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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

der Welt als Männer, naturgemäß können da nicht alle in den Hafen der Ehe einlaufen, was wohl nach Ihrer Ansicht das Endziel alles Strebens sein soll – was wird aus den anderen? Wer kämpft für sie? Und wer führt die Waffen für all die Tausende von verheirateten Frauen, die, vor dem Gesetz in dieser Beziehung rechtlos, von ihren natürlichen Beschützern zu Grunde gerichtet werden? – Ah!“ unterbrach sie sich selbst, mit einem tiefen Atemzuge, „wohin gerate ich da! Sie werden sich über meinen leidenschaftlichen Eifer wundern, der in der ersten Viertelstunde unserer Bekanntschaft durchaus unangebracht ist.“

„Gnädige Frau,“ sagte er und stockte – „bitte um Verzeihung – gnädiges Fräulein, ich stimme darin ganz mit Ihnen überein, daß man den Gesichtskreis der Frauen erweitern und ihnen neue Berufsarten erschließen müsse; aber der Himmel bewahre die Welt davor, von gelehrten Damen regiert zu werden.“

„Ich verlange ja auch nur etwas mehr Recht und Schutz für meine Mitschwestern, es liegt mir völlig fern, lauter Gelehrte aus ihnen machen zu wollen. Man soll nur einer Jeden Gelegenheit geben, sich ihrer verschiedenen Begabung nach zu entwickeln und ihr Können zu verwerten. Nun, wir kommen wohl noch öfter auf diesen Gegenstand zurück, denn ich setze voraus, daß dieser Besuch nicht der letzte gewesen ist – obenein galt er nicht einmal uns, sondern dem Garten. Wollen Sie morgen bei uns speisen?“

Er verbeugte sich zustimmend.

„Wir essen ländlicher Gewohnheit gemäß um ein Uhr. Sie finden allerdings nur Damen, außer meiner Tante Ostrau und mir noch meine kleine Pflegetochter, die eigentlich ihr Heim im Pfarrhause hat. Ich würde Sie bitten, jetzt noch bei uns einzutreten, denn wir halten nicht auf städtische Etikette, aber meine Tante liebt es nicht, spät abends in ihrer Ruhe und ihrer Patience gestört zu werden. Auf Wiedersehen also!“

Sie nickte mit dem Kopf zum Zeichen, daß er entlassen sei, und ging durch die Säulenhalle nach dem Gartensaal.

Er fühlte, daß es eine Taktlosigkeit von ihm sein würde, länger im Park zu verweilen, konnte aber doch nicht umhin, einige Sekunden wenigstens noch stehen zu bleiben und der hohen Gestalt nachzublicken. In der Thür, ganz umstrahlt vom rosigen Schimmer des gedämpften Lampenlichtes, wandte sie noch einmal den Kopf nach ihm; er erschrak wie ein ertappter Missethäter und zog sich rasch in den Schatten zurück, um gleich darauf den Heimweg anzutreten.

Das kleine Abenteuer hatte ihn doch so erregt, daß er, in seinem Zimmer angekommen, nicht ans Schlafen dachte, sondern sich ins offene Fenster lehnte und zum Schloß hinüberblickte, in welchem allmählich die Lichter erloschen. Der Ton von Hellas tiefer Stimme zitterte in seinem Innern nach, und lächelnd gestand er sich ein, daß ihr Selbstgefühl das seinige gereizt und verletzt habe. Ihr Wesen war so ganz anders geartet, als er es sonst von Damen gewohnt war, und was ihm bei andern als zu freies Entgegenkommen erschienen wäre, trug bei ihr fast ein wenig das Gepräge der Nichtachtung.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.


