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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

von ihm kam, nahm sie sich vor, nie mehr etwas zu erwarten. Denn ihre Phantasie bereitete ihr die Enttäuschungen – so viel hatte sie ihn schon kennengelernt, daß er nicht der Mann der steten galanten Zärtlichkeit war.

Nicolai war ganz glücklich, als Kathi ihm meldete, daß das Fräulein schon um zwei Uhr fortging. So kam sie früher wieder und blieb nicht den ganzen Abend fort. Denn die Sonntagabende gehörten ihm. Die verbrachte er bei dem leidenden Mann und dem gütigen Mädchen.

Er klingelte schon um halb zwei vorn an der Etagenthür, denn am Sonntag kam er nie in Magdas Atelier, weil es da still und menschenleer war. Er vermied das Alleinsein mit ihr.

„Ich will nur hören, ob Sie noch besondere Verhaltungsmaßregeln zu hinterlassen haben,“ sagte er, da Magda selbst ihm öffnete.

„Nein, Papa ist sehr wohl heute. Ich denke auch, um fünf Uhr zurückzukommen.“

„Wie schön Sie heute sind.“

Magda lächelte strahlend. Sie hatte ein neues Kleid an, von zarter grauer Farbe, und einen großen Strauß von Herbstveilchen im weißen Gürtel.

Sie fragte Nieolai nicht, wie es ihm gehe, sie sah nicht, daß er heute besonders elend aussah.

Ihr Erröten und Flemmings Brief hatten ihm eine Nacht ohne Schlaf bereitet.

Aber nun wartete er, daß sie ihn frage, wie es ihm ergehe. Sonst war die stete Frage seine Qual. Sie erinnerte ihn daran, daß Ehre und Menschlichkeit ihm verboten, um sie zu werben, nur den Versuch zu machen, ihr Herz zu gewinnen. Weil er sie liebte, durfte er gar nicht wünschen, von ihr geliebt zu sein, denn solche Liebe konnte sie nur elend machen. Aber heute wollte er gefragt sein und den Beweis haben, daß keine neuen, störenden Gedanken die Anteilnahme an den alten Freund niederhielten.

Magda fragte nicht. Sie war ganz Vorfreude, ganz blühende Gesundheit, ganz in Schönheit.

Er sah sie so fortgehen und setzte sich zu der alten Excellenz, froh, wenigstens in ihrem Heim sein zu dürfen. –

René war schon da, als Magda in Hortensens Salon eintrat.

Sie fielen einander um den Hals und küßten sich. René nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und sah ihr freudig in die Augen. Daß sie gelitten, gewartet und Enttäuschungen gehabt hatte, war vergessen. Ein namenloses Glück senkte Kinderfröhlichkeit in ihr Herz.

Hortense hatte irgendwo hinter Palmen und einer der spanischen Wände gesessen, durch welche der übergroße Saal in kleine Wohnecken geteilt war. Nun kam sie heran und ließ sich Magdas stürmische Begrüßung gefallen.

Es war ihr so rührend, zu sehen, wie das sonst so gehaltene Wesen jetzt zuweilen im Jubel überschäumte, um immer bald schüchtern wieder zu verstummen, als traue Magda sich nicht, an das freie Recht ihrer Freude zu glauben.

Das Mahl wurde so vergnügt wie jenes am Verlobungstag, nur daß sie sich „Sie“ nennen mußten, was augenblicklich ein reizvolles Vergnügen gewährte.

Wenn der aufwartende Diener nicht zugegen war, beichtete Magda von ihren „thörichten“ Gedanken – jetzt, ihm und seinen leuchtenden Augen gegenüber fand sie sie „thöricht“. Wie sie gestern abend sich nach ihm gesehnt und sich eingebildet, er fühle ebenso, und von der grausamen Entdeckung, daß er riesig fidel in den „Wilden Mann“ gegangen sei.

René lachte und erklärte ihr, daß seine Nerven nach solchen Aufgaben zu erregt seien, um in stiller Häuslichkeit sich bändigen lassen zu können; dann bedürfe er eines lärmenden Austobens oder doch wenigstens einer Gesellschaft von fröhlich beschwingter Stimmung.

Als Gegengewicht zur höchsten geistigen Anspannung sei harmlose Lustigkeit, die auch in reine Albernheit ausarten könne, einfach gesundheitlich nötig, während Gefühlsschwelgerei nachher zu Sentimentalität und Nervosität führe.

Magda nahm die Erklärung hin und war dankbar für dieselbe, ohne sich doch in sein Bedürfnis hineindenken zu können.

