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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

regungslos stehen, mit einem drohenden Blick auf den entsetzten, sprachlosen Flori.

Marei bemerkte sie nicht in ihrer Erregung.

„Wer kann Dir’s verbiet’n, an Tot’n sei’ Ehr wieder z’geben, den verflucht’n Mörder z’ nenna?“

„Der Tote selb’r!“

Loni sprach diese Worte. Marei schrie laut auf und blickte auf ihre Mutter, wie auf eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Lonis Antlitz war wie aus Stein gemeißelt, so bewegungslos.

„Muatt’r! Der Tote? – Der Vat’r?“

„Ja, der Vat’r, dem’s sein Will’ net sein kann, daß a Mensch, der ihm ’s Leb’n g’rett’ hat, drum leid’n soll wia a Mörd’r.“

„Dem Vat’r – ’s Leb’n g’rett’ – der Anderl?“ rief stammelnd das Mädchen und ein Freudenschimmer flog über ihre erstaunten Züge.

„Der Anderl – ja. Nun sollst’s wiss’n, weil der da,“ sie nickte verächtlich mit dem Kopfe gegen Flori, „do kei Ruah giebt. Der Anderl, der den Kirchberger in dem Augenblick d’rschoss’n hat, wo er Dein’ Vatern hat d’rschiaß’n woll’n! Jetzt zeig’ ’hn an, wennst’ kannst.“

Marei mußte sich setzen, ein Schwindel befiel sie – so nahe ihrem Ziele, erhob sich ein neues unüberwindliches Hindernis. Der Gedanke, daß, wenn Anderl nicht geschossen hätte, ihr Vater von der Hand des Försters, also durch den Vater ihres Geliebten, gefallen wäre, zeigte ihr die Situation in einem neuen, fürchterlichen Lichte! Ihr Haupt neigte sich auf die Seite, Totenblässe überzog das Antlitz, die Hände sanken kraftlos an den Seiten herab.

Flori sprang hinzu und stützte die Ohnmächtige. „Jetzt aba is’ die höchst’ Zeit, Loni,“ flüsterte er dabei heftig, „sonst wird’s z’ spät – und das wär’ a Mord!“

Die Bäuerin ging auf das Mädchen zu und stieß Flori mit einer heftigen Bewegung zurück, als wollte sie ihm das Recht verwehren, ihrem Kinde zu helfen.

„Was mischst’ Di denn eigentli all’weil d’rein? I weiß selb’r, was i z’ thuan hab’ und was i mei’m Kind schuldi bin. – Marei!“ rief sie dann in einem Tone, aus welchem das erwachte Muttergefühl klang.

Das Mädchen hob, wie aus einem tiefen Schlaf erwachend, das Haupt, blickte mit einem innigen Ausdruck auf die Mutter, drückte flehend ihre Hand und brach in lautes Schluchzen aus.

Loni strich zärtlich ihr über das Haar, ihr Antlitz hatte jetzt einen milden Ausdruck. „Auf mi verlaß’ Di, auf mi allei – Du brauchst kein ander’n Mensch’n!“

Dabei warf sie Flori einen feindseligen Blick zu. „Nur eins versprich mir, Marei, daß D’ von dem, was D’ jetzt g’hört hast, schweig’n willst wia’s Grab, bis i Dir sag’, daß D’ red’n darfst. Net lang’ soll’s dau’rn.“

„O wia guat des is, Dei Red’n, Dei Hand – Dei Liab!“ Marei streichelte die mütterliche Rechte und schloß selig lächelnd die Augen. „I versprech’s, kei Wort soll – – I hab’s g’rad im Traum g’seh’n, wia’s do’ no’ kommt – mi und d’n Willy in an Gart’n – und so schön war’s – so schön!“ Sie blickte verklärt.

Loni führte die Tochter langsam mit sorgsamer Hand in die Schlafstube. Ruhe war jetzt das Nötigste.

Flori blickte den beiden mit verbissenem Schmerz nach. „Loni!“ rief er noch einmal, als sie unter die Thür traten.

Die Bäuerin wandte sich nicht; er floh aus dem Hause.

Er hatte sein Wort gebrochen, ihr die Freiheit des Handelns geraubt, in der sie vielleicht den Lohn erhofft hatte für das qualvolle Opfer, das sie bringen mußte. Das wird sie ihm nie vergeben, sie wird ihn hassen von nun an. – „Und do’ is’ a Glück, daß’ so komma is, sie hätt’ sonst die Kraft nimm’r g’fund’n,“ das war sein Trost.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.



Eine hochherzige Stiftung zur Pflege der Wissenschaft, ähnlich der Wentzelschen, die wir in Nr. 43 des vorigen Jahrgangs zu verzeichnen hatten und welche der Berliner Akademie der Wissenschaften zugefallen war, ist neuerdings von dem Wiener Bürger Joseph Treitl dem gleichen Institut seiner Vaterstadt testamentarisch überwiesen worden. Der in hohem Alter Verstorbene, welcher auch dem öffentlichen Wohle lange Jahre als Mitglied des Wiener Gemeinderats diente, hat die Wiener Akademie der Wissenschaften zur Universalerbin seines Vermögens eingesetzt, das sich auf über eine Million Gulden beläuft, von welcher Summe ungefähr 200 000 von besonderen Legaten beansprucht werden. Der alte Herr, der in seinem Haus in der Wiedener Vorstadt in stiller Zurückgezogenheit lebte, war ein eifriger Anhänger der Naturwissenschaften, im besondern zog ihn die Astronomie mächtig an. Dementsprechend hat er unter den besonderen Zwecken, denen seine Stiftung dienen soll, die Erforschung der physikalischen Beschaffenheit der Himmelskörper und des Erdballs an erster Stelle genannt. Er erwartet aber nach dem Wortlaut seines Testaments von der Akademie eine Verwendung, durch welche auf dem Wege der Belehrung und Aufklärung auch eine Kräftigung der Moral, Erweiterung gewerblicher Kenntnisse, Vereinfachung der Heilkunst und Hebung des materiellen Wohlstandes erreicht werden kann. Das letztere verspricht er sich von dem immer weiteren Bekanntwerden neuerer Entdeckungen, die sich zur praktischen Verwertung eignen. Der wackere Wiener hat sich mit seiner Stiftung ein Denkmal gesetzt, das in der Wissenschaft noch in ferner Zeit lebendig fortwirken wird.

