnen und ihn ein bißchen anlachen werde. ... Und dabei gucken seine bloßen Aermchen und das gutmütige Kindergesicht so unschuldig naiv aus dem gestickten Affenjäckchen und der überreichlichen Faltenhose heraus, deren Schnittgeheimnis glücklicherweise mit der Empirezeit verschwunden ist!

Daß die Malerin des hübschen Bildes diese Zeit aufs genaueste studiert hat, zeigt jede Kleinigkeit ihrer Darstellung. Aber der Hauptreiz liegt doch in dem einfach menschlichen Vorgang, den sie dem Beschauer so liebenswürdig zu zeigen versteht.Bn.     



Inhalt: Buen Retiro. Von Marie Bernhard (Schluß). S. 101. - Zwischen zwei Feuern. Bild. S. 101. - Stier im Kampf mit einem Bären. Bild. S. 104 und 105. - Die Zither und ihre Herstellung. Von J. E. S. 107. Mit Abbildungen S. 108 und S. 109. - Rätselhafte Veränderungen des menschlichen Haares. Von C. Falkenhorst. S. 110. - Loni. Erzählung von Anton von Perfall (2. Fortsetzung). S. 111. - Der Dritte im Bunde. Bild. S. 113. - Blätter und Blüten: Internationale Vorsichtsmaßregeln zur See. S. 115. - Zwischen zwei Feuern. S. 116. (Zu dem Bilde S. 101.) - Stier im Kampfe mit einem Bären. S. 116. (Zu dem Bilde S. 104 und 105.) - Der Dritte im Bunde. S. 116. (Zu dem Bilde S. 113.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_116.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)