Die Elmauer Haltspitze im Kaisergebirge. (Zu dem Bilde S. 533.) Jedem Reisenden, der, von Norden kommend, mit dem Bahnzugc über Kufstein nach Tirol einfährt, muß die gewaltige Felsenmauer auffallen, die sich von Kufstein aus meilenlang in östlicher Richtung entlang zieht mit grauenhaft zerscharteten Wänden. Es ist der „wilde Kaiser“, eine lange Reihe von zusammenhängenden Zackengipfeln. Zwischen dieser Kette und einer etwas niedrigeren nördlichen Vormauer derselben liegt ein reizendes Hochalpenthal, das Kaiserthal, in welchem auf der Sonnenseite hoch über rauschendem Wildbach sechs stattliche Bauernhöfe ihrer Einsamkeit und Freiheit sich erfreuen, fast völlig abgeschlossen von der Außenwelt durch die riesenhaften hellgrauen Kalkfelsen des Kaisergebirgs. Im innersten Grunde des Thales liegt das gastliche Hinterbärenbad, ein Unterkunftshaus für Alpenwanderer. Von hier aus werden die Gipfel des Kaisergebirges erstiegen. Kaum dreißig Jahre sind verflossen, seit der lange für unnahbar gehaltene Gebirgsstock der Touristenwelt erschlossen ward. Ein junger Münchener Alpenfreund, Karl Hofmann, der wenige Jahre später bei Sedan den Heldentod fand, erwarb sich das größte Verdienst um die Erforschung des Kaisergebirgs. Er fand als erster Tourist den Weg auf den höchsten Gipfel der Kette: die Elmauer Haltspitze. Die Ersteigung dieser dominierenden Hochgebirgszinne ist seither zu einer der interessantesten Bergbesteigungen in den nördlichen Kalkalpen geworden. Vom Hinterbärenbad aus steigt man stundenlang durch Wald und Busch empor; dann steht man plötzlich in einem schauerlichen Felsenkessel, in welchem wie von Gigantenhänden wüstes Trümmergestein ausgestreut ist. Durch knirschende rieselnde Steinströme watet man mühsam aufwärts bis zu einer tief eingerissenen Scharte, jenseit deren erschreckende Abstürze sich nach Süden zu senken. An daumendicken Eisennägeln, die hier in die jäh abschießenden Platten getrieben sind, klettert man einem gähnenden Abgrunde entlang, bis eine vielfach gewundene steil ansteigende Trümmergasse erreicht wird, durch die man sich stundenlang in kaminartigen Löchern aufwärts windet. An einer Stelle, wo diese Runse durch einen eingeklemmten Felsblock völlig verschlossen ist, haben fürsorgende Hände eine Drahtleiter befestigt; an ihr klettert man empor, wendet sich noch ein paarmal durch die zertrümmerte Schlucht und steht endlich auf dem Gipfel. Man steht – es ist wohl zu gewagt, diesen Ausdruck zu gebrauchen, meistens hängt man bloß daran, mit den Händen an die scharfen Felsenkanten oder an den Schaft des dort errichteten Eisenkreuzes geklammert. Und so schaut man nach fünfstündigem Steigen hinunter in die ungeheure Tiefe, nordwärts bis zu den böhmischen Wäldern, nach Süden, Westen und Osten aber in die grünen Thäler von Tirol, über denen märchenschön und groß die Felsgefilde, Gletscher und Schneespitzen sich aufbauen. So schwer und rauh der Weg herauf gewesen ist: entzückend und unvergeßlich ist das Errungene. M. H.     

Auf ins Seebad! (Zu dem Bilde S. 536 und 537.) Er thut nur so – der liebe gute, vielgeplagte, polterfrohe und doch so weichherzige Familienvater und Haustyrann! Er thut nur so, als ob er in seiner Verzweiflung über all die Ansprüche, welche die geplante Reise ins Seebad jetzt schon – noch vor der Abreise – an ihn stellt, diese ganz aufgeben wolle. Er weiß ja doch, wer eine liebe zärtlich geliebte Frau und außerdem ein – zwei – drei – vier – fünf – sechs Töchter hat, die der Mutter alle Künste der Schmeichelei abgelauscht haben, der muß in solchen Fällen, wenn einmal A gesagt ist, auch B sagen. Und auch der eben heimgekehrte edle Erstgeborene, der übermütige Bruder Studio, wendet alle Pfiffe seiner jungen juristischen Weisheit an, um dem Papa überzeugend zu Gemüte zu führen, daß alle Weigerungen vergeblich sind. Solcher Uebermacht gegenüber kann der Vater nichts ausrichten. Er wird all die zarten Wünsche nach Neuen Hüten, Toiletten, Handschuhen und hundert andern „ganz unentbehrlichen“ Dingen befriedigen müssen und schließlich froh sein, daß wenigstens all das „notwendige“ Strandspielzeug für die ganz Kleinen bereits zur Stelle ist und von der mutwilligen kleinen Schar, wenn auch nicht ganz zweckentsprechend, in den Koffer verpackt wird.

