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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 23.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Haus Beetzen.

Roman von W. Heimburg.

     (9. Fortsetzung.)


Rothe und Ditscha gehen noch immer stumm nebeneinander. „Es ist schön hier,“ sagt sie endlich und bleibt stehen auf einem kleinen Hügel, der mit einem Kiosk geschmückt ist, von dessen Fenster aus man weit hinein schaut in das Land, bis dahin, wo die Türme und Dächer von Bützow aus grünen Bäumen auftauchen.

„Aber sehr einsam,“ erwidert er ernst, neben sie tretend, „und nie habe ich die Leere schwerer empfunden als gestern, als ich von Beetzen kam, aus Ihrem trauten Kreise; und – noch schwerer werde ich sie heute empfinden, wenn Sie wieder gegangen sind, ich werde Sie überall suchen und werde Sie hier stehen sehen, so deutlich, und wenn ich neben Sie treten will, dann werden Sie zerfließen wie ein Schatten und ich – ich werde mir wie ein Narr vorkommen.“

Sie kann nicht antworten, es ist so seltsam, was er spricht.

„Wie ein Narr!“ wiederholt er noch einmal, starr an ihr vorhersehend, „der ich am Ende auch bin, weil ich so etwas zu Ihnen spreche – Sie verstehen mich nicht, können mich nicht verstehen!“

„Nein,“ flüstert sie, den Kopf senkend.

„O, Ditscha täuschen Sie sich nicht! Täuschen Sie sich in diesem Augenblick nicht,“ bittet er. „Sagen Sie nicht, daß Sie mich nicht verstehen. – Sie müssen mich verstanden haben schon immer, schon seit dem Tage, wo wir uns das erste Mal sahen. Es ist noch nicht lange her, aber doch lange genug, um sich klar zu werden – über sein Herz, Sophie! Ich will Sie ja nicht mit der großen Lebensfrage überfallen wie ein Räuber, nur darauf geben Sie mir Antwort, ob Sie mir erlauben wollen um Sie zu werben? Ob ich Ihnen nicht ganz gleichgültig bin? Denn ich liebe Sie, und das mußte ich Ihnen sagen. – – Ich wollte schreiben an Sie, heute, und an Ihren Onkel, ich wollte an Sie beide dieselbe Frage richten. Darf ich werben? Da – als ich mir den Entschluß abgerungen habe, als ich mich an den Schreibtisch setze und nicht weiß, wie ich Sie anreden soll, da kommen Sie selbst wie ein Wunder, ein holdes Wunder – Ditscha, darf ich hoffen?“

Sie sieht ihn nicht an, sie zittert am ganzen Körper. Eine Weile ist es so still zwischen ihnen, daß nur das leise Rauschen in dem Laub der hohen Eichen zu hören ist und sein tiefes schweres Atmen. Dann mit einer plötzlichen Bewegung streckt sie ihm ihre Hand hin.

„Ja!“ sagt sie.

Und als er einen Moment dasteht, als habe er das Ungeheure der Antwort noch nicht begriffen, um sie dann an seine Brust zu reißen, da stemmt sie mit angstvoller Gebärde die Arme gegen seine Brust, das blasse Entsetzen im zurückgebogenen Antlitz.

„Aber! Aber!“ stößt sie hervor. Sie will sagen: Noch ein Wort – ich will Dir erst


Aller Anfang ist schwer.
Nach einer Zeichnung von E. Horstig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_373.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)