Seite:Die Gartenlaube (1895) 154.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einmal, wo die vielen Gelder hinkomnen, die so nebenher eingehen und von denen kein Mensch mehr ’was sieht –“

„Resi um Gotteswillen!“ rief Toni voll Entsetzen über ihre herausfordernde Gebärde. Sie eilte auf die Schwester zu und suchte ihr mit der Hand den Mund zu schließen, während sie den anderen Arm schützend um sie schlang, denn sie fürchtete wirklich, die wütend geballte Faust da drüben werde im nächsten Augenblick auf sie niederfahren.

„Schweig’ doch, reize ihn nicht noch mehr!“ flüsterte sie bebend vor Angst, aber Frau Resi schob sie mit kräftiger Bewegung von sich ab nach der Thüre zu und sagte ganz ruhig:

„Geh’ hinunter, Kleine, das ist nichts für Dich. Wir werden schon miteinander fertig, er frißt mich nicht, da brauchst keine Angst zu haben. Geh’ und sieh’ nach den Kindern!“

Toni eilte hinaus, ihr zitterten die Knie über eine solche Scene, daß sie sich eine Weile am Treppengeländer halten mußte; sie fühlte sich innerlich ganz elend und enttäuscht.

Guter Gott, konnten denn Eheleute so miteinander hadern, war dies das große Glück der Schwester, das sie selbst oft im stillen beneidet hatte? Nicht um alles möchte sie an deren Stelle sein! …

Sie horchte angstvoll, wie vor einem plötzlichen Schrei zitternd. Aber es blieb alles still und sie besann sich, daß ja das große Atelier dazwischen liege. So konnte wenigstens niemand den Streit im kleineren hören, das war noch einigermaßen tröstlich. Langsam begann Toni die Treppe hinabzusteigen. Es war ihr, als ginge sie am liebsten gleich ganz zum Hause hinaus, fort und heim zu ihrem guten Papa, der niemals ein zorniges Wort gegen die Mama brauchte, in die weiträumigen getünchten Stuben mit den spärlichen Möbeln, die ihr sonst so armselig vorgekommen waren gegen das herrliche Volkhardsche Haus.

Ob wohl jeder Künstler sich als Ehemann so aufführte? Resis oft gebrauchte Redensart: Das ist halt bei Künstlern nicht anders! fiel ihr ein. „Nein!“ flüsterte das gläubige Herzlein dazwischen, „einer gewiß nicht.“ Der breitete sicher einmal seiner Frau alle Schätze Indiens zu Füßen und bewahrte sie vor jedem rauhen Lufthauch, der hatte doch auch eine andere feinere Natur und Gewohnheit als Volkhard, bei dem immer wieder einmal der Bauernsohn herausschlug. Nein, wenn alle so waren, er war gewiß nicht so, das wußte Toni so fest, als ob es im Evangelium stünde!

Bedeutend leichteren Herzens kam sie am Fuß der Treppe an, wandte sich aber schnell nach dem Kinderzimmer, denn von dorther erschollen Töne, welche andeuteten, daß auch hier Unfriede eingekehrt sei.

(Fortsetzung folgt.)


Vater Schmidt in Wolgast und seine Kameraden.

Die letzten Kämpfer von 1813/15.
Von Paul Holzhausen-Bonn.
(Mit den Bildnissen S. 157.)

Es war an einem schönen Augusttage des Jahres 1893. Eine längere Erholungsreise hatte mich von den burgengekrönten Ufern des Rheinstromes an die pommersche Küste geführt, welche die grüne Woge der Ostsee träumerisch umschmeichelt. Dort, unfern der nordischen Musenstadt Greifswald, liegt das freundliche Städtchen Wolgast. Es ist nur durch den Oderarm der Peene von der langhingestreckten Insel Usedom geschieden. Mancherlei Altertümer und geschichtliche Erinnerungen birgt das uralte Städtchen. In der stattlichen Pfarrkirche – sie ist hochgewölbt wie die Bauten baltischer Gotik – liegen die Gräber der Pommernherzöge, und unfern des Städtchens wird dem Fremden eine kleine stille Bucht gezeigt, in der die Leiche des Schwedenkönigs Gustav Adolf eingeschifft wurde, um über die Ostsee der nordischen Heimat, ihrer letzten Ruhestätte, zugeführt zu werden. Aber auch ein lebendes Denkmal weilt zur Zeit noch in dem weltabgeschiedenen Städtchen, ein Mann, der noch Zeuge der gewaltigen Ereignisse gewesen ist, die zu Anfang unseres Jahrhunderts die europäische Menschheit bewegten und von der uns in unserer Jugend die Großeltern so vieles zu erzählen wußten. Unfern des Marktes steht ein einfaches, altertümliches Haus, von einigen Buchenbäumen beschattet. Hier haust der hundertjährige Greis, der als Knabe die Zeit erlebte, als nach Jena und Auerstädt die große Armee des ersten Napoleon das norddeutsche Land überflutete, und der sieben Jahre später zu den Scharen begeisterter Jünglinge gehörte, die, dem Rufe des Königs folgend, zu den Waffen eilten, um den großen Eroberer aus den deutschen Landen wieder zu vertreiben.

