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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Von Burg aus passieren wir die letzte Ausweiche und sind sodann nur noch durch den Kudensee und seine Moräste vom Ziel unserer Reise getrennt. In diesem Moor hat, wie auch an dem zwischen Rendsburg und Grünenthal liegenden Meckelsee, die Kanalarbeit viel Mühe gemacht und eine ganze Summe von Geduld gefordert. Aber allmählich ist man doch zum Ziele gekommen und hat den meilenweit herbeigeholten Sand, anfangs in kleinen Handkarren, später mit Lowries, ins unergründliche Moor hineingebracht, bis er endlich einen festen Grund bildete, auf den weitere größere Massen aufgetragen werden konnten. Heute begrenzen zwei parallele Dämme die neue Wasserstraße auf ihrem Wege durch das von ihr abgeschlossene Moor, das sich zu beiden Seiten weithin dehnt. Hat man diese etwas melancholische Partie hinter sich und auch den Kudensee durchquert, auf welchem, wie in dem Rendsburger Seengebiet, das Fahrwasser durch nachts mit elektrischen Glühlampen ausgestatteten Bojen gekennzeichnet wird, so bedarf es höchstens noch, der vollbeladenen Fähre, welche auf unserem Bilde, S. 400, das Passieren eines Panzerschiffs abwarten mußte, den Vortritt über den Kanal zu lassen, um dann eiligst unter der letzten Drehbrücke, über welche eben ein Zug der Marschbahn hinwegsaust, hindurchzuschlüpfen und vor den geschlossenen Flutthoren der Schleusen von Brunsbüttel an Land zu gehen.

Es ist Abenddämmerung. Langsam schlendern wir an den Schleusen entlang, welche, im übrigen genau so eingerichtet wie diejenigen zu Holtenau, mit höheren Flutthoren und darum auch mit höheren Wandungen ausgestattet werden mußten. Massig ragt das gewaltige Bauwerk über den Erdboden empor, und massig werden sich bei ihrer Durchfahrt über die Plattformen der Quais die Geschütztürme der großen Panzerschiffe erheben. Links von dem Bauplatz der Kanallotsenstation, rechts von demjenigen des Elblotsenhauses gehen Maurer und Handlanger plaudernd nach Haus. Es ist Feierabend. Nachdenkend über das große Kulturwerk, das wir in seinen Einzelheiten kennengelernt, pilgern wir auf einer der beiden, weit in den Elbstrom hinaus sich erstreckenden Schutzmolen hin bis zum Granitsockel des Leuchtturms, der 13 Meter hoch hüben wie drüben auf der anderen Mole errichtet werden soll. Vor uns breitet sich der Fluß, auf dem die Dampfer von Hamburg seewärts und aus See seinem Hafen zustreben. Nicht lange mehr wird es dauern, dann wird manches von den heute vorüberdampfenden großen Handelsschiffen vom Strome abschwenken und den Kurs zu uns herüber nehmen, um durch die Riesenschleusen in den Kanal einzulaufen, der ja nicht nur dem eisernen Kriegswerke, sondern vor allem den Interessen friedlichen Wirkens und Strebens dienen soll. Dafür möge von symbolischer Bedeutung die friedliche Eröffnungsfahrt sein, die in Gegenwart des deutschen Kaisers und unter Teilnahme vieler fremder Kriegsfahrzeuge in der Morgenfrühe des 20. Juni von Brunsbüttel aus beginnen wird.


Der „böse Blick“ im Lichte der Suggestion.

Von C. Falkenhorst.

In der neuesten Zeit wurde eine Machtfrage lebhaft erörtert, die von allgemeinstem Interesse ist. Gerichte sollten wiederholt entscheiden, ob es möglich sei, durch verschiedene Mittel Menschen ohne deren Willen zu hypnotisieren, sie alsdann durch Suggestion ihres freien Willens zu berauben und zu blinden Werkzeugen fremder Einflüsterungen zu machen. Nach dem Urteil der Sachverständigen kann die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung nicht geleugnet werden, obwohl sie bei weitem seltener vorkommt, als manche annehmen möchten. Es ist nicht so leicht, einen Menschen unverhofft zu hypnotisieren, er muß in der Regel dazu seine Einwilligung geben; nur besonders empfindliche, nervös kranke Menschen erliegen leichter solchen Kunstgriffen. Als der gefährlichste derselben wurde vielfach der Blick des Hypnotiseurs bezeichnet; es soll ihm unter Umständen eine wirklich hypnotisierende Kraft innewohnen und es läßt sich nicht leugnen, daß in der That das Auge beim Hervorrufen der Hypnose eine hervorragende beeinflussende Rolle spielen kann; sein Einfluß wird jedoch vielfach übertrieben und die Furcht ängstlicher Gemüter vor fremden Blicken ist nur wenig begründet. Es dürfte darum angemessen sein, über diese oft besprochene, unheimliche Macht des Blickes auf Grund bestimmter Thatsachen weitere Kreise aufzuklären.

