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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Aber, wozu eine Entschuldigung? Sie fordert einfach nur den Brief zurück, das ist genug. Morgen früh wird sie ihn holen lassen.

Sie geht etwas gefaßter zum Abendessen hinunter. Cilly neckt sie ob ihrer Blässe und geröteten Augenränder. Die junge Frau ist höchst vergnügt aus Berlin zurückgekehrt, es ist himmlisch da gewesen und sie hat neue Toiletten mitgebracht und einen unsinnig großen Koffer voll Weihnachtsgeschenke; ein Hochzeitsgeschenk für Ditscha ist auch darin, riesig reich und elegant. – Und wenn Cilly allein ist in ihrem Zimmer, träumt sie von vielen Küssen und von reizenden Blumensträußen und ganz närrisch entzückenden Zukunftsplänen. Sie und er – Monte Carlo, Nizza, Florenz, Venedig, Rom, Neapel! Ein Wort, das Gewissen heißt, giebt’s nicht für die reizende Frau. Ç’est la vie! Wie kann sich ein Mensch in das langweilige Gespenst, die Ditscha, verlieben! Freilich muß sie ja zugestehen, daß das Gespenst wunderbare Augen hat, Augen, von langen Wimpern umrahmt, in denen eine Tiefe, eine Liebe, eine Trauer liegt, wie sie sie noch nicht gesehen hat bei einem Menschen; aber sie fürchtet sich ein wenig davor, sie versteht sie nicht!

„Nun, Ditscherle – und übermorgen kommt das Kurterle, um mit dem ‚Mutterle‘ aus der ‚Schlesing‘ zu reden?“ fragt sie lustig das blasse Mädchen. Und als Ditscha bejahend nickt, fügt der Onkel hinzu: „Es ist auch die höchste Zeit, das Kind sieht ganz krank aus. Ja, ja, mein altes Herz, nun rückt die Zeit näher und näher, in der Du uns verläßt.“

„Ditscha, bleib’ doch hier,“ sagt Achim weinerlich. Cilly lacht.

„Onkel Rothe kann ja hierher ziehen,“ behauptet er.

„Oder, Du gehst mit nach Dombeck,“ schlägt Cilly eifrig vor. „Möchtest Du das?“

„Nein, ich will bei Onkel Jochen bleiben,“ sagt das Kind.

Der alte Herr greift zum Taschentuch und schneuzt sich laut, denn die Zuneigung des kleinen Wichtes rührt ihn stets.

„Von mir sagt er gar nichts,“ bemerkt Cilly. „O, Du häßlicher Junge!“

„Was soll ich denn sagen, Mama?“ erklärt er. „Ich kann lange in Deiner Stube sitzen, Du merkst’s nicht ’mal, weil Du immer schreibst. Und als Du mir gestern eine Schnur an die Peitsche knüpfen solltest, hast Du gesagt, ich sollte Dich doch um Gotteswillen zufrieden lassen. Und Mademoiselle ist auch so ungefällig, ich kann sie gar nicht mehr leiden. Ditscha macht mir immer gleich, um was ich sie bitte, und Ditscha soll hier bleiben.“

„Da hast Du es,“ sagt Cilly zu Ditscha, „schreib’ nur dem Rothe ab!“

Ditscha antwortet nicht.

(Fortsetzung folgt.)

Von Kiel nach Brunsbüttel.

Eine Fahrt durch den Nordostseekanal vor der Eröffnung.
Von Georg Hoffmann.0 Mit Abbildungen von Fritz Stoltenberg.

