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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Gedichten Glauben schenken dürfen, erwachen in seinem Herzen wechselnde Liebesgefühle:

„Gespornt von jener Sehnsucht, welche führet
Die Seelen gern zu süßen Liebesschmerzen,
Versucht’ ich viel der Frau’n und vieler Herzen
Fand weich ich, wen’ge blieben ungerühret.“

Aber schnell, wie sie gekommen, verlöschen sie alle wieder und erblassen vor einer glühenden Leidenschaft, die des schwärmerischen Jünglings Herz dauernd erfüllt. Sie galt der jüngeren Schwester seines Fürsten, ihr widmet er mehr oder weniger alles, was seine Kunst Herrliches in dieser Zeit hervorbringt, und beklagt nur, daß seine Feder nicht imstande sei, von ihr, der Göttlichen, ein treffendes Bild zu entwerfen. Auch in der herrlichen Episode von Olindo und Sophronia, die er zu Leonores Verherrlichung dem zweiten Gesange seines „Befreiten Jerusalems“ einwob, hat uns Tasso mit leuchtenden Farben ihr Bild, wie es ihm vorschwebte, gezeichnet, und wie er das Verhältnis zwischen jenen beiden Liebenden dort geschildert, so oder ähnlich wird es zu jener Zeit wohl zwischen ihm und Leonore gestanden haben:

„So reizend sie, so sehr ist er bescheiden,
Voll Wunsch, an Hoffnung arm, fern von Begier.
Zu reden bang, erträgt er still sein Leiden,
Wenn nicht verschmäht, doch unbemerkt von ihr.
So hat der Arme längst für sie geschmachtet,
Die ihn nicht sieht, nicht kennt, vielleicht verachtet.“

Gerade diese Liebe Tassos zu Leonore ist es, um die sich ein ganzer Mythenkreis gebildet hat, Einige glauben sie zwar in das Reich der Fabel verweisen zu müssen und wollen alle seine Aeußerungen überschwenglicher Liebe zu bloßen dichterischen Komplimenten stempeln, wie sie Tasso auch andern Damen des Hofes, z. B. der geistvollen Lucrezia Bendidio und der schönen Leonore Sanvitale, in gleichem Maße dargebracht habe; allein wenn man seine an die Herrin gerichteten Sonette mit Aufmerksamkeit durchliest, so wird man unschwer herausfühlen, daß durch die Ehrfurcht und die durch äußere Rücksichten gebotene Zurückhaltung an vielen Stellen ein Ton echter Leidenschaft unverkennbar hindurchklingt. Daß Tasso einmal in überwallender Leidenschaft der Prinzessin an die Brust gesunken, dabei verraten und dieserhalb aus seinem Paradiese verjagt worden sei, ist zwar bei seinem Temperament nicht ohne weiteres unter die Unmöglichkeiten zu verweisen, indessen durch urkundliche Beweise kann diese Episode nicht gestützt werden. Auch daß diese unerlaubte Liebe zu der Schwester seines Fürsten diesen bewogen habe, Tasso in ein Irrenhaus zu stecken und ihn sieben Jahre lang darin schmachten zu lassen, ist geschichtlich nicht unanfechtbar zu beweisen und um so unwahrscheinlicher, als andere weit näher liegende Gründe einen Wechsel in der Gesinnung Alfonsos seinem Schützling gegenüber vollkommen erklärlich machen. Es ist ja allgemein bekannt, daß zwischen den Höfen der Medici und der Este seit alter Zeit eine tief eingewurzelte Eifersucht bestand, die mehr als einmal dazu verleitete, sich gegenseitig Berühmtheiten des Kunstlebens abspenstig zu machen. Nun war es keineswegs ein Geheimnis, und Tasso selbst hat kein Hehl daraus gemacht, daß er mit dem Herzog von Toskana in Unterhandlungen zum Zwecke seines Uebergangs in dessen Dienste gestanden habe. Alfonso aber war nicht die Persönlichkeit, unter seinen Augen Waffen gegen sich schmieden zu lassen; er ließ Tasso, als sich bei ihm zu alledem noch untrügliche Symptome einer Krankheit, die man füglich nur als Verfolgungswahnsinn bezeichnen kann, gesellten, in Haft nehmen und ihn in dem Hospital von Sant’ Anna jene sieben Jahre lang in Gewahrsam halten.

