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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 25.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Haus Beetzen.

Roman von W. Heimburg.

     (11. Fortsetzung.)

Während der Nacht liegt Ditscha schlaflos. Wie, wenn Rothe heute abend unvermutet zurückgekehrt wäre und nun den Brief entdeckt, ihn in freudiger Hast erbricht, um dies zu finden – dies! Allmächtiger Gott! – Sie kann es nicht ertragen, ihn zu verlieren, sie will lieber sterben. – Und wenn er ihr nun verzeiht, wird er dann vergessen können? Wird nicht ein Mißtrauen zurückbleiben, das ihn quälen muß immerfort – immerfort? Ist’s nicht noch tausendmal schlimmer, als ihn in Unwissenheit zu lassen?

Ja, ja – sie muß den Brief wiederhaben!

Und dann spricht wieder ihr Herz, ihr vornehmes großes schlichtes Herz: Offenheit, Ditscha! Wahrheit! Trage, was kommt!

Sie ist völlig krank, als sie aufsteht und sich zum Fenster schleppt, ist weder fähig, den Brief holen zu lassen, noch den Gedanken: Du thust recht! als Trost zu empfinden. Als sie zum Frühstück erscheint, stutzt selbst Onkel Jochen über ihr elendes Aussehen.

„Da mag doch Franz den Doktor holen,“ sagt er. Aber Ditscha behauptet, sie sei nicht krank.

Hanne hat nach beendeter Mahlzeit allerhand Anliegen, die das Weihnachtsfest und die Hochzeit betreffen. Jede Frage thut Ditscha fast körperlich weh. Sie steht dann in dem Zimmer, wo die Leinenschätze ihrer Aussteuer aufgeschichtet sind, und sie sieht, wie Hanne an einer großen flachen Kiste hantiert – das Brautkleid ist angekommen.

„De Snider hat sich ’was verfrüht,“ sagt Hanne, „na, besser als zu spät, gnä’ Fröln. Und wenn einer man bloß nach eine Probetaille arbeitet, so is noch immer ein’ Frag’, ob’s paßlich wird, und wenns zehnmal ’n Hoflieferant is. – Will denn das oll dumm’' Ding gar nich auf?“

„Lassen Sie’s doch zu,“ sagt Ditscha matt.

„Nee, so was!“ schreit Hanne. „Wo? Damit sich das Dings da Falten einliegt und Sie in die Kirche aussehen, als wären Sie direkt aus die Plünnenkiste gestiegen?“ Und mit einem furchtbaren Krach fliegt jetzt der Deckel auf, weißes Seidenpapier bauscht sich und knistert, und dann hebt Hanne das Gewand empor aus schneeweißem silberglänzenden Atlas, mit riesenlanger Schleppe und zartem Spitzengekräusel am Saum, in den Myrtenzweige eingestreut sind.

„Pük!“ sagt Hanne befriedigt, „wahrhaftig, pükfein“

Ditscha aber ist verschwunden und läuft wie gejagt die Treppe hinunter in ihr Zimmer; es ist ihr, als müsse sie ersticken.

Cilly kommt ein paar Stunden später. Sie hat sich das Brautkleid angesehen und will Ditscha ihre Kritik überbringen; sie findet das Mädchen vor ihrem Schreibtisch auf ein Couvert starrend, das noch nicht geschlossen, auch noch nicht beschrieben ist, das Gesicht fast verzerrt in Schmerz.

„Aber, meine Güte, was ist Dir denn nur?“ fragt Cilly. „Hast Du etwas mit Rothe gehabt? Beruhige Dich doch! Sie thun ja alle nur so bärbeißig; Dein Papa konnte aussehen, als wollte er Kinder fressen, und hatte doch au fond nur Angst vor mir. Er scheint ein bißchen gern zu moralisieren, Dein Zukünftiger – na, da thust Du eben, als wenn Du ganz seiner Meinung wärst, machen kannst Du ja, was Du willst; er merkt’s nicht einmal, wenn Du sagst, wie recht er habe. Eifersüchtig scheint er auch zu sein, aber das giebt sich dann von selber; das ist ja alles nur Bräutigamsidealismus.“ Und sie lacht, läuft an den Ofen und freut sich auf den Heiligen Abend, denn dieser Tag gehört ihr. –

Der Eingang zum Kerker.
Gemälde von Th. Lybaert.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_409.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)