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BLÄTTER UND BLÜTEN.


Kinderlieder von Karl Reinecke. Wie viele Kinder werden mit ungenügendem Talent ans Klavier gesetzt, wie wenige aber stehen singend um die am Klavier sitzende Mutter! Und doch ist letztere Uebung nicht nur eine Freude fürs Haus, sondern auch zugleich ein sicherer Prüfstein des musikalischen Gehörs beim ganz jungen Kinde, so daß viel unnützer Klavierunterricht könnte gespart werden, wenn man die Fähigkeit oder Unfähigkeit eines Sechsjährigen zum Nachsingen einer Melodie in Betracht zöge! Gegenüber dem Mangel, der verhältnismäßig noch immer an leicht singbaren, echt musikalischen Kinderliedern besteht, sind nicht genug die beiden Hefte „Kinderlieder“ von Karl Reinecke, die der Verlag von Breitkopf und Härtel in Leipzig uns in einer neuen Auflage vorlegt, zu empfehlen, da sie den Müttern einen wahren Reichtum an sangbaren, echt melodischen Liedchen darbieten. Sehr einfache machen den Anfang, aber auch in ihnen wirkt die Harmonie eigenartig, weit von einer trivialen Begleitung entfernt. Bei den etwas schwereren des zweiten Heftes, z. B. bei dem reizenden „Zwiegesang“, gelangt ein musikalisch begabtes Kind bereits zu einer Vorahnung künstlerischen Bewußtseins, während die heiteren, z. B. der reizend drollige „Geburtstagsgratulant“, viel Freude im Familienkreis erregen werden. Die Wahl der Texte ist meistens glücklich, doch fragt man sich hier und da: warum schöpfte der Komponist nicht lieber aus der herrlichen „Kinderheimat“ von Friedr. Güll als aus Kate Greenaways gezierten und in der Uebersetzung noch duftloser gewordenen Liederchen? Für ein drittes Heft möchten wir ihm jenes wahrhaft goldene Kinderbuch ebenso empfehlen wie die beiden jetzt erschienenen den Eltern und Erziehern! Bn.     

Die Stechpalme im Volksmunde. Eine charakteristische Erscheinung in den Wäldern des nordwestlichen Deutschlands und jenseit der Elbe in der Priegnitz, in Mecklenburg, auf Rügen ist der glänzend grüne Hülse- oder Stachelblattstrauch, hier und da auch Stacheleiche, meist jedoch Stechpalme (ilex aquifolium) genannt. Wenn alle anderen Sträucher ihr Laub abgeworfen haben, erfreut die Stechpalme allein das Auge durch ihre immergrünen glänzenden Blätter, und diese Eigenschaft und die eigentümlichen Stacheln der Blätter mögen die Veranlassung zu mancherlei Sagen gegeben haben. Eine Züricher Sage, die A. von Perger mitteilt, bringt die Stechpalme mit dem Einzuge Christi in Jerusalem in Verbindung. Als die Juden ihr: „Kreuziget ihn!“ riefen, da bekam die Palme, deren Blätter ihm zu Ehren auf den Weg gestreut worden waren, sogleich Dornen und es entstand die „Stechpalme“; zum Andenken an den Tod des Heilandes bleibt sie immer grün. Wahrscheinlich hängt diese Sage mit dem in den Alpen üblichen Gebrauche zusammen, die Stechpalme bei der kirchlichen Feier am Palmsonntage anstatt der fehlenden echten Palmzweige zu verwenden, wie dies anderwärts, so am Rhein, mit dem Buchsbaum geschieht, der hier im Volke gleichfalls „Palm“ heißt.

Der Name Hülse, englisch holly, ist meist im Norden in Brauch und hat sich auch auf Familiennamen (Hülsmann, Hülskamp, Hülswitt) sowie auf Ortsbenennungen übertragen, wie z. B. Hülsebeck, ein Ort, in dessen Nähe der Strauch vielfach vorkommt. Bekannt ist ferner der Ausdruck: „böse Hülse“ für ein widerborstiges Frauenzimmer:

„Ilse Bilse, Niemand will se,
die böse Hülse!“

Als Zierstrauch ist die Stechpalme sehr beliebt; sie mag schon ein Schmuck der Wundergärten des Albertus Magnus gewesen sein; auch zur Verwendung als Laubgewinde bei Volksfesten eignet sie sich vorzüglich; schon in alten Zeiten ist sie hierzu benutzt worden, wie wir dem Buche des Engländers Gordon „Birthday flowers“ („Geburtstagsblumen“) entnehmen. Vor allem sind ihre Zweige aber in England beliebt als Zimmerausschmuck zur Weihnachtsfeier.