Ludwig Fulda (Mit Bildnis S. 117.) Der Name des liebenswürdigen, noch in der Blüte der Jugend stehenden Lustspieldichters, dessen Bild die erste Seite unserer Nummer schmückt, wird vielen Lesern die angenehme Erinnerung an Theaterabende wachrufen, die ihnen den seltenen Genuß eines künstlerisch abgetönten Humors, der auch den Geist ansprach und anregte, vermittelt haben. Der nachdenklich kritische Zug, welcher in dem den Dichter fein charakterisierenden Porträt W. Auberlens hervortritt, ist auch der heiteren Muse eigen, welcher wir die geistvoll satirischen Lustspiele „Die wilde Jagd“, „Der Talisman“ und „Die Kameraden“ verdanken. Diese Nachdenklichkeit Ludwig Fuldas, sein Hang, im besonderen die Schwächen und Grundschäden der modernen Geselligkeit satirisch zu beleuchten, entspringt aber nicht der Vorherrschaft eines kühlen Verstandes über die poetische Kraft, sondern einer tiefinnigen, warmherzigen Anteilnahme des Gemüts an menschlicher Schwäche und Unvollkommenheit. Mit scharfem Blick erkennt sein Auge die Verkehrtheiten, mit denen sich so viele das Leben sauer machen und um dasjenige Maß von Glück betrügen, das sie erwerben könnten, wenn sie nur wollten. Aber mit mildem Humor führt er das Bekehrungswerk durch. So verschieden nach Stoff und Stil die genannten dramatischen Hauptwerke des Autors sind, es ist die gleiche Tendenz, die sie durchdringt. Da wird in der „wilden Jagd“ die Sucht nach äußerlichen Erfolgen und gesellschaftlichen Zerstreuungen auf Kosten des häuslichen Glücks verspottet. Im „Talisman“, in dem Anderssens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ eine mächtige poetische Vertretung erlebte, fällt das Licht der Satire auf die schweren seelischen Gefahren, die den Herrschern zum Unheil ihres ganzen Volks von ihrer schmeichlerischen Umgebung drohen. Und sein neuestes Werk „Die Kameraden“ schildert im Schicksal einer modernen Weltdame die verhängnisvolle Wirkung von unverstandenen Emancipationstheorien und deren Schlagwörtern auf unreife Köpfe. Wie in diesen Lustspielen waltet auch in seinen Gedichten ein fein satirischer Humor von gleicher Richtung, der über scharfzugespitzten epigrammatischen Ausdruck verfügt; wir verweisen auf die gehaltvollen Sammlungen „Satura“, „Sinngedichte“, „Gedichte“, neben denen auch die fesselnden Novellen „Lebensfragmente“ zu nennen sind.

Ludwig Fulda, am 15. Juli 1862 in Frankfurt a. M. als Sohn eines Kaufmanns geboren, ist sich schon früh seines poetischen Talents bewußt geworden. Für einen Einakter in Versen „Die Aufrichtige“ erhielt er noch als Student in einer ausgeschriebenen Konkurrenz den Preis. Seinen ersten Dichtungen fehlte freilich die warme Unmittelbarkeit poetischer Lebensdarstellung. Und wie sich in ihnen der Einfluß seiner gleichzeitigen litterarhistorischen Studien geltend machte, so gab in einigen späteren Dramen, wie „Das verlorene Paradies“, „Die Sklavin“, die starke Wirkung der „sozialen Frage“ auf die gleichzeitige Litteratur vorübergehend auch seinem Talent eine Richtung, in welcher sich dasselbe nicht mit frischer Unmittelbarkeit bewegte. Doch rechtzeitig erkannte der feinfühlige Dichter die ihm gezogenen Grenzen und kehrte zum Lustspiel zurück, auf dessen Felde ihm jetzt Lorbeeren blühen, die nicht so bald verwelken werden. Rastlos bemüht, sich in der Beherrschung der dramatischen Technik immer mehr zu vervollkommnen, ergab er sich mit besonderer Hingabe dem Studium Molières, des großen Meisters der neuzeitlichen Bühnensatire, und dieser Eifer ist nicht nur seinem eigenen Schaffen, sondern auch dem klassischen Dichter selbst zu gute gekommen, wie seine musterhafte Uebersetzung von „Molières Meisterwerken“ und deren Wirkung von der Bühne herab beweisen. J. Pr.     


Winternacht auf dem Meere. (Zu dem Bilde S. 129.) Sind es nicht zwei echte Helden von der „Waterkant“, die da in sturmdurchtoster Winternacht am Steuer der „Irma“ sich kaum auf den Füßen zu halten vermögen? Cord und Hinnerk stammen aus demselben Küstendorfe und kamen schon mit zwölf Jahren als Schiffsjungen auf ein und dasselbe Schiff, wo in der strengen Zucht und dem überaus harten Dienst ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_131.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)