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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

abgefordert werden. Es gab nur ein Mittel, ihn in Gotha sicher zu stellen, ein kleines Hofamt, und Herzog Ernst gewährte dem verfolgten Politiker seinen Schutz, indem er ihn zu seinem Vorleser und zum Hofrat ernannte. Nach einem Jahre gab man in Berlin die Verfolgung auf. Sehr schön spricht Freytag selbst über sein Verhältnis zu dem vor ihm dahingeschiedenen Fürsten; es sei nicht nur ein Schmuck, auch eine Bereicherung seines Erdenlebens geworden.

Als die Wahlen zum Norddeutschen Reichstag ausgeschrieben wurden, erlangte auch Freytag einen Sitz in demselben; er wurde 1867 in Erfurt gewählt. Doch ein Versuch auf der Tribüne blieb erfolglos; er selbst machte die Beobachtung, daß er noch nicht das Zeug zu einem Parlamentsredner besaß und dafür längerer Uebung bedurft hätte, daß seine Stimme zu schwach war, den Raum zu füllen, daß er bei dem ersten Auftreten nicht vermochte, die unvermeidliche Befangenheit zu überwinden – war er doch durch langjährige Beschäftigung in der stillen Schreibstube zu sehr an das langsame und ruhige Ausspinnen der Gedanken gewöhnt, das ein Vorrecht des Schriftstellers ist. Im Juli folgte er einer Einladung des Kronprinzen nach dem Hauptquartier und er verweilte bis zur Belagerung von Paris bei der Dritten Armee. Da, als er „mit der Wetterwolke, die über Frankreich dahinfuhr,“ über die Schlachtfelder zog, fielen ihm immer wieder die Heerzüge unserer germanischen Vorfahren in das römische Gallien, die schweren Heimsuchungen des eigenen Vaterlandes durch die Franzosen ein, und aus diesen Träumen und Erinnerungen erwuchs nach seiner Rückkehr jener große Cyklus von Kulturbildern in sechs Bänden, „Die Ahnen“ (1872 bis 1880), ein Bildersaal freier Erfindung auf geschichtlichem Hintergrunde, der sich an die schon früher erschienenen und sehr wertvollen „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ (5 Bde. 1859 bis 1867) anschloß. Dieser in den germanischen Urwäldern beginnende Kreis von Erzählungen, der in den ersten, „Ingo und Ingraban“, das Seßhaftwerden deutscher Männer während der Völkerwanderung schildert, der später Bilder aus der Hohenstaufen- und Reformationszeit, mit besonderer Rücksicht auf die weltgeschichtliche Mission Preußens entrollt und nach Geschichten aus der Franzosenzeit bis in die Jugendzeit des Dichters führt, hat die Söhne und Enkel eines deutschen Geschlechts zu Helden, dessen Ahne der flüchtige Vandalenfürst Ingo, dessen noch lebender Enkel der Schriftsteller und Journalist Viktor König ist; in seinen Erlebnissen und seinem Wesen erkennen wir die Züge von Gustav Freytag selbst wieder.

Ueber Freytags Römertragödie „Die Fabier“ und die verdienstvolle „Technik des Dramas“ können wir hier flüchtig hinweggehen, da wir nur die Hauptzüge für das Charakterbild des hervorragenden Dichters und Schriftstellers hervorheben können. Auch die schmerzlichen Erfahrungen seines häuslichen Lebens erwähnen wir nur, ohne dabei zu verweilen. Im Jahre 1879 war er nach Wiesbaden übergesiedelt, nachdem er schon 1870 die Redaktion der „Grenzboten“ niedergelegt hatte. Der eben dahingeschiedene Veteran Gustav Freytag ist einer jener Dichter, welche nie auf spontane Erregung der großen Menge ausgegangen sind, dafür aber desto tiefere Wurzeln in der allgemeinen Geltung geschlagen haben. Frei von allem Sturm und Drang hat er sich ruhig und stetig entwickelt, aber auf zwei Gebieten, dem des Lustspiels und des Romans, das Beste geleistet von den Zeitgenossen. Als feinsinniger Genre- und Kulturmaler der Gegenwart und der Vergangenheit steht er unerreicht da; vor allem aber hat er stets ein warmes patriotisches Herz und eine nachhaltige nationale Begeisterung bewährt, wie in allem, was er geschaffen, so in seinem ganzen Leben und Wirken.

