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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 28.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Vater und Sohn.

Wahrheit und Dichtung.
Von Adolf Wilbrandt.

     (1. Fortsetzung.)

Es dauerte nicht lange, bis Rudolf wiederkam; Volkmar hatte eben die Tafel verlassen und sich auf das lange Sofa, das alte „Familiensofa“ mit den hohen, krummen Lehnen, gesetzt, als er auf der Treppe, die nach oben führte, ein gewaltiges Herunterpoltern hörte. Die Thür zum Vorplatz ward dann aufgerissen, der Jüngling und die „Dirns“ stürmten herein. Ihre Dankbarkeit kundzugeben, sprangen sie eins nach dem andern mit erstaunlicher Gelenkigkeit über die gebogene Lehne fort und in das lange Sofa hinein; Rudolf voran, hinter ihm die Mädchen. Dann warfen sich Sohn und Nichte um Volkmars Hals; zuletzt, mit einem raschen Entschluß, auch Helene.

Das nenn’ ich noch danken! sagte Volkmar, das ihm in die Stirn gezauste Haar zurückwerfend. Geturnter Dank, doppelter Dank!

O Gott! seufzte Toni vor Glück. Aber wenn’s nur noch Plätze giebt! Theas Benefiz!

Das wäre nun Eure Sache, Kinder, sagte Volkmar, indem er aufstand. „Fremdenloge“ womöglich –

Toni und Helene nickten beide. Wir stürzen hin! sagte Helene.

Wir schwören! setzte Toni hinzu, ihre lange Hand hebend. Sie schien damit sagen zu wollen: Giebt es noch eine menschliche Möglichkeit, Sitze zu bekommen, so werden sie von uns erkämpft!

Schloß Hohenzieritz.
Nach dem Gemälde von W. Riefstahl.
Photographie im Verlage der Barnewitzschen Hofbuchhandlung Verlags-Conto (Emil Frehse) in Neustrelitz.

Der Schwur bewährte auch seine Kraft: etwa eine Stunde später kamen die Mädchen mit vier Fremdenlogenkarten zurück; heimlich hatten sie sich noch mit einem halben Dutzend kleiner, aber duftender Sträußchen ausgerüstet, um sie aus der Loge zu „schleudern“. Es war noch übermäßig früh, als die Vier dann am Abend ins Theater einzogen, das sich erst zu füllen begann, und sich auf ihren vornehmen Plätzen über dem schmalen Orchester niederließen. Volkmar hatte Zeit genug, über das kleine, schmucklose, kalte Haus zu staunen – ursprünglich nur ein Sommertheater, später notdürftig winterfähig gemacht – und der Zeit zu gedenken, da er selber in Tonis Alter in dem alten, nun abgebrannten Stadttheater gesessen und wohl manchesmal ebenso aufgeregt und schwergeatmet hatte wie nun Toni und Helene rechts und links von ihm. Er saß zwischen ihnen. Er hörte und sah, wie sie Glück atmeten. Sie dufteten beide nach Kölnischem Wasser. Auf Tonis anderer Seite saß Rudolf, mit großen, ernsten starrenden Augen; ein unbestimmtes Lächeln zuckte zuweilen um seinen Mund. Ja, ja! dachte Volkmar. Ich war noch nicht in Prima, sondern in Sekunda, als ich im alten Stadttheater ein ähnliches Gesicht machte – nur er blond, ich braun – und für die junge Tragödin glühte. Wie viele Verse hat sie mich gekostet!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_469.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)