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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Schwester Brigitte.

Novelle von Otto von Leitgeb.
(1. Fortsetzung.)


Der schmale längliche Garten zog sich hinter dem kleinen Hause des alten Lieutenants hin bis unter die hohe, fensterlose Hintermauer der alten Gebäude auf der andern Seite. Wenn die Hausthüre offen stand, sah man vom Markte aus auf den Kiesweg, der zwischen den Johannisbeerstauden hinführte, bis zu dem großen uralten Kirschbaum hinaus. Unter dem stand eine Bank und ein verwitterter Tisch, in den Boden festgerammt. Der kleine Platz bildete den Mittelpunkt des Gärtchens, und außer dem Hauptwege ging sonst nur noch rechts und links je ein schmaler Steg zwischen den Gemüsebeeten vom Hause weg bis ans Ende. Des weiteren befanden sich nur wenige alte Obstbäume, ein paar blühende Büsche, ein paar Beete mit Levkojen, Rosmarin und hochstengeligen Lilien, und hier und da ein bescheidenes Rosenstöckchen im Garten. Den übrigen Raum widmete der Vater seinen Gemüsen, damit das Haus für seine eigene Küche aufkomme. Das war ein Gebiet für seine und Käthes emsige Arbeit. Als Kind hatte sie in einem Winkel ein eigenes Gärtchen gehabt, und es war eines ihrer Lieblingsspiele gewesen, daß die beiden Knaben bei ihr in Tagelohn traten und fleißig arbeiten mußten. Am Staket, gegen die Straße, standen einige Sträucher, die den Staub und fremde Blicke abhalten sollten, und in der Ecke vorn, wo sich das Gärtchen ans Haus schloß, gab es den einzigen Luxus der ganzen Anlage, eine kleine, aus schmalen Fichtenlatten zusammengenagelte Laube, ganz von Geißblatt überwuchert, wo der Vater an Sommerabenden seine Pfeife rauchte, seine Zeitung las, auf den Markt hinaus sah, oder auch wohl mit einem vorübergehenden Nachbar plauderte.

Indessen hatte sich mit vorrückender Zeit der kleine Kreis im Hause noch vermindert. Bruder Franz fand auswärts eine Stelle, und Hubert trat beim Forstamte in Dienst, weshalb auch er nicht mehr so regelmäßig kam wie früher. War er aber frei, so verbrachte er seine Zeit doch hier; am Tische war sein Platz immer gedeckt, und weil gerade er von den beiden zurückgeblieben war, wurde er noch mehr wie ein Kind vom Hause. –

An dem alten Kirschbaume war ein Ast verdorrt, und das tote Holz zwischen dem kräftigen Blätterwerk beleidigte Käthes Augen schon lange, bis sich Hubert eines Tages erbot, hinaufzusteigen und den Knüppel herunterzuhauen. Er nahm eine Axt mit. Käthe hatte ihre Handarbeit auf den Tisch gelegt und sah ihm lachend zu, wie er sich vorerst mit einigem Abmühen an dem dicken Stamme bis zu den untersten Aesten emporarbeiten mußte, weil er eine Leiter verschmäht hatte. Die Sommersonne blitzte in den Zweigen, und eine geschwätzige Spatzenschar schwirrte aus dem Wipfel davon, als das Rumoren unten begann. Und dann hackte Hubert darauf los, daß die Späne flogen. Aber ein Unglück stand bevor. Von kräftigem Schwung geführt fuhr die Axt nieder, unwillkürlich ließ die getroffene Linke den Ast fahren, Hubert schwankte und faßte in die knackenden Zweige, es rauschte in dem alten Baum, und mit dröhnendem Aufschlag stürzte Hubert zu Boden.

Käthe lief in namenlosem Entsetzen herzu und beugte sich über ihn. Als sie das Blut sah, schrie sie laut auf und kalter Schweiß trat auf ihr bleiches Gesicht. Hubert lächelte und sagte: „Es ist ja nichts – erschrick nur nicht!“

Mühsam raffte er seine schmerzenden Glieber auf, mußte sich aber kräftig auf den Tisch stützen, um in einer Anwandlung plötzlicher Schwäche nicht umzusinken. Er war an der Kante des Tisches schwer aufgefallen, und aus einer Schramme unter dem Haar lief das Blut über seine Stirne.

„Hübsch muß ich aussehen!“ sagte er. „Geh, Käthe, bring’ mir etwas Wasser und ein Tuch!“

Sie war schon fortgeeilt ins Haus.

Und dann kam der alte Lieutenant, so rasch er eilen konnte. Erschrocken war er zwar auch sehr, aber merken ließ er nichts davon, und zu allererst mußte ein Verweis kommen.

