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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

der Hexenmeister mit drohender Stimme: du sollst krank werden und sterben! so wird das Opfer des Aberglaubens sicher von der höchsten Unruhe erfaßt werden und die seelische Pein und Angst wird ihn derart zerrütten, daß er krank wird oder sogar stirbt. Es ist nicht einmal nötig, daß der Medizinmann seinen zürnenden Blick mit drohenden Worten begleitet. Der Bezauberte weiß, welche Folgen nach dem Volksglauben der böse Blick nach sich zieht; es erwacht in ihm die Vorstellung, daß er dem Unheil anheim fallen wird, anheimfallen muß, und er wird durch die innere Unruhe aufgerieben. In dieser Weise ist der böse Blick unter Abergläubischen in der That die wirkliche Ursache von verschiedenen Leiden, ja selbst von tötlichen Krankheiten.

Wenn aber derselbe Medizinmann seinen Augenzauber an einem aufgeklärten Forschungsreisenden versuchen sollte, so würde jener den Zauberkünstler auslachen und der böse Blick von dem Ungläubigen wirkungslos abprallen.

Wir sehen also, wie die Zauberer durch den bösen Blick Massen in Aberglauben befangener Menschen wirklich peinigen und schädigen können, und genauere Beobachtungen der Lebensweise der Naturvölker beweisen auch, daß von dieser Macht gegen die Schwachen ungemein häufig Gebrauch gemacht wird. Die armen Unaufgeklärten! Sie haben nicht die geringste Ahnung, daß an ihrem Unheil ihre eigene Schwäche schuld ist; die schlimmen Leiden, denen sie oder ihre Angehörigen verfallen, halten sie wirklich für Folgen der Zaubermacht, die in dem Blicke des Hexenmeisters ruht. Der Glaube an den bösen Blick wird dadurch unerschütterlich fest begründet.

Auf diesem, wie wir sehen, durchaus natürlichen und thatsächlichen Fundament baute nun der sinnende und wenig scharf beobachtende Naturmensch weiter; er schrieb auch anderes Unheil, das ihn oder seine Freunde betroffen hatte, dem Blicke seiner zürnenden Feinde zu; er verwickelte sich dabei in Trugschlüsse und so entstand die mehr oder weniger festgefügte Meinung, daß es einen Augenzauber gebe, der durch übernatürliche Kräfte zustande kommt.

Es giebt nun vielfach sonderbar geformte oder mißgestaltete Augen, wie z. B. Augen mit doppelten Pupillen. Jüngst erst wurde in Belgien in der Klinik von Prof. Deneffe eine Frau vorgestellt, auf deren Augen inmitten der Regenbogenhaut deutlich arabische Ziffern zu lesen sind. Das rechte Auge zeigt die Zahl 45; das linke die Zahl 10; auch die Tochter der Frau hat numerierte Augen, auf der Regenbogenhaut des einen steht deutlich die Zahl 20, auf der des anderen die Zahl 10. Heute werden solche Erscheinungen als Kuriosa, als Naturspiele betrachtet; in früheren Zeiten, inmitten abergläubischer Menschen wurden sie aber ganz besonders gefürchtet, denn die Eigenschaften des Augenzaubers sollten gerade solchen mißgestalteten Augen in hohem Maße zukommen.

Die Furcht vor dem bösen Blicke beunruhigt nur abergläubische Gemüter; es ist aber durchaus nicht ausgeschlossen, daß auch aufgeklärte Menschen, wenn sie von einem sonderbaren, wilden und furchtbaren Blicke überrascht werden, augenblicklich ihre Fassung verlieren und in den Zustand einer mehr oder minder starken Kataplexie verfallen können. Das Zustandekommen dieser Wirkung hängt dabei in höchstem Maße von der nervösen Anlage der Betreffenden ab. Den Vorgang nennt man Fascination und der fascinierende Blick kann in der That gefährlich werden, wenn er schwache Personen trifft und von schlechten unredlichen Menschen mißbraucht wird; denn der Fascinierte ist in gewissem Sinne mehr oder weniger hypnotisiert und für Suggestionen empfänglich.

Kürzlich beschrieb Prof. W. Preyer einen merkwürdigen Fall von Fascination, in welchem eine junge Frau von einem Manne durch dessen einstudierten Blick beeinflußt wurde. Es handelte sich hier allerdings um Menschen, die in ihrem Verhalten mindestens als höchst sonderbar und excentrisch zu betrachten sind. Wir erwähnen den Fall auch nur darum, weil Preyer in seiner Besprechung mitteilt, in welcher Weise er die junge Frau von der Empfänglichkeit für den fascinierenden Blick befreite. Er hypnotisierte sie und sagte ihr dann sehr bestimmt: „Sie werden das nächste Mal, wenn irgend jemand Sie zu fascinieren versucht und mit dem Tigerblick anstarrt, lachen. Sie werden niemals wergessen, dann zu lachen, und denken: das sind Faxen, das ist Komödie. Zehn Minuten nachdem Sie erwacht sind, werden Sie mir selbst, wenn ich Sie wieder so ansehe, hellauf ins Gesicht lachen und nicht erblassen, nicht ja! ja! sagen und sich nicht im geringsten fürchten!“