Wir betreten damit kein neues Gebiet; denn diese Frage hat seit uralten Zeiten die Menschen beschäftigt und gab Anlaß zur Entstehung wunderbarster Lehren und Anschauungen, die wir fast bei jedem Volke der Erde wiederfinden. Diese Frage hat somit ihre Geschichte, die sich in den allerersten Anfängen der Kultur verliert, und wir müssen darum weit in die Vergangenheit zurückgreifen und uns in ein Geistesleben versetzen, das tief unter unsrer heutigen Bildungsstufe steht, wenn wir in das Wesen der „Fascination“, in das Rätsel des „bösen Blickes“ einen unbefangenen klaren Einblick gewinnen wollen.

Selbst die rohesten Naturvölker, die auf der tiefsten Stufe der Kultur stehen, sind im Besitze von mindestens einer Wissenschaft, der Medizin. Freilich ist diese „Wissenschaft“, die sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbt, eine gar sonderbare Sammlung abenteuerlicher Ansichten; die aufgeklärte Menschheit weist dieselbe von sich zurück und bekämpft sie aufs eifrigste als krasses Unwissen und dummen Aberglauben; inmitten der Naturvölker sind aber die eingeborenen „Medizinmänner“ ebenso hoch geachtet wie bei uns berühmte Universitätsprofessoren. In der Neuzeit haben Forscher, die sich mit der Völkerkunde befassen, auch der Medizin der Naturvölker besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und klarer als je blicken wir heute in das dunkle Gebiet der ersten wissenschaftlichen Regungen des menschlichen Geistes .... Und siehe da, wir finden, daß jene uralte Weisheit vielfach noch unter uns inmitten der höchsten Civilisation fortlebt, daß sie hier und dort als Aberglauben, der sich nur schwer ausrotten läßt, die Gemüter gefangen hält.

Eigenartig sind die Vorstellungen der Naturvölker über Ursachen der Krankheiten. In diesem Teile der Urmedizin spielen natürliche Kräfte und Ereignisse gar keine Rolle. Krankheit und Tod sind das Werk böser Geister und magischer Künste, die von Menschen ausgeübt werden, denen der Verkehr mit Dämonen geläufig ist. Wir möchten dies nur an einem Beispiele erklären. Infolge von Erkältung erkranken Menschen häufig am Rheumatismus der Lendenmuskeln; gesund legen sie sich zur Nachtruhe nieder, und wenn sie erwachen, ist ihr Kreuz steif und schmerzhaft geworden, daß sie sich kaum fortbewegen können. Viele Naturvölker sind nun der Ansicht, daß diese Leute von irgend einem ihnen übelwollenden Zauberer durch ein magisches Geschoß verletzt wurden. Der Zauberer, der von seinem Opfer viele Meilen entfernt ist, schießt irgend einen Gegenstand, ein Steinchen oder ein Stück Holz, in die Luft ab und befiehlt ihm, seinen Gegner zu treffen. Der Schuß sitzt auch, dank der Zauberkraft, über die der Hexenmeister verfügt, und das Opfer verspürt alsbald Schmerzen in den Lenden. Das ist zweifellos eine lächerlich dumme Ansicht, aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch unsre Vorfahren ihr einst gehuldigt haben; führt doch jene rheumatische Erkrankung der Lendenmuskeln noch heute im Volksmunde den Namen – Hexenschuß.

Es giebt nun viele Zaubermittel, durch welche Menschen krank gemacht werden können, und eins von denjenigen, die weit und breit in allen Weltteilen gefürchtet werden, ist der menschliche Blick. Fast überall begegnet man der Anschauung, daß verschiedene Menschen die unheimliche Fähigkeit besitzen, anderen durch ihren Blick Schaden zuzufügen, ja selbst Tiere verhexen und Feldfrüchte verderben können. Unter den Indianern Nordamerikas schleudern die Medizinmänner absichtlich böse Blicke gegen ihnen mißliebige Personen, und gesenkten Hauptes gehen die Eingeborenen an ihnen vorüber, damit sie nicht von den krankheitbringenden Strahlen ihres zornfunkelnden Auges getroffen werden. Unter den Negern Afrikas ist dieser Aberglaube gleichfalls bekannt und steht in hoher Blüte bei den Hirtenvölkern im Gebiete der großen Seen. Emin und Casati haben uns verbürgte Nachrichten über die Furcht, die z. B. die Wanjuro vor dem bösen Blicke haben, übermittelt. Er soll die Milch der Kühe blutrot färben und das Vieh krank machen können. Wenn die Rinder des Königs auf die Weide getrieben werden, muß jeder, der ihnen begegnet, den Tieren den Rücken zuwenden, damit er sie nicht etwa durch seinen bösen Blick behexe. In den Sudanländern besteht die Sitte, daß man Geschenke, namentlich aber Pferde, dem Beschenkten während der Nacht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_402.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)