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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

passenden Röhre ihre Zellen zu verfertigen. Ganz eigenartig verfährt ferner die Blattschneiderbiene bei Verfertigung ihrer Zellen; auch sie sucht sich eine passende röhrenartige Höhlung in einem Baum oder sonst in Holzwerk, um ihr Nest unterzubringen; zur Herstellung der Zellen aber nimmt sie Blattstücke von bestimmter Größe und Form.

Mit stillem Ingrimm steht im Frühsommer mancher Rosenfreund vor seinen hochstämmigen Lieblingen und sieht, wie aus der Mehrzahl der Blätter Stücke derselben fehlen. Daß es sich nicht um den Fraß von Insektenlarven handelt, beweist der erste Anblick, denn mit mathematischer Genauigkeit sind vom Rande des Blattes her Stücke bestimmter Größe herausgeschnitten und die Schnittlinie ist scharf und genau wie mit einer Schere geführt. Die fehlenden Blattstücke sind, wie die Blätter zeigen, von zweierlei Größe, entweder rund im Durchmesser von etlichen Millimetern oder oval und ziemlich doppelt so groß wie die runden Stücke. Wer mag der Uebelthäter sein? Mit Unrecht geraten die Kinder der Nachbarschaft in Verdacht, von deren unnützen Streichen unser Rosenfreund allerdings manches zu erzählen weiß; diesmal ist es ein anderer Uebelthäter. Lassen wir es uns nicht verdrießen, einige Zeit geduldig zu warten, so können wir ihn leicht auf frischer That ertappen; summend kommt eine stattliche Biene angeflogen und nimmt ohne langes Besinnen rittlings auf einem Rosenblatte Platz. Stehen wir nahe genug, so können wir leicht ihr Beginnen beobachten. Mit scharfen Kiefern schneidet sie aus dem Blatt ein Stück heraus, es hierbei zugleich zwischen den Beinen aufrollend; bald ist sie zu Ende, und das aufgerollte Blattstück zwischen den Beinen festhaltend, fliegt sie eiligst davon. Wir treten nun näher hinzu und finden ein genau kreisförmiges Stück herausgeschnitten. Kaum haben wir unsere Beobachtungen ausgetauscht über die Gewandtheit und Genauigkeit, mit welcher das Insekt es fertig bringt, scharf kreisförmig ihre Schnittlinie zu führen, so summt es schon wieder leise in unser Ohr; unsere kleine Künstlerin ist wieder erschienen. Der Rosenstrauch hat entschieden ihre Anerkennung gefunden; kaum sind wir zurückgetreten, so nimmt sie auf dem gleichen Blatt wie vorher Platz und mit gleicher Gewandtheit schneidet sie wieder ein Stück heraus, um, dasselbe zwischen den Beinen haltend, abermals eiligst zu verschwinden; dieses Mal ist es ein ovales Stück, welches sich die Biene geholt hat. In rascher Aufeinanderfolge wiederholt sich dasselbe Schauspiel mehrmals, und indem wir die Richtung verfolgen, welche die Biene bei ihrem Wegflug stets einhält, gelingt es uns am Ende auch, zu entdecken, wohin sie die abgeschnittenen Blattstückchen trägt und was sie mit denselben anfängt.

In einem alten Baumstamm, in einem wohl von einer Käferlarve ausgehöhlten Gang, hat sie für die junge Brut die Kinderstube eingerichtet; an die Wand der Röhre werden die ovalen Blattstückchen angelegt, durch ihre eigene Federkraft schmiegen sich die zusammengerollt gewesenen Stückchen eng an die Wand der Röhre an, drei bis vier Stück genügen, um die Wandung auszukleiden, auf die erste Lage wird eine zweite und dritte in der Weise gelegt, daß die Fugen der einen Lage immer durch die andere gedeckt werden, und endlich ist eine fingerhutartige Zelle fertig gestellt; in gewohnter Weise wird sie mit Futterbrei und Ei gefüllt, um sodann mit einem kreisrunden Blattstück als Deckel verschlossen zu werden, welches zugleich wieder als Boden für die folgende Zelle dient. 6–8 Zellen werden in dieser Weise aufeinander getürmt. Mit Vorliebe wählt diese gewandte Baumeisterin Rosenblätter als Baumaterial; Schenck giebt ferner Roßkastanien, Ulmen, Birn- und Apfelbäume als weitere Bezugsquellen an; auch andere Pflanzen können heimgesucht werden. In einem Garten beobachteten wir beispielsweise, wie fast sämtliche Fuchsien von der Blattschneiderin in dieser Weise verunstaltet waren. Stets aber bleibt die eine Biene bei dem gleichen einmal von ihr gewählten Material, so daß die ganze Zellenreihe aus den Blättern der gleichen Pflanze hergestellt ist.