Diese Suggestion ging völlig in Erfüllung. Wir sind auch der Meinung, daß sich jeder mit der Einsicht, die ihr zu Grunde liegt, gegen alle Fascinationsversuche wappnen kann. Der von jedem Aberglauben freie, kühl denkende und seiner inneren Kraft sich bewußte Mensch begegnet siegreich jedem Blicke, und alle Künste der Zauberer der alten Schule und alle Bemühungen der modernen Magnetiseure und Hypnotiseure erwecken in ihm nur ein überlegenes Lächeln.

Die Naturvölker und abergläubische Kulturmenschen wappnen sich gegen den „bösen Blick“ mit allerlei Amuletten; bald sind es kleine Nachbildungen irgend welcher Art des Gehirns sowie der Hand, bald gläserne Knöpfe, die in blauer und gelber Umrandung eine weiße Mittelfläche mit schwarzem Mittelpunkt besitzen und so eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Bilde eines Auges darbieten; bald sucht man durch Pflanzensäfte, bald durch Beschwörungsgesänge den Zauber des bösen Blickes zu bannen. Am gefeitesten gegen jede Fascination sind aber diejenigen, die keine Furcht vor dem verstellten zornigen Blicke haben, die in der eigenen Brust, in klarem Fühlen und Denken den mächtigsten Talisman tragen: das sind die Aufgeklärten, die Geistesfrischen und Nervenstarken. Sie bannen jeden bösen Blick, der sie trifft, indem sie dem Feinde mutig ins Auge schauen und bereit sind, schlagfertig dem Angriff die Wehr entgegenzusetzen, indem sie bei allen Fascinationskünsten, die an ihnen versucht werden sollten, hell auflachen und sich sagen: Das sind Faxen, das ist Komödie!


Blauweiß.

Novelle von Theodor Duimchen.

 (Fortsetzung.)

Don Enrique war eine sehr einflußreiche Persönlichkeit in Havanna. Mit jungen Jahren schon der Teilhaber und Hauptleiter des großen Bankhauses Felipe Morales é Hijo war er bereits eine wirtschaftliche Großmacht. Das Haus beherrschte den Handel der Antillenplätze und der mexikanischen Häfen. Enrique hatte in den Vereinigten Staaten seine Erziehung erhalten und war nach deren Abschluß noch einige Jahre in New York geblieben. Dann hatte Johny ihn nicht wieder gesehen und er war sehr neugierig auf ihn, um so mehr, als er ihm von seinem Vater häufig als musterhafter Kaufmann und als ein Beispiel hingestellt wurde, dem nachzueifern sich lohne. Die Nachrichten über seinen früheren Schulkameraden hatten zuerst einigermaßen sein Erstaunen erregt. Früher war an ihm nie etwas Besonderes zu bemerken gewesen. Seine Fortschritte in den Wissenschaften hatten durchaus kein Aufsehen gemacht und auf dem Fußballplatz hatte er Zeit seines Lebens keinen ordentlichen Tritt fertiggebracht. Hervorragende Talente entwickeln sich eben überraschend, hatte Johny gedacht. Als ein guter Kerl, der er war, gönnte er dem alten Freunde aber seine Erfolge von ganzem Herzen und freute sich jetzt aufrichtig darauf, ihn wiederzusehen.

Nach einem Stündchen lief der „Juarez“ glücklich ein. Kaum schob sich der Dampfer langsam hinter den Felsenvorsprüngen des Morro hervor ins Gesichtsfeld, als ihn Mercedes auch schon bemerkte und ihrem Bootsmann die nötigen Befehle zurief. Pfeilschnell schoß die Lancha quer über die Bai hin, drehte in hübschem Bogen und segelte dicht an dem Dampfer längsseits vorüber. Mercedes erkannte ihren Bruder von weitem schon, wie er mit wehendem Tuche ihr Boot begrüßte. Während die Anker fielen, legte die Lancha schon an. Bald darauf war Enrique im Boot. Er war augenscheinlich sehr erfreut und begrüßte die amerikanischen Freunde herzlich, nach wenigen Augenblicken aber sprach er mit Johny schon über das Geschäft. Er war sehr unzufrieden. Seine Reise nach Veracruz, die er leider nicht habe aufschieben können, hätte durchaus keine angenehme Veranlassung gehabt, und auf Kuba selbst gehe alles zurück seit der unseligen Insurrektion.

„Sympathisierst Du nicht mit der Bewegung, der Du doch selbst Sohn der Insel bist,“ fragte Johny überrascht, „wir in Amerika …“

„Natürlich,“ unterbrach ihn Enrique, „Ihr findet nichts

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_404.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)