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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Beim Glockenguß zu Laucha.

Von Carl Müller-Rastatt. Mit Zeichnungen von R. Starcke.

Die Glockengießerei zu Laucha.

Gleich einem blühenden Garten grünt das anmutige Unstrutthal. Es ist ja einer der nördlichsten Vorposten des Weinbaus, und zwischen Obstgärten versteckt liegt auch das kleine Städtchen Laucha, dessen Ruf weit über die Grenzen Thüringens gedrungen ist. Seit anderthalbhundert Jahren wirkt ja in seinen Mauern ein berühmtes Geschlecht thüringer Glockengießer und von Laucha sind in den letzten dreißig Jahren allein mehr als tausend wohltönende Kirchenglocken in alle Gauen Deutschlands gewandert! Johannes Ulrich, der Stammvater dieser Glockengießer, war vermutlich schon gegen das Ende des 17. Jahrhunderts aus Hessen in Thüringen eingewandert und seine Nachkommen gründeten die berühmten Gießereien in Apolda und Laucha. Bei einem dieser Ulriche, beim Großvater des jetzigen Inhabers, soll auch Schiller seine Studien zu dem unsterblichen „Lied von der Glocke“ gemacht haben. Ein demselben zum Geschenk gemachtes Bild zu diesem Liede wird von der Familie begreiflicherweise als werthvolles Andenken in hohen Ehren gehalten. Doppelt denkwürdig erscheint also diese Werkstätte, und oft wird sie von Neugierigen aus nah’ und fern aufgesucht, denn der Glockenguß zählt sicher zu den eigenartigsten, anziehendsten Handlungen des Kunstgewerbes. Wie die Glocke entsteht – das ist fürwahr ein spannender Abschnitt aus der Geschichte der menschlichen Arbeit, der uns immer fesselt, obwohl die Fortschritte der Neuzeit an der altbewährten Kunst des Glockengießens so ziemlich spurlos vorübergegangen sind.

Das Christentum war es, das schon frühzeitig die weittönende Glocke zu gottesdienstlichen Zwecken heranzog, und mit dem Aufblühen der äußeren Pracht der christlichen Kirchen entfaltete sich die Kunst des Glockengießens zu ihrer höchsten Vollendung. Stümperhaft waren die ältesten Glocken, die noch hier und dort in Museen aufbewahrt werden. Kuhschellen ähnlich, bestanden sie aus Eisen- oder Bronzeblechen, die mit kupfernen Nägeln zusammengenietet waren. Später lernte man größere, wohltönende Glocken gießen und vor allem waren es Mönche, die diese Kunst ausübten. Erst im 13. Jahrhundert, als die Städte erstarkten und in ihnen die Gewerbe aufblühten, begannen Metallgießer nebenbei sich mit Herstellung der Glocken zu befassen, bis diejenigen, die sich besonders auszeichneten und größere Kundschaft sich erwarben, den Glockenguß als freies Hauptgewerbe ausübten. Die Geheimnisse dieser Kunst vererbten die Väter auf ihre Söhne, und so entstanden berühmte Geschlechter von Glockengießern. Damals arbeiteten diese Leute zumeist im Umherziehen; sie wanderten von Stadt zu Stadt und gossen die Glocken an Ort und Stelle, um den schwierigen Transport der gewichtigen fertigen Stücke zu ersparen. Ihr Ansehen wuchs und die Zeitläufe brachten es mit sich, daß diese Meister nicht nur von kirchlichen Herren, sondern auch von Fürsten und Königen viel umworben wurden. Das geschah, als im 15. Jahrhundert das schwere Geschütz in das Kriegswesen eingeführt wurde. Die Glockengießer waren die einzigen Kunsthandwerker, die den Kernguß großer Metallmassen verstanden, und nun gossen sie neben friedlichen Glocken auch die Verderben speienden Kanonen. Die Fürsten suchten die gewandtesten der Meister durch hohe Gehälter und Ehren an sich zu fesseln und immer mehr schmolz die Zahl der selbständigen Glockengießer zusammen. Kirchenglocken wurden zum größten Teil in staatlichen Kanonengießereien hergestellt. Die Neuzeit hat wiederum ganz veränderte Verhältnisse geschaffen. Die staatlichen Gießereien liefern keine Glocken mehr, das Fabrikwesen hat das Kunsthandwerk überwuchert, Anstalten, die allerlei Maschinen, namentlich Feuerlöschgerate, herstellen, gießen nebenbei auch Glocken und sehr selten sind größere Werkstätten geworden, in welchen ausschließlich Glocken hergestellt werden. Die hohe Blüte dieses Kunsthandwerkes ist dahin. Umsomehr also müssen wir den Männern Anerkennung zollen, die, auf überlieferte Erfahrungen sich stützend, auch in der Neuzeit mustergültige Glocken der Welt schenken, und deshalb dürfte es den Lesern nicht unwillkommen sein, wenn ich sie auffordere, mit mir im Geiste einem Glockenguß in Laucha beizuwohnen.

