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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

dachte Struve empört und ließ sich wieder an seinem Schreibpult nieder. Die Arbeit häufte sich ihm.

Sein Kanzler saß inzwischen, eine turbanartige weiße, mit grünem Band umwundene Nachtmütze auf dem Kopf, in seinem Alkoven auf einem Sorgenstuhl. Da war er sicher vor dem fremden Kommandeur, brauchte ihm nichts abzuschlagen, und es konnte ihm auch kein unbedachtes Wort entwischen. Die Geschäfte packte er seinem Sekretarius auf.

Dazu läutete die Klingel an der Struveschen Hauspforte von früh bis spät, und die alte Köchin mußte dreimal täglich weißen Sand streuen, wenn es sauber auf Treppe und Vorsaal bleiben sollte.

Der Hausherr saß auf dem mit aschfarbigem Tuch beschlagenen Sessel, von dem aus schon sein Großvater guten Rat gespendet hatte, und stand den Hilfe heischenden Bewohnern der ganzen Landschaft Rede.

Da kamen kleine Handwerker aus den Winkelgäßchen, die die Einquartierung nicht unterbringen konnten, ohne selbst auf die Straße gesetzt zu werden, große Bürgerinnen in goldenen Hauben, denen die lumpigen Weiber der Korporale und Feldwebel ungeziemend begegnet waren, und Bauern in Zwilchkitteln und Holzschuhen aus den benachbarten Orten, denen der Kriegskommissar große Lieferungen an Stroh und Hafer auferlegt hatte.

Struve riet, machte selbst Bittschreiben für sie, half aus der grünseidnen Börse oder dem großen Kessel, der unten in der Küche brodelte, tröstete und gab für den dankbaren Kratzfuß einen warmen Händedruck auch dem Aermsten, wie das von je unter dieser von starken Balken getragenen Decke Brauch gewesen war.

Dann ließ der weimarische Kommissar unter Trommelschlag Mandate anheften, daß der Herzog sich sein Oberlehnsrecht vorbehalte. Märten, an der Spitze seines Haufens junger Leute, folgte und nahm mit der Ruhe, die von jeher Riesen eigen gewesen ist, dieselben wieder ab.

„Wir haben genug an einem Herrn,“ verkündigte der Nachkomme des Rädleinsführers.

Die Weimaraner widersetzten sich, das Volk lief zusammen.

Der Lärm hallte bis in Struves Arbeitsstube. Er warf die Feder hin und kam gerade recht, seinen wild gewordenen Freund von einem Totschlag abzuhalten und durch kluge Reden und ein gespendetes Fäßchen Bier die beleidigte Mannschaft zu besänftigen.

Endlich erschienen auch Herren vom Stadtrat und klagten ihr Leid. Sie hatten im guten Glauben, daß die Gerechtsame der Oberlehnsherrschaft mit der Erhebung ihres Landesherrm in den Fürstenstand wegfallen würde, die fälligen Termine nicht mehr bezahlt, welche nun durch die Exekutionstruppen rücksichtslos eingetrieben werden sollten.

Wie durften sie wagen, jetzt, da die Bürgerschaft ohnedies durch die Einlagerung bedrückt war, die verhaßte Steuerglocke zu läuten?

„Käme doch der Kurier aus Aachen zurück!“ seufzte Struve aus tiefstem Herzen.

Endlich langte er an.

Als Struve, atemlos vor Spannung, in die Wohnung des Kanzlers eilte, war der Herr nicht zu sprechen, er wartete einen seiner kritischen Schweiße ab, die sich immer in besorglichen Stunden bei ihm einstellten. Doch übersandte er ihm durch einen Boten das eingelaufene Schreiben.

Beim Lesen wurde Struve leichenblaß.

Es enthielt den Befehl, den Rechten des Landesherrn nichts zu vergeben, im übrigen sich zu gedulden. In diesem Augenblick könne kein Entschluß gefaßt werden. Warum nicht, erfuhr niemand.

Auch der Kurier wußte nichts auszusagen. Er hatte Seine Durchlaucht gar nicht zu Gesicht bekommen.

In seiner Studierstube ging Struve rastlos hin und her. War jetzt der Gehorsam, den das Gesetzbuch dort vorschrieb, Pflicht? Oder hatte der denkende Mensch einem Gesetz zu folgen, das der Herr aller Herren gegeben, dem Gesetz, seinen leidenden Mitmenschen beizustehen?

Es war ein schwerer Kampf, den er mit sich selbst durchrang. Als es dämmerte, war sein Entschluß gefaßt.

Er ließ sich den dunklen leichten Mantel geben, dessen weite Falten seine Gestalt verhüllten, und verließ das Haus.