Der Dichter verließ die Haft, wie erwähnt, gebrochenen Geistes und auch die ferneren Jahre seines Lebens zeigen ihn in einer Zerrüttung, welche ihren Charakter von quälenden Wahnvorstellungen erhielt, wobei nur allmählich die hoffnungslose Ergebung in sein trauriges Schicksal und die Abmattung seines Geistes den Zustand milderten.

In San Onofrio in Rom, wo Tasso starb, hat er auch die letzte Ruhestätte gefunden. Pius IX. ließ vor kaum vierzig Jahren das Grab des unglücklichen Sängers der Gerusalemme liberata mit einem kostbaren Denkmal schmücken, das allerdings in seiner pomphaften Geschmacklosigkeit wenig zu dem Wesen des Toten paßt. Auch das römische Volk ehrt noch heute das Andenken des Dichters, denn an seinem Todestage pilgert Arm und Reich zur Klosterkapelle hinauf, um der Seelenmesse beizuwohnen, die fromme Mönche alljährlich für das Heil der Seele dieses unglücklichen Dichters lesen.




Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Neue Entdeckungen in der Luft.

Die Eroberung und Erforschung des Luftreiches bildet eine der wichtigsten Aufgaben der Neuzeit. Ueber die Fortschritte der Technik auf dem Gebiete der Luftschiffahrt haben wir unsern Lesern schon wiederholt berichtet; nun sind aber in der Erforschung der Atmosphäre neueste und sehr wichtige Errungenschaften der Wissenschaft zu verzeichnen. Sie sind erfolgt zum Teil im Ballon hoch über den erhabensten Bergen der Erde in dem Reiche der Federwolken, zum Teil unten auf der Erde in den chemischen Laboratorien der Forscher.

Es war am 4. Dezember vorigen Jahres um 10 Uhr 28 Minuten vormittags, als auf einem freien Terrain bei Leopoldshall-Staßfurt aus der Mitte einer großen Zuschauermenge der berühmte zu wissenschaftlichen Zwecken erbaute Ballon „Phönix“ sich zu einer neuen Hochfahrt erhob. In seiner Gondel befand sich, inmitten zahlreicher wissenschaftlicher Instrumente, als einziger Luftschiffer Dr. A. Berson aus Berlin. Um 3 Uhr 45 Minuten landete der „Phönix“ glücklich in der Nähe von Schönwohld bei Kiel und in dieser kurzen Zeit hatte er den kühnen Forscher bis zu einer Höhe von 9150 m emporgetragen. Das war also eine denkwürdige Hochfahrt; denn in so hohe Regionen haben sich bis dahin Menschen nur zweimal verstiegen. Im Jahre 1875 erreichten die Franzosen Tissandier, Sivel und Crocé-Spinelli eine Höhe von über 8000 m, wobei die beiden letzteren Luftschiffer den Erstickungstod fanden, und im Jahre 1862 soll der Engländer James Glaisher die Höhe von 11277 m erzielt haben; die Feststellung derselben ist jedoch nicht zuverlässig, da Glaisher bereits in 8500 m Höhe von Ohnmacht befallen wurde. Unser deutscher Luftschiffer Dr. Berson hat nun, dank dem mitgenommenen Sauerstoff, den er während der Hochfahrt einatmete, keinen Augenblick das Bewußtsein verloren und seine Angaben beruhen darum auf völlig sicheren und zuverlässigen Beobachtungen.