Die letzte Hälfte des verwichenen Winters hat die schleswig-holsteinische Ostseeküste mit ihrem deutschen Reichskriegshafen bis in den März hinein in festen Eisesbanden gehalten und die vier Kriegsschiffe, die just am Geburtstag des Kaisers sich vor den aus See herdrängenden Treibeismassen ins Winterlager, nahe am Düsternbrooker Ufer, hatten zurückziehen müssen, konnten sich sechs Wochen lang nicht von der Stelle rühren. Dann freilich kam der neue Frühling auch mit um so siegreicherer Gewalt ins Land gezogen und nun zeigt sich die Kieler Föhrde wieder im vollen Schmucke ihrer landschaftlichen Schönheit und ihrer imposanten Kriegsherrlichkeit, fix und fertig als Schauplatz für die Junifeste der Kanaleröffnung und der damit verbundenen internationalen Flottenschau. In lang hingestreckten Ketten liegen zwischen den goldgrünen Uferhöhen auf stahlblauer Flut die Panzerkolosse dreier Klassen, die hochgetakelten Schulfregatten, die schlanken Avisos, die eleganten Rennjachten und mitten dazwischen der weiß schimmernde Rumpf der Kaiserjacht „Hohenzollern“, die schon einmal in diesem Jahre dem obersten Kriegsherrn als schwimmende Residenz gedient hat.

Der Leuchtturm bei Holtenau.

Indessen diesmal galt des Kaisers Interesse nicht wie sonst in erster Linie den ihn umgebenden Schiffen und Fahrzeugen der Marine. Nicht an den Masten der Panzerschiffe ließ er seine goldgelb schimmernde Standarte hissen, um an der Spitze der Geschwader zu taktischen Uebungen in See hinauszufahren; sondern was das Reichsoberhaupt während der ersten Apriltage in Kiel beschäftigte, das war immer und immer wieder die neugeschaffene Wasserstraße zwischen Ostsee und Nordsee und der Plan, dieselbe in würdiger Weise vor den Augen der ganzen Welt zu eröffnen.

Der Nordostseekanal steht gegenwärtig im Mittelpunkte des öffentlichen Interesses, und früher als in den letzten Jahren hat in diesem Frühling der Zug der Touristen begonnen, welche, um einen Begriff von der Größe des Bauwerks zu erhalten, den Kanal entweder auf seiner ganzen, 98,65 Kilometer langen Linie oder doch wenigstens auf der bereits seit Jahren von fahrplanmäßigen Dampfern befahrenen östlichen Strecke, von der Mündung bei Holtenau bis zur ehemaligen schleswig-holsteinischen Festung Rendsburg, zu bereisen. Ist doch die Jahreszeit für solche Fahrt gerade jetzt die günstigste: in entzückender Jugendschönheit präsentiert sich die schleswig-holsteinische Frühlingslandschaft und auf dem glatten Wasserspiegel und auf den Ufern der neuen Verkehrsstraße brennt noch nicht die erschlaffende Glut der Sommersonne. Aber auch im Geist aus der Ferne wird der freundliche Leser gern uns auf solcher Maienfahrt durch den Nordostseekanal begleiten.

In einer kleinen halben Stunde bringt uns der stündlich von Kiel nach der Festung Friedrichsort abgehende Föhrdedampfer zur Holtenauer Mündung. In anfangs nordnordöstlichem, dann nördlichem Kurs dampfen wir zum inneren, engeren Hafen hinaus; vorüber zur Rechten an den Panzerschiffen des Manövergeschwaders, die nun nicht mehr nötig haben werden, den weiteren und gefährlicheren Weg um Skagens Felsenküste zu nehmen, wenn sie im Spätsommer die Wilhelmshavener Reede aufsuchen, um in den Verband der Herbstübungsflotte einzutreten. Zur Linken aber zieht die Frühlingspracht des Düsternbrooker Ufers vorüber, in die Lichtfülle der Morgensonne getaucht; in lauschigen Gärten freundliche Villen, von Zeit zu Zeit ein öffentliches Bade- und Wirtschaftsetablissement, solide Landungsbrücken für anlegende Dampfer und schwanke Stege für Ruder- und Segelboote, belebt von buntfarbiger Menschenmenge, die sich des Lenzes freut; und hinter dem allem emporwachsend die frischgrünen Buchenwaldhöhen von Bellevue und Umgebung. Hinter dem hohen Ufervorsprung von Bellevue aber tritt plötzlich das gleichzeitig fast auf das Niveau des Ostseespiegels abfallende Gestade

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_395.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)