An diesem Abend schien das Licht in dem Geheimstüblein des Bürgermeisters noch um Mitternacht in die Finsternis hinaus.

Als der nächste Tag zur Rüste ging, befahl Struve Märten, die Thür zu seiner Studierstube wohl zu bewachen, nur den Bürgermeister und den Rat der Zwölfe einzulassen.

Stumm, verhüllt langten die hochmögenden Herren an, und dann schallte dumpfes Gemurmel heraus.(Fortsetzung folgt.)     


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Madonna di Campiglio.

Von Heinrich Noé. Mit Abbildungen von R. Püttner und E. Heine.

Wie in der longobardischeu Heldensage sich das Germanentum mit römischem Wesen vermengt, so webt um die Zinnen der Brenta-Alpen zwischen der Etsch und dem Gardasee die Erinnerung an gar viele deutsche Kaisergestalten, die von hier in die blauen Ebenen des Südens hinabschauten. Nach dem Wesen der Zeiten und der Dinge haben sich freilich die Beweggründe verändert, durch welche die Kaiser und Kaisersöhne nach diesen Bergen gezogen wurden. Weil der Himmel, der über diesem Lande liegt, ein milderer ist, darum kann der Mensch mit seinen Wohn- und Gaststätten höher in die lichte Bergwelt hinaufrücken. So liegen die herrlichen, jetzt so in Mode gekommenen Gastansiedelungen von Madonna di Campiglio und von San Martino di Castrozza beide höher als alle Sommerfrischen des deutschredenden Tiroler Landes. Beide waren einmal Klöster und haben jenen angedeuteten Wandel mitgemacht, der aus dem Wesen der Dinge hervorgeht, gleich wie die Fürsten und Gewaltigen Deutschlands jetzt nicht mehr kommen, um sich in den Schluchten herumzuschlagen oder um mit eiserner Gewalt nach der eisernen Krone der Longobarden zu trachten, sondern um in kühlen Lüften und im Harzhauch des Lärchwaldes Labsal und Erquickung zu suchen. Auf jenen Wandel weisen auch allerlei Plätze in Campiglio mit ihren Namen hin: von dem sogenannten Lager Karls des Großen an bis zum Kaiserin Friedrich-Platz, vom Barbarossa in der Etschklause bis zum Wiesenplan, auf welchem der Held von Wörth von den letzten goldenen Herbsttagen seines Daseins umglänzt wurde.

Hoch oben in Wälschtirol zwischen hohen Dolomitwänden liegt die so berühmt gewordene Sommerfrische von Madonna di Campiglio, eine Alpenidylle, auf welche es ringsum niederfunkelt von weit herab reichenden Schneefeldern. Eine Reihe von Wasserfällen stürzt aus den Gebieten unzerstörbaren Winters auf den grünen Plan von Hochthälern herab, welche sich von hier aus strahlenförmig und zum Teil in ebener Richtung in mehrere der mächtigsten Alpenmauern hineinziehen. In den Boden dieser Hochthäler sind, keiner tiefer als achtzehnhundert Meter über dem Meere, sechzehn jener unbeschreibbaren Seen eingebettet, in welchen sich der lichte Schimmer des Firns, das zackige Profil der Hochgipfel und der Wandel der Wolken wunderklar spiegelt. Und dieses herrliche Hochthal prangt noch mit jungfräulichen Reizen, ist von der Kultur unberührt geblieben. Keine Stadt erfüllt es mit ihrem Qualm und Rauch und geschäftigem Lärm, nicht einmal ein schlichtes Dorf ist in ihm zu finden – um ein Kirchlein aus alter Zeit schart sich nur eine Gruppe von Häusern, die bestimmt sind, Gäste aufzunehmen. Dieses am Rand des Thales erbaute Anwesen (vergl. die Abbildung S. 655), zu dem der duftige Hochwald hinabsteigt und vor dem krystallhelle Wasser rauschen, ist eine herrliche Herberge für die Erholungsbedürftigen, die fern vom Lärm der Städte Ruhe und Gesundung am Jungbrunnen des Hochgebirgs suchen.

1553 m über dem Meeresspiegel, also nur ein wenig niedriger als der Gipfel des Herzogenstands in Bayern liegen diese großen Gaststätten von Campiglio und noch immer ist der Zugang zu ihnen für den verwöhnten Reisenden unserer Tage kein leichter zu nennen. Das Dampfroß erklimmt nicht diese Höhen, und wenn einer in einem „Landauer“ oder sonst einem bequemen Reisewagen heute in Campiglio ankommen will, so muß er zuvor in demselben eine achtzig Kilometer lange Straßenstrecke von Trient ab – über Le Sarche und Pinzolo, das Rendena- und das Nambinothal hinauf – zurücklegen. Wird aber einmal die Straße, die schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_654.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)