Als das wichtigste wissenschaftliche Ergebnis dieser Hochfahrt muß die Feststellung der Lufttemperatur in jenen hohen Schichten der Atmosphäre hervorgehoben werden. Tissandier hat in der Höhe von 7000 m nur eine Kälte von - 11° C., Glaisher in 8000 m eine solche von - 206° C. ermittelt. Diese Beobachtungen waren jedoch nicht genau, da die betreffenden Thermometer der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt waren und, von diesen erwärmt, die wirkliche Temperatur der Luft nicht angeben konnten. Die deutschen Forscher benutzen darum gegenwärtig bei ihren Fahrten neue von Professor Aßmann in Berlin konstruierte Aspirationsthermometer, Apparate, in welchen die Kugel des Thermometers vor Sonnenstrahlen völlig geschützt ist, während fortwährend von einem Mechanismus Luft angesaugt wird, welche die Thermometerkugel umspült und ihr die wirkliche Lufttemperatur mitteilt. Mit Hilfe dieses Instrumentes ermittelte nun der „Phönix“ in einer Höhe von 8000 m eine Kälte von - 385° und in 9150 m eine solche von – 48° C., während das Strahlungsthermometer in voller Sonne in letzterem Falle - 238° C. zeigte.

Die Wahrnehmungen, die er in höchster Höhe gemacht hat, schildert Dr. A. Berson in einem Artikel „Eine Reise in das Reich der Cirren“ (vergl. „Das Wetter“, Jahrgang 1895, Heft 1) mit folgenden Worten: „Um 12 Uhr 24 Minuten habe ich die Höhe von 8000 m überschritten, unsere größte Höhe auf der früheren Fahrt vom 11. Mai 1894. Ich prüfe meinen Zustand und finde, daß ich ruhig höher gehen kann, was mir mein Ballastvorrat auch gestattet. Allerdings atme ich dauernd Sauerstoff, wobei ich dann nur ein leichtes Gefühl von Schwindel im Kopfe wahrnehme, von mäßig starkem Herzklopfen begleitet, und sonst durchaus imstande bin, zu beobachten, zu überlegen, zu schreiben. Sobald ich jedoch nur auf wenige Sekunden, durch Arbeiten im Korbe dazu verführt, oder absichtlich zum Zwecke physiologischer Feststellung, das Mundstück des Schlauches fallen lasse, überfällt mich ganz gewaltiges Herzklopfen, dann fange ich beinahe an zu taumeln und greife rasch wieder nach dem lebenspendenden Gasschlauche. Einmal überrasche ich mich selber dabei, wie mir trotz allem die Augen leicht zufallen; ich rüttle mich mit lauten Scheltworten auf, denn ich fühle, daß hier viel auf dem Spiele steht.

Indessen ist der Ballon den verwaschenen Cirruswolken nahe gekommen, die seit früh sich hoch am Himmel gezeigt hatten, um dann allerdings stark abzunehmen; nun taucht er in dieselben ein … Sie bestehen zu meiner Ueberraschung, ich bin jetzt in 8700 m angelangt (das Quecksilberbarometer zeigt 245 mm, das Thermometer – 437°), nicht aus Eisnadeln, sondern aus wohlgebildeten kleinen Schneeflocken, die ziemlich dicht um mich herumwirbeln. Der Ballon sieht in der Wolke weißlich aus; doch schon taucht er wieder hervor, nachdem ich den letzten Sack, den ich opfern durfte, abgeschnitten. Bei über 9000 m habe ich die Wolke überwunden, rein und kalt wölbt sich der Himmel über mir; doch zeigt er nicht das tief dunkle, oft schon in 3000 bis 4000 m Höhe bewunderte Blau, sondern eine hellere blasse Färbung – in noch größeren Höhen über mir schwimmen offenbar feine, dem Auge nicht wahrnehmbare Dunstmassen. Ich fühle mich jetzt viel wohler und freier als bisher, aber ich habe nur noch sechs Sack Ballast. Um 12 Uhr 49 Minuten, also 21/3 Stunden nachdem ich die Erde verlassen, zeigt das Barometer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_250.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)