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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

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Blätter und Blüten.


Der Mitbegründer der „Gartenlaube“ Ferdinand Stolle, der vor 42 Jahren die erste Ankündigung des Blattes neben Ernst Keil unterzeichnete und dessen Erzählung „Ein Mutterherz“ die erste Nummer des ersten Jahrgangs eröffnete, hat kürzlich sein wohlverdientes Denkmal erhalten. Dasselbe erhebt sich in der anheimelnden Gestalt, die unsere Abbildung zeigt, an einem schönen Aussichtspunkte im Stadtwalde von Grimma, gegenüber dem Gartenhause, in welchem Stolle in der fruchtbarsten Zeit seines Lebens gewohnt hat. Die nach der Stadt gerichtete Seite des von Waldesgrün umschatteten Obelisken trägt die Inschrift: „Diesem Denkmal gegenüber wohnte und wirkte Dr. Ferdinand Stolle, Schriftsteller und Menschenfreund, geb. 1806, gest. 1872.“ Der menschenfreundliche Sinn und die innige Gemütstiefe dieses echt deutschen Mannes gaben allem was er schrieb eine Volkstümlichkeit, die auch das heutige Geschlecht in seinen Romanen und kleineren Erzählungen – wir nennen hier nur „Die deutschen Pickwickier“ – herzerfrischend anmutet, sie ließen ihn auch jene herzgewinnenden Töne finden, die seiner politisch-humoristischen Wochenschrift „Der Dorfbarbier“ in den gährenden Zeiten um die Mitte des Jahrhunderts und seinen Gedichten und Ansprachen in unserem Volksblatt einen so weiten Wiederhall im deutschen Volke verliehen. Wir begrüßen die Errichtung seines Denkmals unter Wiederholung der Worte, mit welchen nach seinem Tode die damals noch von seinem Freunde Ernst Keil geleitete „Gartenlaube“ den Heimgang Stolles beklagte, „daß selten ein besseres Herz und ein begabterer Kopf mit größerer Bescheidenheit zusammen gelebt und gewirkt haben: glänzendere Schriftsteller hat die Nation viele gehabt, aber keinen Mann von höherer Seelengüte!“ Das Denkmal ist dem aus Dresden gebürtigen Dichter vom „Verschönerungsverein zu Grimma“ errichtet worden; die gehaltvolle Weiherede bei der Enthüllungsfeier hielt Seminaroberlehrer F. A. Püschmann.

Das Ferdinand Stolle-Denkmal im Stadtwald zu Grimma.
Für die „Gartenlaube“ aufgenommen von Bernh. Gensel.

In süßem Schlummer. (Zu dem Bilde S. 501.) Den lieben langen Tag ist klein Elschen im Garten herumgesprungen: im hellen Sonnenschein der hellste Sonnenstrahl für das wachsame Mutterauge. Auch gleich nach Tisch ging’s wieder hinaus ins Freie. Nun aber zur Vesperzeit hat die Mutter ihr Nesthäkchen ins kühle Zimmer gerufen, damit es ausruhe und sich an den frischen Kirschen erlabe. Natürlich hat die Kleine ihre geliebte Puppe an dem Schmaus mit teilnehmen lassen wollen; sie hat ihr in einer Ecke des Sofas ein schönes Plätzchen angewiesen und den Korb mit den prächtigen schwarzen Kirschen davor gestellt. Dann ist sie selber hinaufgeklettert und hat nach echter Kinderart damit begonnen, die Zwillingspärchen unter den Kirschen herauszusuchen, um sie erst als „Ohrbommeln“ zu benutzen, ehe sie sie verspeist. Aber auf den weichen Polstern überkam sie plötzlich die lange verhaltene Müdigkeit so mächtig, daß sie mitten im Spiel zurücksank, um sogleich einzuschlafen. Nun liegt sie im süßen Schlummer, doppelt süß – denn von was anderm wird sie träumen als von den Kirschen, die vor ihr liegen und die sie nun wenigstens im Geiste verzehrt?

Erwünschte Begegnung. (Zu dem Bilde S. 513.) Wie mag der stille Erdenwinkel heißen, wo zur Zeit des furchtbaren Dreißigjährigen Krieges Bursch’ und Mädchen so harmlos glücklich in der Frühlingslandschaft plaudern konnten? Das Bächlein schleicht sachte zwischen seinen moosigen Ufern hin, am Himmel ziehen leichte Wolken, ringsum haben die Bäume und Sträucher das erste Grün angelegt, und die beiden jungen Menschen schauen sich an, als spürten auch sie den Frühling im Herzen und wüßten nichts von der großen Kriegsfurie, die draußen mit Elend und Verderben über die Lande fegt. Ist es ein entlegenes Stückchen Kurland, oder ein stilles schlesisches Thal, wo noch ein solcher blondhaariger Bursche unaufgespürt von Werbern und Pressern sich seines Mädchens und des goldenen Sonnenscheines freuen kann? Wir wissen es nicht, aber wir betrachten gern die friedliche Idylle, die trotz der gleichzeitigen Greuelschilderungen des Simplicissimus aus dem bäuerlichen Leben jener Zeit doch auch ihre Berechtigung hat. Denn überall hin im weiten Deutschen Reich kam die mordbrennerische Soldateska nicht, und wo sie nicht hin kam, da kann es in freundlicher Landschaft genau so ausgesehen haben, als es uns der Künstler in diesem liebenswürdigen Bild zeigt. Bn.     

