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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

den beiden Fenstern gegenüber, stand das Sofa aus großblumigem Zitz, und darüber hingen in zwei ovalen, vergoldeten Rahmen die Bilder des Ehepaares, in Oel gemalt. Auf jedem der beiden Rahmen saß oben ein geschnitzter Vogel, der einer Taube ähnlich sah. Der Tisch war mit einer gehäkelten weißen Decke belegt; darauf stand in der Mitte eine hohe Vase aus grünem Glas mit einem Fuß aus Nickel. Sie sah wie ein großer Champagnerkelch aus. Außerdem standen ein paar Körbchen aus Laubsägearbeit da, mit kleinen Schleifen aus roter Seide, die aber schon etwas verblaßt waren, und darin lagen etliche Photographien, von der Zeit und von der Sonne vergilbt. Auf jeder Stuhllehne lag ein gehäkeltes Deckchen mit langen Fransen, und auch die Vorhänge an den Fenstern waren so. In einer Ecke stand ein Glasschrank mit vielen porzellanenen Figuren, Hunde, Kätzchen, Schäferinnen und Chinesen, mitten drin ein ausgestopfter Kanarienvogel, dessen Gefieder leider schon ein wenig gelichtet war, und der mit einem Auge ins Zimmer sah, als ob er anfangen wollte zu singen. Aus dem andern Auge war die Glasperle herausgefallen. Zwischen den Fenstern stand ein kleines altes Klavier aus hellem Holze. Dort hing ein Spiegel in einem vergoldeten und gemalten Rahmen, und unter diesem war eine Stickereiarbeit, die Gusti in der Schule gemacht hatte, wie ein Fries an die Wand genagelt. In der Mitte des Zimmers hing von der Decke herab an einer blauen Schnur ein Straußenei und drehte sich immer eine Weile erst nach einer Richtung und dann nach der andern. Dazwischen aber machte es eine Pause, als ob es eigentlich doch schon gelangweilt oder schwindlig wäre. Neben dem Glaskasten hing eine geschnitzte Schwarzwälder Uhr, und jedesmal wenn sie eine Stunde schlug, sprang oben ein Aeffchen heraus und machte einen Diener.

Zuerst spielte ihnen Gusti etwas vor, das „Gebet der Jungfrau“ und die Gavotte „Louis Treize“. Dann sang sie ein paar kurze Lieder von Kücken.

Ihr blonder Kopf wiegte sich ein bißchen, während sie spielte, und wenn sie sang, erhob sie ihn. Ihr schelmisches Gesicht setzte beinahe eine ernste Miene auf; sie spitzte den kleinen Mund wie zu einem Kusse, und ihr Profil mit dem geraden Näschen und dem feinen Kinn sah in dem hellen Fensterrahmen reizend aus.

Und endlich sangen sie das Duett.

Hubert stand etwas hinter ihrem Stuhle und Gusti wurde beinahe feierlich. Käthe, die im Sofa saß, sah gerade hin auf das Fenster, von dem sich beider Gestalten abhoben, in jeder Linie scharf wie Silhouetten. Und sie sangen:

„Ich wollt’ meine Liebe ergösse sich
All’ in ein einzig Wort –“

Es ging ganz gut; sie sangen es noch einmal. Dann stand Gusti ganz errötet vor Freude und Stolz auf und rief:

„Siehst Du, Käthe, er hat es doch gelernt!“

Und es war beinahe, als ob die Freundin ein wenig verlegen sei und Gusti um ihre Fertigkeit beneidete. Sie blieb auch so, während sie den Kaffee tranken aus den geblumten Schalen mit dem Goldrande, die nur für Gäste genommen wurden.

Gusti machte sich geschäftig. Sie schnitt ihnen den Kuchen vor und zuckerte Huberts Tasse.