„Natürlich, mein Junge, nur immer recht verständig! – Das will ein Forstmann werden! – Dazu nimmt man eine Säge und nicht ein Beil. – Leg Dich nun hin. Käthe wird auch ein Kissen bringen. – Zeig’ ’mal die Hand her! – Recht hübsch! – Und da hat er sich richtig den Kopf aufgeschlagen. – Na, sei froh, daß er so hart ist! – Es ist nur eine tüchtige Schramme. Ihr Lotterbuben, Ihr!“

Hubert kannte den alten Herrn zu wohl, um nicht zu merken, daß durch sein Schelten die Bewegung zitterte. Aber er hielt sich ganz still, schloß die Augen und lehnte den schmerzenden Kopf zurück.

Käthe kam mit einem Waschbecken, mit Tüchern und einem Kissen. Er mußte sich nun doch hinlegen. Sie wusch ihm Hand und Kopf und legte einen Verband an, so gut es ging. Viel Aufhebens machte man nicht über derlei Geschehnisse in Krügers Haus, und die jungen Leute hatten gelernt, kein ratloses Lärmen zu machen, wo man einfach zugreifen soll. Aber in ihrem Herzen bebte eine große Angst, und wie ihre Hände zitterten, konnte sie nicht verbergen.

„Ganz dumm war ich – der Vater hat recht!“ sagte Hubert und drückte sich das kalte Tuch fester an die heiße Stirn.

„Sei nur ruhig jetzt,“ mahnte Käthe. „Jetzt mußt Du einmal still halten. Er ist nach dem Doktor gegangen. Indessen mache ich Dir Umschläge. Hast Du Kopfschmerzen?“

„Nein – aber so ein Lazarett lasse ich mir gerne gefallen, und Schwester Käthe als Pflegerin!“

„Sei nur recht ruhig,“ sagte sie.

Der Vorwurf nagte an ihr, daß sie mit schuld sei an dem Unfall, und während sie neben seinem Kopfe auf der Bank saß und vor sich hinsah, wie sich die Strahlen der Nachmittagssonne über das Gärtchen neigten, brannte es ihr unter den Wimpern.

Der alte Doktor hatte sich rasch eingefunden. Er untersuchte die Wunden und schüttelte den Kopf.

„Das an der Hand – ist gar nichts. Verharscht in ein paar Tagen. Oben hätte es schlimmer sein können. Aber zum Glück hat er einen harten Schädel. Daß Sie mir aber hübsch ruhig bleiben! – Bravo! Käthe macht das prächtig. Lassen Sie ihn aber gar nichts sprechen. Und wenn’s ihm gefällt, kann er ja da heraußen bleiben, es ist ganz hübsch kühl und schattig – wenn’s ihm nicht zu hart wird! Abends dann früh zu Bett, und morgen werden wir weiter sehen.“

Während Käthe nun da auf der Bank saß und sich bemühte, Hubert zuweilen etwas Vergnügliches zum Trost zu sagen, rauchte der alte Lieutenant seine Pfeife und ging auf dem Seitenwege auf und ab. Sie sah seine hagere, etwas gebückte Gestalt ab ünd zu zwischen den Büschen erscheinen und erkannte aus den rascheren Schritten und aus den tieferen und eiligeren Zügen, womit er den Rauch von sich paffte, daß er sich noch nicht beruhigt hatte.

Wenn sie auf Huberts Stirn den Umschlag wechselte, mußte ihre Hand einen Augenblick auf seinem dichten Kraushaar liegen. Und hinter ihm sitzend betrachtete sie sein Gesicht. Ihr war mit einem Male, als hätte sie den Jugendfreund noch niemals so recht angesehen, seit er herangewachsen war zu einem jungen Manne. Ueber den schmalen Lippen streckte sich ein kleines Schnurrbärtchen, und etwas von männlicher Reife lag auf seinen leicht gebräunten Wangen.

Die Sonne sank hinter den Häusern; unbemerkt verging die Zeit.

Einmal blieb ihre Hand ruhig auf seinem Scheitel liegen, als ob das dichte weiche Haar ihre Finger festhielte.

„Käthe, was für eine gute kühle Hand Du hast!“ sagte Hubert, und sie zog betroffen wie von einer unbewußten Bewegung, den Arm zurück.

Der Vater kam.

„Nun steh’ ’mal auf, mein Junge; wir wollen sehen, wie es geht! Nun? – Da sieh, Käthe! Wie ein verwundeter Soldat sieht er aus.“

Hubert lächelte.

„Morgen wird alles wieder gut sein. Jetzt solltest Du nach Haus, und da legst Du Dich dann gleich hin.“

„Ich bin ja aber ganz wohl.“

„Thut nichts, Du wirst dann noch wohler sein. Ein andermal mach’ es klüger! Jetzt mußt Du wie ein Blessierter über den Markt marschieren. Ich werde Dich begleiten.“

Hubert scherzte noch in seinem Dank an Käthe, und dann blieb sie allein zurück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_288.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2021)