Das Fußreisen der Damen. Bekanntlich giebt es kein beglückenderes Erholungsmittel für müde Stadtmenschen als das Wandern in freier Natur, mit dem Blick in die Herrlichkeiten der Berge. Auf den bequemen Alpenstraßen wie auf den steileren Fußwegen begegnet man denn auch einer reichlichen Zahl von Fußgängern, aber verhältnismäßig wenig wandernden Damen. Sie sind durch ihr Gepäck an die Eisenbahn gebunden und sehen von den Schönheiten des Weges zum Sommeraufenthalt nur so viel, als vor den Wagenfenstern vorüberhuscht. Und doch könnten sie so leicht die herrlichen Richtwege aus dem Isar- ins Inngebiet, die Pässe ins Salzkammergut und nach Südtirol zu Fuß zurücklegen, wenn sie den Tyrannen „Koffer“ nach der Endstation vorausschickten und sich mit kleinem Gepäck und frohem Mut auf die Wanderschaft machten. Für diejenigen, die hier einen Zweifel an der Möglichkeit, zwei oder drei Wochen mit dem Handkoffer allein auszukommen, nicht unterdrücken können, fügen wir gleich eine Anweisung bei, wie das mit aller Bequemlichkeit gemacht wird. Als Anzug ist zu wählen ein wasserdichtes Lodenkleid, fußfreier Rock, Blouse und Jacke. In dem Handkoffer gehen zwei Perkal-Blousen mit. Die Fußbekleidung besteht aus einem Paar ziemlich neuer, aber ausgetretener doppelsohliger Stiefeln mit niedrigen Absätzen. Sie halten drei Wochen sicherlich, ohne einer Ausbesserung zu bedürfen. Folglich braucht man außerdem nur noch ein Paar ganz leichter Pantoffeln. Einzupacken ist außerdem nur eine Garnitur Wäsche. In jedem Wirtshaus bekommt man von einem Tag zum andern gewaschen. Die Toilettengeräte sind natürlich aufs notwendige zu beschränken und als einzelne Päckchen zwischen die Wäsche zu verteilen; Reiselektüre braucht die Fußgängerin nicht viel, ein oder zwei Bändchen gehen indessen immer noch in den Koffer, ebenso eine kleine Schreibmappe oder ein Skizzenbuch. Vaseline, Karboltalg für die Fußpflege, Zinkpflaster sowie ein Fläschchen mit Salmiak gegen Insektenstich nehmen gleichfalls nicht viel Platz weg. Ein Shawl für den Fall plötzlich eintretender Kälte wird in den Riemen geschnallt, Geld, Notizbuch, Fahrkarte kommen ins Anhängetäschchen. Die größere Summe des Reisegeldes soll aber in einem Säckchen unter der Blouse getragen werden. So ist unsere Fußgängerin völlig genügend ausgerüstet; sie setzt zum Schluß einen leichten Filzhut mit Schleier auf, nimmt einen einzigen, für Regen wie für Sonnenschein gleich geeigneten Schirm mit starker Krücke und festem Stock und kann nun mit ihrem leichten Gepäck, das der Postwagen oder ein Träger von einem Nachtquartier zum andern mitnimmt, nach Herzenslust die wundervollen Pfade wandern, die sich, namentlich auch dank der Fürsorge des Deutsch-Oesterreichischen Alpenvereins, überall bis weit in die entlegenen Thäler ziehen. Also Glück auf die Reise! Danken wird uns die Anregung gewiß jede Leserin, die sich entschließt, ihr zu folgen. Bn.     



Inhalt:' Vater und Sohn. Wahrheit und Dichtung. Von Adolf Wilbrandt (3. Fortsetzung). S. 501. – In süßem Schlummer. Bild. S. 501. – Auf dem Pilatus. Von J. C. Heer. S. 506. Mit Abbildungen S. 504 und 505, 508 und 509. – Unser Drückeberger. Aus meinem Kriegstagebuch vom Jahre 1870. Von Fred Vincent. S. 510. – Erwünschte Begegnung. Bild. S. 513. – Blätter und Blüten: Das Ferdinand Stolle-Denkmal in Grimma. Mit Abbildung. S. 516. – In süßem Schlummer. S. 516. (Zu dem Bilde S. 501.) – Erwünschte Begegnung. S. 516. (Zu dem Bilde S. 513.) – Das Fußreisen der Damen. S. 516.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_516.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)