Vater August Schmidt ist am 11. Februar 1795 in der pommerschen Stadt Anklam geboren, hat somit vor wenigen Tagen den Eintritt in das zweite Jahrhundert seines langen Erdenlebens gefeiert. Sein Ehrentag ist nicht nur von seiner Familie und seiner Vaterstadt festlich begangen worden; der Kaiser hat ihn beschenkt und schriftlich beglückwünscht, eine Deputation seines alten Regiments hat ihn feierlich begrüßt.

Der Vater des Jubilars war in Anklam Uhrmacher. Da erschien eines Tages – es war im Herbste des Jahres 1806 – ein französischer chasseur à cheval auf dem Markte der Stadt, ließ sich sein Pferd beschlagen und ritt dann vor das gegenüberliegende Haus des Uhrmachers Schmidt, von dem er in befehlendem Tone eine Uhr verlangte. Zugleich drohte er mit der geladenen Pistole. Aber der Uhrmacher Schmidt war ein Mann von Kopf und Geistesgegenwart. Da er wohl merkte, daß der patrouillierende Jäger nicht allzuviel Zeit haben konnte, so drückte er ihm schnell einen falsch gehenden Chronometer in die Hand und jener sprengte von dannen. Das war August Schmidts erste Begegnung mit den Franzosen. Er sollte in einigen Jahren noch genauere Bekanntschaft mit ihnen machen.

Am 17. März 1813, dem Tage nach der Kriegserklärung Preußens an Frankreich, trat der Achtzehnjährige als Freiwilliger in das 1. pommersche Infanterieregiment. In diesem hat er die drei Feldzüge von 1813 bis 1815 mitgemacht und an einer außerordentlich großen Anzahl von Schlachten teilgenommen. In dem mörderischen Kampfe bei Bautzen erhielt er die Feuertaufe. Während des Herbstfeldzuges stand sein zu der Division v. Borstell im 3. preußischen Armeekorps (v. Bülow) gehörendes Regiment bei der Nordarmee, deren Oberkommando bekanntlich Bernadotte führte. Beide Feldherren, Bülow und Bernadotte, hat unser Schmidt des öfteren gesehen, und noch jetzt weiß der alte Herr ihre Gesichtszüge genau zu beschreiben.

Die Zeit der Siege nahte heran. In der Schlacht bei Großbeeren, am 23. August, stand die Division Borstell zuerst bei Heinersdorf, auf dem linken preußischen Flügel; später stürmten fünf Bataillone der Divisionen Krafft und Borstell das Dorf Großbeeren. Ihnen gegenüber standen die Sachsen, und der Brigadekommandeur bei der Division Krafft, Oberstlieutenant von Zastrow, wurde bei dem Sturme auf das Dorf durch den Säbelhieb eines sächsischen Kavalleristen verwundet. Auch dieses Umstandes weiß sich Schmidt noch in seinem hohen Alter genau zu entsinnen, ein Beweis für die ungemeine Schärfe seines Gedächtnisses. An die Schlacht bei Dennewitz hat er gleichfalls noch recht bestimmte Erinnerungen. Er half das Dorf Gölsdorf stürmen. Ihm zur Seite fallen zwei Kameraden, ein Lohgerberbursche aus Pommern und der Sohn eines Arztes aus dem Brandenburgischen. Schmidt half sie zum Verbandplatze schaffen; aber das furchtbare Jammern der Verwundeten habe ihn, so erzählte er nur, derart ergriffen, daß von diesem Augenblicke an bis zum Ende der Schlacht nichts in seinem Gedächtnisse haften geblieben sei. Er selbst war unverwundet geblieben, bis auf einige Kontusionen durch Bajonett und Kolbenstöße.

Im weiteren Verlaufe des Feldzugs zieht Schmidt vor die Festung Wittenberg und trifft mit der Nordarmee am 18. Oktober, unweit Taucha, auf dem Schlachtfelde von Leipzig ein, wo in mehrtägigen furchtbaren Kämpfen die Hauptentscheidung bereits gefallen war. Doch kommt er sofort ins Feuer, macht am andern Tage die grauenvollen Sturmangriffe auf die von den Franzosen verrammelten Gärten und Thore der Stadt mit und wird Zeuge der furchtbaren Zertrümmerung der französischen Nachhut, infolge der vorzeitigen Sprengung der Elsterbrücke. Es ist ergreifend, zu hören, wenn der uralte Greis die Scenen schildert, die sich an jenem entsetzlichen Tage an den Ufern des sonst so friedlichen Elsterflüßchens abgespielt haben.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_154.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)