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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Reuter kam. – Er kam täglich. Sein Weg ins Bureau nach der Calle Mercaderes führte ihn an der Villa Morales vorüber. Jeden Morgen erkundigte er sich nach John Arlingtons Befinden und nie versäumte es Bonny Kate, ihm die von Tag zu Tag besser werdenden Berichte selbst mitzuteilen.

Die draußen am Gitter Vorübergehenden sahen häufig, wie die schöne Fremde, die reiche Amerikanerin, neben dem Deutschen in der Veranda saß, in den Gängen auf und ab wandelte oder ihn bis zum Gartenthor brachte. Man fing im Deutschen Klub an, über die großartigen Aussichten, über das Glück, das der Reuter habe, zu sprechen, früher, als Reuter selbst Mut genug hatte, an solche Möglichkeiten zu denken. Er war bescheiden und doch sehr stolz.

Es dauerte lange, aber endlich wollte es ihm doch hier und da scheinen, als sei in Bonny Kates Augen noch etwas anderes als nur Dankbarkeit und Freundschaft. Wenn er dann aber nach dem Kontor weiter wanderte, redete er sich selbst immer wieder ein, daß er eitlerweise sich thörichte Gedanken in den Kopf setzte. Sie würde schöne Augen machen, wenn er um sie werben wollte. Das Blut stieg ihm zu Kopf und seine Faust ballte sich, wenn das Bild lebhaft vor seinem geistigen Auge stand, wie ihn Miß Arlington, die Millionärin, erstaunt ansehen und ein mitleidiges Lächeln über ihre schönen Züge fliegen würde.

Dann war er am nächsten Morgen so steif und zurückhaltend, daß die arme Bonny Kate scheu zurückwich vor dem kühlen Hauch, der von ihm ausging. War sein Herz vielleicht nicht mehr frei, hatte sie sich etwa bloßgestellt?

Da merkte der Deutsche denn, daß das fröhliche Lächeln verschwand, mit dem sie ihn empfangen hatte, und wieder stiegen Liebe und Hoffnung in ihm auf. Und wieder kam gleich die Vernunft hinterdrein: ja, ja, wenn sie nur nicht so sehr reich wäre – aber so! –

So quälten sich die beiden Herzen und konnten doch von Tag zu Tag weniger voneinander lassen. Dabei gingen John Arlington, während er sich langsam erholte, und Mercedes Morales den Beiden mit außerordentlich gutem Beispiele voran.

Sechs Wochen nur waren nach dem verhängnisvollen Tage vergangen, da saßen die beiden jungen Paare eines Abends wieder einmal beisammen zwischen den Marmorsäulen der Veranda.

Ganz vorn, wo die eben untergehende Sonne die weißen Sockel und Platten rosig überhauchte, lag John Arlington auf einem langgestreckten Rohrstuhl und ließ das Auge über den vor ihm liegenden, herrlichen Tropengarten schweifen. Neben ihm saß Mercedes auf einem niedrigen Sessel und streichelte seine auf der Seitenlehne des Stuhles liegende Rechte.

Im Hintergrunde aber stand Reuter im Gespräch mit Bonny Kate, die im Schatten einer der Säulen lehnte.

„Ich begreife Sie nicht, bester Reuter,“ rief Johny soeben laut, halb über die Schulter zurück, „Sie sind so schnell von Entschluß, wenn es gilt, die Knochen für einen andern zu wagen, und unseren Bitten gegenüber können Sie sich zu keiner runden Zusage aufschwingen. Wie dürfen Sie uns mit Redensarten kommen von übertriebenem Dank und solchem Unsinn? Es ist gar nicht hübsch von Ihnen, daß Sie so zäh sind, sag’ ich. Ich wäre schon viel weiter, wenn ich wüßte, daß Sie zu uns kämen. Was fesselt Sie denn an diese schöne Tropeninsel und an diese gottgesegneten Zustände hier? Nehmen Sie es als Geschäft, rechnen Sie es uns als Selbstsucht an. Sie sind ein ungemein begabter Kaufmann, sagt mein zukünftiger Schwager, und der ist Kenner; wir wollen Ihre Talente für den Zucker gewinnen, das ist alles. Kommen Sie, sagen Sie Ja!“

Hinten aber flüsterte Bonny Kate und ein Wiederschein der scheidenden Sonne war in den schönen Augen: „Lieber Herr Reuter, mein Vater kommt morgen an. Er geht auf keinen Fall nach den Staaten zurück ohne Sie, schreibt er. Wollen Sie nicht mir die Zusage geben, die er sich nicht wird vorenthalten lassen?“

Und da kam ihm der große Mut und es ward sein Augenblick des Glücks, der Augenblick des Glücks, von dem brave Menschen, die diese Welt gutmütig überschätzen, behaupten, daß jeder Mensch ihn einmal erlebe und ihn dann eben nur benutzen müsse.