„Es wird Dich manchmal später kränken,“ sagte er, „aber Du wirst es verstehen lernen und das Sprichwort beherzigen, daß alles verstehen alles vergeben heißt.“

„Ah,“ rief sie lebhaft, „das Sprichwort ist eine Redensart. So viel habe ich schon begriffen. Im Gegenteil scheint mir Liebespflicht und Frauenlos zu sein, daß man verzeiht was man nicht versteht.“

„Bravo!“ sagte René.

„Sieh da,“ bemerkte Hortense, „das Kind bildet sich schon Theorien.“

„Ja – in Deiner Gegenwart kommen mir vernünftige vertrauende Gedanken – aber wenn Du fern bist – –“ sie vollendete nicht. Ihr Auge ging mit einem flehenden, leidvollen Blick über sein Gesicht.

„O Gott!“ murmelte er und nahm ihre Hand, um sie zärtlich zu streicheln. (Fortsetzung folgt.)


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Handwerker von Stande.

Von Rudolf Kleinpaul.

In „Tausendundeine Nacht“ wird die Geschichte eines Königssohns erzählt, der, im Begriffe, als Gesandter seines Vaters mit kostbaren Geschenken zum Sultan von Indien zu gehen, unterwegs von Beduinen angefallen, seiner Leute und Kamele beraubt und beinahe totgeschlagen wird. Er kommt gerade noch mit dem Leben davon, aber sieht sich nun auf einmal in dem wildfremden Lande blutarm und verlassen wie ein Bettler. Er gelangt in eine Stadt und macht hier die Bekanntschaft eines Schneiders, dessen Teilnahme er erregt und der ihn in sein Haus nimmt. Nachdem drei Tage um sind, fragt unser Meister den Prinzen, ob er kein Handwerk erlernt habe, mit dem er sich ernähren könne. Der junge Mann antwortet, er habe schön schreiben, dichten, musizieren gelernt, er besitze Sprach- und Litteraturkenntnisse, er sei ziemlich unterrichtet. Alles das, meint der Schneider, wird hier zu Lande wenig gesucht; das sind brotlose Künste, mit denen man keinen Hund vom Ofen lockt. „So nimm eine Axt, geh’ in den Wald und werde ein Holzmacher; damit kannst Du Dir Deinen Lebensunterhalt verdienen.“

Das ist die Geschichte manches Knaben, der in einer goldenen Wiege gelegen hat; denn es wird keinem an der Wiege gesungen, was künftig aus ihm wird. Das Schicksal würfelt die Lose durcheinander und spielt mit den Menschen wie mit Damensteinen; es erniedrigt und erhöht. Ach, es kommt wohl vor, daß ein Prinz Packträger oder Pferdebahnkutscher werden muß, wie der Marquis von Ailesbury – daß ein Graf Thürsteher an dem Palaste ist, den seine Vorfahren erbauten – daß ein Papst wie Johann XXIII. als Stallknecht seine Rettung sucht und daß ein Pastor aus Köpenick am Brandenburger Thore in Berlin Zeitungen verkauft. Aller Art Menschen kommen herunter, sie gelangen dann gleichsam ins große Arbeitshaus der Welt, in dem die Armen alle sitzen, weil sie sich kümmerlich von ihrer Hände Arbeit nähren; sie müssen Holz hacken wie der arabische Königssohn.

Es verlohnt sich, einmal über seinen Fall und die Entscheidung des Schneiders nachzudenken. In Bezug auf die schöngeistigen Anlagen des Prinzen und seine litterarischen Neigungen würde das Urteil des wackeren Mannes unter unseren Verhältnissen kaum so vernichtend lauten. Dergleichen wird allerdings gesucht und unter Umständen auch bezahlt. Das ist nichts Seltenes, daß ein Prinz auf Grund seiner guten Erziehung und sorgfältigen Ausbildung als Lehrer oder Künstler sein Brot gefunden hat. Zwar dem unglücklichen deutschen Kaiser Heinrich IV. ist auch dieses nicht geglückt. Nach unendlich viel Demütigungen und bitteren Erfahrungen von seinem eigenen Sohne zur Abdankung gedrängt, seiner Insignien entkleidet, auf sich selbst angewiesen, in der äußersten Not kam er zum Bischof von Speier und bat um eine kleine Pfründe. Er sagte ihm, er könne singen, er hätte studiert, er könne die Stelle eines Lektors oder Subkantors versehen. Seine Familie hatte den Dom von Speier gegründet, er selbst ihn bereichert. Und als ihm der Bischof die Anstellung verweigerte, soll er sich umgewandt und vor Schmerz aufgeschrieen haben. Das war im Jahre 1105.

Aber ein König von Frankreich, der Bürgerkönig, hat es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_696.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)