Es war ein herrlicher Sommertag, als mich die Seitenbahn von Naumburg ins liebliche Unstrutthal hineintrug. An dem malerisch gelegenen Freyburg vorbei, das mit seinem Schloß auf stolzer Höhe und seinen tiefen und gehaltreichen Sektkellereien schon einen eigenen Besuch lohnt, führte mich das Dampfroß in einem halben Stündchen nach Laucha, das, anmutig im Thalgrunde hingelagert, jetzt nur noch durch Bruchstücke seiner alten Ringmauer ahnen läßt, wie notwendig es in alter Zeit eines festen Schutzes gegen die ringsum auf den Berghöhen sitzenden adligen Herrn, die die Städter brandschatzten, wo sie nur konnten, bedurfte. Wo einst der breite Wallgraben sich hinzog, ist jetzt eine prächtige Promenade angelegt, unter deren schattigem Lindendach die Alten ihre müden Glieder ruhen lassen und die Kinder ihre fröhlichen Spiele treiben. Ein paar hundert Schritte ging ich in ihr dahin, dann auf der Brücke über einen trockenen Graben, und da grüßte mich, in Ostbäumen halb versteckt, die Glockengießerei, die, bescheiden genug, aus zwei unmittelbar miteinander verbundenen Gebäuden besteht, der eigentlichen Gießerei und dem daran stoßenden Schuppen, der zu vorbereitenden Arbeiten und zur Aufbewahrung der Geräte, Schablonen etc. dient.

Ich trat in die Gießerei, von Herrn Ulrich freundlich empfangen, und gesellte mich den schon anwesenden Herren und Damen zu, die das bevorstehende Schauspiel gleichfalls angelockt hatte. Neugierig ließ ich meine Blicke durch den weiten Raum wandern, dessen Mauern und Dachsparren vom Ruße gleichmäßig geschwärzt sind. Zum guten Teil ist er von dem riesigen, aus mächtigen Steinen aufgeführten Schmelzofen gefüllt, von dem eine flammende Hitze ausging. Davor scheinbar fester Boden, in dem sich vier spitze Erhöhungen befanden. Es war die Dammgrube, in der vier kleine Glockenformen bereit standen, das flüssige Metall in sich aufzunehmen. Denn der Glockenguß ist nicht, wie der Laie wohl denken mag, das Werk weniger Stunden; tagelange, mühevolle Arbeit geht dem eigentlichen Guße voraus, Arbeit, die mit peinlichster Sorgfalt gethan werden muß, weil das leiseste Versehen, die geringste Versäumnis, den Erfolg des Werkes nicht nur, sondern auch Leib und Leben der Arbeiter gefährdet. Für jeden Guß muß eine besondere Gußform hergestellt werden. Sie wird in der Dammgrube aufgemauert, die sich vor dem Schmelzofen befindet und je nach der Größe der zu gießenden Glocke so tief ausgegraben wird, daß die Spitze der Form über ihren oberen Rand nicht hinausragt. Das Material, dessen man sich dazu bedient, ist Lehm. Auf dem Boden der Grube wird aus Lehmziegeln das Fundament für die Form aufgemauert, mit Kanälen versehen, die den Luftzutritt zu dem in der Form zum Trocknen befindlichen Feuer gestattet. Auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_684.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)