Und so leben auch die Gestalten seines Schaffens in kraftvoller Frische im Bewußtsein der Nation: nicht nur diejenigen, welche uns die Kunst der Bühne vergegenwärtigt, sondern auch jene, die in seinen Romanen lieben und kämpfen, Freudiges und Trübes erleben, Heiterkeit und hohe Empfindungen wecken. Mit ihnen bleibt der verstorbene Dichter unsterblich – wie es das künstlerische Gedenkblatt von Alexander Zick andeutet, auf welchem wir die Schar seiner „Ahnen“, dem Winke des Genius folgend, heranziehen sehen, um für den Ruhm des Dichters zu zeugen. Fern im Hintergrund zeigt das Bild Ingo und Irmgard sterbend in der brennenden Burghalle und die mit dem Kinde flüchtende Magd. Nun wallen von dort heran zu Roß und zu Fuß Ingraban und der junge Mönch Gottfried, Ivo, der Kreuzfahrer des Geschlechts und „Bruder vom Deutschen Haus“, der Friderun an sich zieht – Georg König als Landsknecht mit seiner Anna und ihrem Vater dem Magister Fabricius. Vorn im Zug schmiegt sich die treue Pastorstochter an den geliebten Ernst König, den Freiwilligen, von welchem abseits sein Rival und Gegner Oberst Dessalle steht. Gestalten aus den modernen Romanen gesellen sich dazu. Da kommt Anton Wohlfahrt und Leonore aus „Soll und Haben“, das verschmitzte Gesicht von Veitel Itzig wird hinter ihnen sichtbar, und sogar einer der epischen Charakterhunde aus der „Verlornen Handschrift“ stellt sich ein. Vorn aber schwebt eine sagenhafte Gestalt aus den „Bildern aus deutscher Vergangenheit“, der Geist des Kinds mit dem Thränenkrüglein, daher – eine Mahnung zu jener echten Trauer, wie sie auch dem verstorbenen Dichter gegenüber sich ziemt, dessen Sieblebener Poetenheim wir hinter seinem Bildnis erblicken.




Das Erdbeben von Laibach.

Die Feiertagsstille des Osterfestes wurde in diesem Jahre in weiten Gebieten der Kronländer Oesterreichs durch ein furchtbares Ereignis gestört. In der weihevollen Osternacht erbebte die Erde von Triest im Süden bis über Wien im Norden hinaus und weit über die Grenzen des Kaiserstaates, pflanzten sich ihre Zuckungen im südöstlicher Richtung, fort. Laibach, die Hauptstadt Krains, die über 30 000 Menschen in ihren schützenden Mauern birgt, wurde von dieser plötzlichen Katastrophe am schlimmsten betroffen. Erdstoß auf Erdstoß erschütterte ihren Grund und Boden, und als der Morgen graute, bot die Stadt ein Bild traurigster Verwüstung und unbeschreiblichen Elends. Geborsten waren die meisten Wohnhäuser, zerstört die Kirchen, und die Burg auf dem Berge über der Stadt war über Nacht baufällig geworden. Aber auch in den folgenden Tagen und Wochen beruhigte sich die Erde nicht; neue Stöße erfolgten, und wenn sie auch schwächer waren als die ersten, so versetzten sie die schwergeprüfte Bevölkerung von neuem in Furcht und Schrecken. Tausende flohen, aus der heimgesuchten Stadt und andere Tausende kampierten im Freien und bezogen die schnell aufgerichteten notdürftigen Baracken.

Der Boden Krains war von jeher unruhig. Er hat schon in früheren Zeiten so oft gebebt! Die alten Chroniken des Landes wissen davon zu erzählen. Im Jahre 1340 fand dort das erste Erdbeben statt, das urkundlich beglaubigt ist. Darauf bis zum Anfang unseres Jahrhunderts berichtet die Geschichte von dreizehn Erdbeben, die gespürt wurden, und im neunzehnten Jahrhundert fanden noch neun Erdbeben in Krain statt; aber keine dieser Zuckungen der Erde war so verheerend wie die unheimliche der letzten Osternacht. Wie nicht anders zu erwarten war, weckte das erschütternde Unglück Mitleid in Tausenden edler Herzen, Hilfe kam von allen Seilen und namentlich Wien erwies sich durch den schnell und freudig geleisteten Beistand als die liebende starke Schwester Laibachs.

Das gewaltige Naturereignis weckte aber auch die Wissensgier weitester Kreise. Auf welche Ursachen ist dieses Erdbeben zurückzuführen? Wird es sich wiederholen? Ist Laibach dem Untergange geweiht? Das sind Fragen, die man an die Vertreter der Wissenschaft stellte und auf deren Erörterung wir eingehen möchten.

Es giebt verschiedene Ursachen der Erdbeben. Vulkanische Kräfte, welche die Hülle der Erde zu sprengen suchen, können dieselben hervorrufen. In vulkanischen Gebieten beobachtet man häufig solche Explosionsbeben; aber Krain ist kein solches Gebiet. Die Erdbeben von Laibach sind nicht vulkanischer Natur. Abre Krain ist das Land der Höhlen; meilenweit durchziehen sie das Karstgebirge des Landes, liegt doch in der Nähe von Laibach die berühmte Adelsberger Grotte. Solche Höhlen können zusammenstürzen, und wenn solche gewaltige unterirdische Zusammenbrüche erfolgen, dann erbebt die Erde im Umkreise des Einsturzes. Deshalb dachte man im ersten Augenblick, daß Laibach von einem derartigen Einsturzbeben betroffen wurde. Diese Art von Beben erstreckt sich jedoch nur über verhältnismäßig geringe Strecken, während

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