Spiritus aus vorweltlichen Stoffen. Daß man aus Holz Zucker und aus diesem wieder Spiritus herstellen kann, ist den Chemikern schon lange bekannt. Man hat nur das fein zerkleinerte Holz mit Schwefelsäure zu behandeln, dann bildet sich der Zucker, und diesen durch Gärung in Alkohol zu verwandeln, ist leicht. In der That hat man auch eine solche Fabrikation im großen einzuführen gesucht; sie ist jedoch an den hohen Kosten gescheitert. Insbesondere ist die Zerkleinerung des Holzes mit einem zu großen Kraft- und Geldaufwand verbunden. Auch ist das Kochen des Holzstoffes mit Schwefelsäure, was unter künstlichem Druck geschehen muß, ziemlich teuer. Kurz, die Sache ging technisch wohl, war aber wirtschaftlich nicht lohnend.

Neuerdings hat nun ein Chemiker sich ein Verfahren patentieren lassen, nach welchem das Holz durch Torf ersetzt wird. Der Torf besteht bekanntlich aus untergegangenen Pflanzen, die zum größeren Teile gewachsen sind, bevor der Mensch in die Schöpfung eintrat. Durch Naturereignisse wurden diese Pflanzen bedeckt und vermoderten allmählich zu Torf. Das Verfahren der Gewinnung des Spiritus aus Torf vermeidet also in erster Linie die Zerkleinerungskosten und scheint der Gewinnung des Spiritus aus der Kartoffel ernstlich an die Seite treten zu wollen. Der Torf hat nämlich eine niedrige Zersetzungstemperatur und kann bei einem Druck von etwa zwei Atmosphären gekocht werden (Holzstoff erfordert nahezu fünf Atmosphären); außerdem ist er als Rohstoff sehr billig. Auf Einzelheiten können wir hier nicht näher eingehen, aber bemerkenswert ist das Endergebnis, nach welchem aus 1000 Kilo trockenen Torfes annähernd soviel Alkohol gewonnen wird wie aus 500 Kilo bester Kartoffeln.

Hoffentlich ist dieser vorweltliche Spiritus so gut abgelagert, daß er weder dem Trinkenden noch den Kartoffelspiritusfabrikanten Kopfschmerzen machen wird.

Der Eifersüchtige. (Zu dem Bilde S. 725.) Ein kleiner Mann erträgt es so wenig als ein großer, daß „sie“ mit einem andern schönthut, aber er besitzt einen großen Vorzug vor diesem: er darf aus Leibeskräften brüllen und den glücklichen Nebenbuhler so lange am Rockzipfel reißen, bis das ärgerliche Verhältnis sich notgedrungen löst und der Friede auf dem grünen Spielplatz wieder einkehrt, der durch die plötzliche Zärtlichkeitsanwandlung der hübschen jungen Tante so bedauerlich gestört wurde. Wie viele Duelle weniger gäbe es in der „großen Welt“, wenn sie hierin die einfachen Sitten der „kleinen“ bewahrt hätte! Bn.     

In der Barbierstube. (Zu dem Bilde S. 728 und 729.) Der Maler unseres Bildes, David Col, ist ein Belgier, der durch seine fein ausgeführten Darstellungen altniederländischen Volkslebens zu Ruf und Ansehen gelangt ist. Die große Barbierstube, in deren malerisch bewegtes lärmendes Treiben er uns hier versetzt, veranschaulicht uns aufs lebensvollste die bedeutsame Rolle, welche für die geselligen und Unterhaltungsbedürfnisse des Volkes noch im vorigen Jahrhundert weit mehr als heute den Werkstätten der Bartscherer und Haarkünstler zufiel. Die weiträumige alte Halle mit dem räucherigen Kamin und der oben hinziehenden Galerie ist echt altniederländischen Charakters. Und nicht weniger das ganze Treiben darin. Zeit ist hier entschieden noch nicht Geld: es hat’s niemand eilig, weder der mit den primitivsten Werkzeugen, ohne Dusche und „shampoing“ arbeitende Haarkünstler rechts, noch sein geduldiges Opfer, noch die so verschiedenen anderen Kunden, welche umhersitzen und plaudernd warten, bis an sie die Reihe kommt. Und nun vollends die Hauptpersonen der Handlung, die beiden weiblichen Barbiere, die Frau und Tochter des Hausherrn – mit welcher großartigen Selbstverständlichkeit lassen sie ihre Eingeseiften an der Luft trocknen (der eine muß auch noch dazu die Schüssel halten), bis der Herr Kurier, der galante Schwerenöter der Gesellschaft, seine sämtlichen Späße und Neuigkeiten vor ihren entzückten Ohren zum besten gegeben hat! Keiner der also Behandelten wagt auch nur zu mucksen, sie sind gänzlich in ihr Schicksal ergeben. Anderseits tupft auch ein kürzlich Absolvierter nur mit stummer Wehmut vor dem Spiegel auf ein Schnittchen, welches er, bei allem Respekt vor diesen resoluten Weiblichkeiten, doch nicht als Verschönerung seines Antlitzes aufzufassen vermag!