„Ich muß mich um Sie bemühen,“ lachte sie, „denn Sie waren sehr brav!“

Der alte Doktor hätte entdecken können, daß Hubert nicht nur etwas Heldenhaftes an sich hatte, sondern daß sich auch ein poetisches Licht um ihn zu breiten begann.

(Fortsetzung folgt.)



BLÄTTER UND BLÜTEN.



Der Eiertribut an der Oberspree. (Zu dem Bilde S. 301.) Unter den Städten, in denen der Rudersport zu höchster Blüte gelangt ist, nimmt die deutsche Reichshauptstadt gegenwärtig eine der ersten Stellen ein. Berlin ist ja für jede Art von Wassersport einer der bevorzugtesten Orte. Spree und Havel, die beiden an sich ja nicht sehr bedeutenden Wasserläufe, werden gerade in der näheren Umgebung der deutschen Kaiserstadt durch den Hang zur Seenbildung überaus stattliche Gewässer. Der zur Havel gehörige Wannsee im Westen, der zur Spree gehörige Müggelsee im Osten Berlins sind so ausgedehnte Wasserflächen, daß sie die Bethätigung jeder Art des Wassersports gestatten. Während die Havel, die von Spandau an, über Potsdam und Brandenburg hinweg, eine ununterbrochene Seenkette bildet und dadurch auf dieser ganzen großen Strecke sich als ein breiter majestätischer Strom darstellt, vornehmlich den verschiedenen Segelklubs als Schauplatz ihrer Uebungs- und Wettfahrten dient, haben sich die Berliner Rudervereine die Oberspree, jenen seenreichen Flußlauf zwischen Berlin und Köpenick, beziehungsweise Grünau und Friedrichshagen, hauptsächlich zu ihren Fahrten und Regatten erkoren. Bei Grünau an der Dahme oder Wendischen Spree, die sich bei Köpenick mit der Spree vereinigt, findet die große Frühlingsregatta statt, der neuerdings ja auch der deutsche Kaiser sein Interesse zugewendet hat, nachdem vor mehr als einem Jahrzehnt schon der damalige Kronprinz, nachmalige Kaiser Friedrich III., mit seiner Familie einer Grünauer Frühlingsregatta beigewohnt hatte. Seit jener Zeit hat der Berliner Rudersport den weltstädtischen Charakter angenommen, welchen er heute hat.

Der Rudersport nun giebt der Oberspree und den zahlreich an ihren Ufern gelegenen sommerlichen Vergnügungslokalen ein besonders charakteristisches Gepräge. Sobald das erste Birken- und Weidengrün sich schüchtern aus den Knospen hervorwagt, ja früher noch, wenn nach überstandenem Winterfrost die Wasser der Spree nur halbwegs eisfrei geworden sind, zieht der Berliner Ruderfreund sein Boot, das winterüber umgestülpt am geschützten Strande oder auch geborgen unter Dach und Fach gelegen, bereits in die Fluten. Zu derselben Zeit beginnt in den Restaurants und Sommergärten an der Oberspree, zu Treptow, Stralau-Rummelsburg, in den beiden „Eierhäuschen“ und weiter hinauf bis Köpenick, Grünau und Friedrichshagen ein gar geschäftiges Treiben, ein Großreinmachen und Erneuern dessen, was während des rauhen Winters in Verfall geraten. Die Lampen und Laternen in Garten, Halle und Saal blitzen frisch geputzt und frisch gefüllt, die Schilder glänzen neu gemalt, Zäune, Thore, Buden, Tische und Stühle desgleichen, die Gartenwege leuchten hell vom frisch gestreuten, mit Eierschalen untermischten Kies; der nächste schöne Sonntag soll ja die lange verödet gewesenen Sommerlokale wieder füllen; die Scharen der nach frischer freier Wald- und Wasserluft begierigen Residenzler werden von nun an wieder alltäglich sich hinaus ergießen zu jenen Orten „am grünen Strand der Spree“. Und der erste Gast, der erste Frühlingsbote, der den Restaurationswirten und Sommergartenbesitzern die fröhliche Kunde bringt, daß der Lenz und mit ihm die goldbringende Saison gekommen, ist nicht etwa der Storch oder die Lerche oder die Schwalbe, sondern ein Ruderboot, das sich vor den andern beeilt hat, hinauszukommen. Denn als ein besonderer Sport der Berliner Ruderfreunde hat es sich herausgebildet, als der Erste im Jahre auf dem Platze oder vielmehr den Plätzen zu sein, an denen sich während des Sommers die Klubboote zu tummeln pflegen. Und die Wirte jener Restaurants und Sommergärten, die so vielen guten Verdienst den durstigen Rudererkehlen verdanken, feiern die willkommenen Frühlingsboten in den Ruderkähnen auf eigentümliche sinnige Weise: sie überreichen ihnen eine Mandel Enteneier. Eier haben ja symbolische Bedeutung für das Osterfest, das Fest des beginnenden Lenzes. Möglichst viele solcher Eierspenden einzuheimsen, ist der Ehrgeiz jedes Berliner Ruderklubs. Wird doch der Name des betreffenden Klubs, dessen Boot als erstes im Frühjahr in einem der Restaurants an der Oberspree angekommen ist, nebst dem Namen des Bootes selbst und seiner Insassen an einer Saalwand jenes Restaurants verewigt. Da die so frühe Ruderfahrt wegen der zu dieser Zeit oft noch treibenden Eisschollen nicht ungefährlich ist, so gewinnt diese Eierspende allerdings die Bedeutung einer Anerkennung für eine wirkliche sportliche Leistung.