Die Blattschneiderin erscheint neben der Maurer- oder Mörtelbiene, mit welcher wir unsere Skizze begonnen haben, als die kunstfertigste der Einzelbienen; bei allen aber finden wir die gleiche Tendenz: in bester Weise für die Erhaltung der Art, für ihre Nachkommenschaft zu sorgen. Alle diese Blumenwespen sind noch nicht zu der Höhe der Staatenbildung gelangt; nicht minder sorgsam und eifrig aber erfüllen auch sie ihre von der großen Mutter Natur ihnen auferlegten Pflichten, und die Kunstfertigkeit, die sie hierbei entwickeln, sichert ihnen nicht geringere aufmerksame Beobachtung des Naturfreundes, als wie ihren in der kulturellen Entwicklung höher stehenden Schwestern zu teil wird.


Haus Beetzen.

Roman von W. Heimburg.

 (14. Fortsetzung.)


Oben in dem Hotelzimmer wirft Ditscha den Mantel ab, und als der Kellner verschwunden ist, nachdem er die beiden herkömmlichen Kerzen auf der Spiegelkonsole angezündet hat, ruft sie, die Hände nach dem Bruder ausstreckend: „Joachim, komm mit mir nach Beetzen, heute nacht noch — ich bitte Dich!“

Es ist eine solche jammernde Angst in diesem Aufschrei, daß er sie in die Arme schließt und sie zu beruhigen versucht.

„Ditscha, was ist denn? Um Gotteswillen, Du bebst ja!“

„Du darfst sie nicht wiedersehen,“ ruft sie, und ihre farblosen Lippen zittern — „komm mit mir!“

Er führt sie zum Sofa, schenkt ihr ein Glas Wasser ein und sagt dann: „Du weißt, Ditscha, wieviel ich stets auf Deinen Rat gegeben habe, aber Du mußt mir diesmal wenigstens erklären, warum ich ihn ohne weiteres befolgen soll.“

„Sie ist keine Frau für Dich!“ stößt sie hervor.

„Warum?“

„Die Familie — die Mutter — Joachim, es ist unmöglich, Du kannst uns das nicht anthun — Deinen alten Namen nicht dazu hergeben wollen!“

„Können wir denn nicht ruhig darüber sprechen?“

„Nein — nein — darüber ist nicht zu sprechen!“ ruft sie außer sich. „Onkel wird Dir fluchen, statt Dich segnen — glaube mir!“

„Kennst Du diese Frau denn?“ fragt er plötzlich, sie verwundert ansehend.

„Ja!“

„Woher, Ditscha?“

Sie wird jetzt erdfahl und tastet nach einen Sessel. „Sie ist — sie stammt aus Beetzen, ist die Tochter von unserem ehemaligen Gärtner Busch —“

„Ach, Du hast Dich versehen!“ Er lacht herzlich auf. „Ditscha, Du — Du liebe Thörin, Du!“

„Sie ist es,“ sagt die Schwester, „wir haben uns beide erkannt. Sie ging damals mit ihrem Mann und dem Kinde nach Amerika — mit der Tochter hast Du gespielt, Joachim, als kleiner Jung’ — erinnere Dich — sie nähte in unserem Hause, die Mutter.“

Er schüttelt den Kopf, kann sich nicht besinnen. „Heißt sie denn Perth?“ fragt er, noch immer der Ansicht, daß Ditscha sich täuscht.

„Nein, wie sie zu dem Namen gekommen ist, weiß ich nicht.“

Jetzt stutzt er, Ellen Perth hat ihm erzählt, Mister Perth sei ihr Stiefvater. Er ist in einen Sessel gesunken und starrt vor sich hin und auf einmal liegt Ditscha vor ihm auf den Knieen.

„Mein lieber Jung’,“ bittet sie, und die Thränen rinnen ihr über die Wangen, „mein Leben würde ich hingeben, könnt’ ich Dich glücklich machen, aber vor der Nothwendigkeit, dieses Mädchen vergessen zu müssen, kann ich Dich nicht bewahren, so schmerzlich es Dir sein mag. Ich würde Onkel flehentlich bitten, ihre Herkunft zu vergessen, aber es ist ja nicht nur das — — Ich kann es Dir nicht sagen, frage mich nicht — der Onkel hat einst dieses Weib mit Schlägen aus seinem Hause getrieben.“

„Ditscha, steh’ auf,“ sagt er leise, „es bedarf keiner Worte mehr — ich — ich komme mit Dir.“

Er ist sehr ruhig und sehr bleich und beginnt, im Zimmer auf und ab zu gehen. Sie hat ihn noch nie so gesehen, so zerschlagen, so vernichtet, aber sie kennt ja die Schmerzen, die er durchmacht, und die sie nicht zu lindern vermag.

„Jochen, mein alter Herzensjunge!“ flüstert sie.

Er nickt nur und geht weiter. Endlich bleibt er vor ihr stehen. „Mama muß ich doch wohl Adieu sagen und meinen Koffer packen. — Wann geht denn ein Zug?“

„Um ein Uhr, Joachim.“

„Es ist zehn Uhr vorbei jetzt.“

Ein Weilchen geht er wieder auf und ab, dann sagt er:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_479.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)