Auf der Pußta. (Zu dem Bilde S. 545.) „Es giebt keine Pußten mehr!“ schrieb ein Wiener Schriftsteller vor ungefähr einem Jahrzehnt, nachdem er gelegentlich eines litterarischen Festes in Budapest drei Tage hintereinander die magyarische Gastfreundschaft genossen hatte. Ich war damals von dem Jubelruf des Mannes, welcher damit den riesigen Kulturfortschritt in Ungarn rühmend bezeichnen wollte, eigentlich recht unangenehm berührt. Hatte ich doch während meiner vielen langen Wanderungen zu Fuße oder zu Pferde durchs Ungarland die von Meister Lenau so unübertrefflich geschilderte Poesie magyarischer Landschaft nachfühlen gelernt. Und wo könnte diese Naturpoesie eindringlicher wirken als auf der einsamen weltentlegenen Heide in ihrer duftig herben Ursprünglichkeit? Die klaren frischen Morgen in der betauten Steppe, aus deren durchsichtigem Aethermeer uns jubelnder Lerchengesang begrüßt, wer könnte sie vergessen? Oder die Abende mit dem tiefroten Sonnengold am Rand der Steppe, den dunkelvioletten Sandhügeln, dem blitzenden Schimmer im stillen Weiher, über dessen glattem Spiegel pfeilgeschwinde Kibitze ihr Klagelied anstimmen und schlanke Reiher die Welt in ihrem schönen Spiegelbild betrachten. Schön ist die Pußta, wenn des Nachts das Licht der hellfunkelnden Sterne vom dunkeln Himmel niederleuchtet wie in Mittagsglut, wenn die Fee Morgana ihre köstlichen Phantasiebilder in die heiß zitternde Luft zaubert!

Und all das soll binnen einem Jahrzehnt dem Vordringen der Kultur gewichen sein? „Unsinn, Freund!“ schrieb mir ein alter Kriegsgefährte auf meine Anfrage, „der Mann, welcher im lieben Ungarlande keine Pußten mehr entdecken konnte, ist entweder über Budapest nicht hinausgekommen oder hatte den Kopf vom Tokaier so voll, daß er überhaupt nichts mehr sah, denn, baratom, zu Deiner Beruhigung sei es konstatiert, daß mein Pußtenparadies nebst vielen andern, ähnlichen Paradiesen meiner geliebten Heimat noch heute wie vor hundert Jahren besteht und so Gott will in weiteren hundert Jahren wie heute bestehen wird.“

Man kann sich meine Freude beim Anblick des Bildes denken, dessen urwüchsig getreue Darstellung die prophetischen Worte meines magyarischen Kriegsgefährten so prächtig illustriert. Da ist ja die alte prächtige Heide, wie sie der liebe Gott in grauer Urzeit geschaffen und genügsame Menschen bis heute bewahrten! Da ist die gebrechliche Csarda, welche doch kein Steppensturm hinwegfegt, und in welcher abwechselnd Hirten und „arme Bursche“ – dies der landesübliche Ausdruck für Räuber – oder auch Beide in gemütlicher Gemeinschaft ihre frischen Dirnen bei Zigeunermusik, Gläserklang und Sporengeklirre im feurigen Csardastanze schwenken! Da auch der unentbehrliche Heidebrunnen, umgeben von den vierfüßigen Steppenpensionären, welche, genügsam wie die Steppenmenschen, sich an dem trockenen Heidegras gütlich thun, und im Vordergrund endlich das junge Menschenpaar des kleinen Magyarenparadieses, von Schalk Amor durch das nach saftigem Gemüse lüsterne Pferdchen zusammengeführt.

Hei, was gilt die Wette, daß es eine Hochzeit giebt, ehe der Herbst ins Land gekommen? Ach, Pußtamenschen haben es in dieser Beziehung so beneidenswert leicht. Sie brauchen weder stilvolle noch andere Möbel, die Wäsche hat die Braut selbst gesponnen und gewebt und für das „Service“ genügt eine Schüssel, zwei Holzlöffel und das scharfe Gürtelmesser des Bräutigams, das zum Zerkleinern von Fleisch und Brot ebensogut wie zum Tabakschneiden taugt. F. Sch.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_547.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)