Unser Bild zeigt das Ueberreichen des Eiertributs – die Eier sind in der Regel in einem zierlichen Körbchen verpackt – vor einem solchen Restaurant bei Treptow. Hat das siegreiche Boot seinen Tribut in Empfang genommen, so eilt es weiter, von Restaurant zu Restaurant, oft von andern Klubbooten verfolgt, die ihm den Rang abzulaufen suchen, bis an dem Endziele eine solenne Kneiperei der vereinigten Ruderer dem Restaurateur an der Oberspree beweist, daß für ihn mit dem ersten, vor seinem Steg erscheinenden Klubboot thatsächlich die Zeit der guten Einnahmen, des stattlichen Sommerverdienstes hereingebrochen ist. O. N.     

Frühlings Erwachen im Hochgebirg. (Zu dem Bilde S. 305.) Eisumpanzert standen die Berge, als sollte es kein Entrinnen aus den strengen Fesseln des Winters mehr geben. Starr und kalt umschlossen sie das enge Thal, in dem unter der lastenden Schneedecke alles Leben erloschen schien. Da kam ein frischer Gesell aus dem Süden. Ungestüm zauste er an dem dichten Schneemantel, in den sich der grausame Despot gehüllt hatte. Wohl schleuderte dieser dem kecken Eindringling mächtige Lawinen und Felsblöcke entgegen – aber der Jugendfrische und sonnigen Kraft desselben konnte er nicht stand halten; er wurde zurückgedrängt – immer höher und höher, bis in die Regionen des ewigen Eises. Nun gab es kein Halten mehr; von allen Höhen rieselte es, neues Leben entsproß der freudig spendenden Mutter Erde. Mit zartem grünen Flaum schmückte sich der kräftigen Erdgeruch ausatmende Boden; das war ein Drängen und Treiben, Knospen und Blühen in Flur und Feld und Wald, im Thal und auf den Höhen! Und in all’ dem Jubel der neuerwachten Natur, im goldenen Sonnenschein wandelt ein glücklich Menschenpaar, Frühling im Herzen. Wie vieles haben sie sich zu sagen, was sie in der Brust verschließen mußten, wie es die Sitte verlangt; denn mit Gefühlen zu prunken, ist dort nicht Brauch. Diese Scene stellt unser Bild dar, das wir der Kunst des selbst aus solcher Bergwelt stammenden Münchener

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