Nun, Herr Reuter benutzte ihn, oder vielmehr etwas, das aus ihm sprach, ihn handeln machte ohne sein Zuthun, benutzte ihn.

„Nur, wenn Sie mir eine andere Zusage machen können, Kate, Bonny Kate,“ flüsterte er zurück. „Wollen Sie mich lieb haben, wollen Sie meine Frau werden?“

Da blitzte es auf in ihren Augen von einem kleinen Schreck und jäher Freude. Er wußte genug, sie hielten sich in den Armen, und im nächsten Augenblick drehte sich Mercedes auf ein eigentümliches Geräusch hin um und „Hallo,“ rief Johny lachend, „jetzt haben wir ihn; wird sich der Governor freuen, wenn er morgen kommt.“

Und der alte Herr freute sich wirklich. Die Doppelverlobung unter so romantischen Umständen machte Aufsehen in Havanna; auch Reuter hatte – im Deutschen Klub – viele Freunde.

Und abends, nach stolzen Tagen voll Glück, voll Liebe und Seligkeit, lag Reuter noch häufig wach mit unruhig jauchzender und doch nachdenklicher Seele, er sann und sann. Wie unermeßlich war sein Glück und was war sein Verdienst? Wieviele thun mehr und gehen arm und elend zu Grunde zu Tausenden. Der arme Bub – vielleicht der Enkel afrikanischer Herrscher – elend umgekommen, und er, der arme deutsche Junge, plötzlich auf dem Gipfel einer Macht, die ihn über die Arbeitskräfte vieler Tausende verfügen ließ. – Wie war es nur gekommen, wo war der Faden? War es Zufall? Giebt es eine Vorsehung, deren Wege zu dunkel, giebt es eine höhere Notwendigkeit, deren viel verzweigte Maschen von Ursache und Wirkung zu zart und fein verflochten sind für sterbliche Augen?

Er kam nicht ins Reine. Aber je häufiger er in Bonny Kates schöne Angen sah und je mehr Zukunftspläne sie zusammen machten, desto ruhiger wurde er im Glück und im Besitz. Und bald fragte er nicht mehr.


Vor der Berufswahl.

Warnungen und Ratschläge für unsere Großen.
Die Frau und das Universitätsstudium.
I.0 Im Ausland.

Wer sich nicht mit dem wenig gepflegten Zweig „Geschichte der Frauen“ eingehend beschäftigt hat, ist häufig der Meinung, die Forderung der Frauen, zu den gelehrten Studien zugelassen zu werden, sei trotz Ben Akiba einer der Auswüchse neuester „Emanzipationssucht“. Höchstens taucht in seinem Gedächtnis die durch Charles Kingsley popularisierte Hypatia auf. Nimmt er ein Konversationslexikon zur Hand, so liest er freilich, daß dem griechischen Altertum Aerztinnen nicht unbekannt waren, daß Rom eine nicht unbedeutende Anzahl gelehrter Frauen, vorzüglich Juristinnen, gehabt hat und Italien im Zeitalter des Humanismus eine stattliche Reihe solcher Frauen aufwies. Er erfährt ferner, daß sogar Deutschland im vorigen, ja selbst in diesem Jahrhundert eine Reihe von Frauen den Doktorhut erwerben sah; es seien nur Christiane Erxleben, Dorothea Schlözer, Karoline Herschel genannt.

Aber trotz alledem hat er recht! es handelt sich heute um etwas anderes als damals. Der Unterschied liegt auf der Hand. Hochbegabte Frauen suchten sich damals in ganz vereinzelten Fällen ihren Weg trotz aller Hindernisse und fanden ihn in noch selteneren Fällen; heute verlangt man, daß er auch der Normalbegabung geöffnet werde, so gut wie beim Mann. Erst das macht die Menge stutzig, weil erst das die Konkurrenzfurcht heraufbeschwört. An Angriffen auf jene Pionierinnen, besonders auf dem Gebiet der Arzneikunst, hat es zwar auch nicht gefehlt. Als Christiane Erxleben 1754 in Halle promovierte, schrieb Dr. Friedrich Börner, Mitglied der Römisch Kaiserlichen Akademie der Naturforscher, man müsse das weibliche Geschlecht von der ausübenden Heilkunst ganz ausschließen und durch obrigkeitliche Befehle davon abhalten. Denn, meint er, „ein Arzt muß verschwiegen sein. Wie würde man wohl dieses von den Weibern behaupten können, welchen nach der Art der Gänse der Mund niemals stille steht, sondern die beständig plaudern, ja, was man ihnen erzählt, ebensogut bei sich

behalten können als ein Sack das Wasser.“ Und damit die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_423.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)