Wildfütterung im Königlichen Tiergarten zu Moritzburg. (Zu dem Bilde S. 737.) In einer wasserreichen, durch etwa 30 Teiche ausgezeichneten Gegend, drei Stunden nördlich von Dresden, am Rande der Dresdener Heide, ließ Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahre 1543 ein Jagdschloß erbauen. Romantisch erhob sich die neue „Moritzburg“ auf einer Jnsel des an 900 Meter langen „Schloßteiches“ und ihre Lage gefiel den Nachfolgern des Gründers, die das Schloß erweiterten und verschönerten. Der prachtliebende August der Starke gab hier so manches seiner üppigen Jagd- und Hoffeste in Gegenwart glänzender Kavaliere und in Schönheit erstrahlender Damen und damals schaukelte auch auf den Wogen des Großen Teiches eine Fregatte, die der verschwenderische Fürst, der gleichzeitig mit dem sächsischen Kurhut die Krone Polens trug, mit holländischen Matrosen bemannen ließ. In unseren Tagen kommt der sächsische Hof seltener nach der Moritzburg, aber gerade in dieser Verlassenheit macht das Schloß mit seinen herrlichen Teichen, Parkanlagen, Pavillons etc. einen geradezu märchenhaften Eindruck. Die Dresdener können es mit der Bahn in einer Stunde erreichen und suchen oft in dem romantischen Parke Erholung. Beliebt als Ausflugsort ist namentlich der große Wildpark, der sich durch einen prachtvollen Wildstand auszeichnet. Die Tiere sammeln sich täglich am Spätnachmittage an gewissen Plätzen, um ihre Fülterung zu erwarten. Aus allen Richtungen kommen Hirsche, Rehe und Wildschweine aus dem Walde auf die Wiesen und ein eigenartiger Anblick ist es dann, die zierlichen Rehe inmitten der borstigen Unholde, der Wildschweine, zu sehen, während der majestätische Hirsch mit seiner Sippe im Hintergrunde hält, dem Menschen nicht recht trauend. Diese anmutige und fesselnde Scene in dem stillen Wildparke hat Prof. J. R. Wehle auf unserem Bilde lebensvoll wiedergegeben.


Kleiner Briefkasten.

A. H., Ingenieur der österr.-ungar. Staatseisenbahn in Wien. Wir bitten um Angabe Ihrer vollständigen Adresse.

J. K. in Marienwerder. Wir sind ganz mit Ihnen einverstanden, daß die Verbreitung staatsrechtlicher und volkswirtschaftlicher Kenntnisse in den breiten Schichten des Volkes in unseren Zeiten von hohem Werte ist. Schon das Allgemeine Wahlrecht legt jedem männlichen Staatsbürger die Verpflichtung auf, sich über staatliche Angelegenheiten, soweit es in seinen Kräften steht, zu unterrichten. Als eine Schrift, die diesem Zwecke dient, nennen wir Ihnen die bei R. Voigtländer in Leipzig herausgekommene „Deutsche Bürgerkunde“ von Dr. A. Giese.


manicula 0Hierzu Kunstbeilage XII: Aïda. Von E. Eisman-Semenowsky.

Inhalt: Die Lampe der Psyche. Roman von Jda Boy-Ed (3. Fortsetzung). S. 725. – Der kleine Eifersüchtige. Bild. S. 725. – In der Barbierstube. Bild. S. 725. – In der Barbierstube. Bild. S. 728 und 729. – Gefährliches Kochgeschirr. Von M. Hagenau. S. 731. – Lehren und Lernen im Blindeninstitute. Von J. Mohr, Direktor der Provinzial-Blindenanstalt in Hannover. S. 732. Mit Abbildungen S. 732, 733, 734 und 735. – Sturm im Wasserglase. Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Von Stefanie Keyser (9. Fortsetzung). S. 736. – Wildfütterung im Königlichen Tiergarten zu Moritzburg. Bild. S. 737. – Blätter und Blüten: Kinderlieder von Karl Reinecke. S. 740. – Die Stechpalme im Volksmunde. S. 740. – Spiritus aus vorweltlichen Stoffen. S. 740. – Der Eifersüchtige. S. 740. (Zu dem Bilde S. 725.) – In der Barbierstube. S. 740 (Zu dem Bilde S. 728 und 729.) – Wildfütterung im Königlichen Tiergarten zu Moritzburg. S. 740. (Zu dem Bilde S. 737.) – Kleiner Briefkasten. S. 740.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_740.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)