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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

freien Felder enthalten Porträts der beiden ersten Kaiser des heutigen Deutschen Reiches. An den Decken der seitlichen Logen sehen wir je einen weiblichen Kopf, die Wahrheit darstellend, welcher sich Schwurhände zukehren, während Waffen die Meineidigen bedrohen. Man sieht, überall ist in geistvoller Weise auf die hohe Bedeutung der Rechtspflege, auf die Macht und den Segen des Rechtes hingewiesen.

In der Präsidentenwohnung, welche in ihrer Ausstattung sich harmonisch in das Ganze einfügt, fehlt es ebenfalls nicht an wertvollem Schmuck. Besonders hervorgehoben sei in dem reich ornamentierten Voraaal das große Gemälde von Woldemar Friedrich, welches den Frieden als den Schutz des Rechtes und der Gerechtigkeit darstellt. Aber es ist ein bewaffneter Friede, der den schützenden Krieger zur Seite hat. Inmitten des südlich gelegenen Teiles des majestätischen Bauwerkes liegt dann der Festsaal der Präsidentenwohnung, dessen Decke ein von Prof. Max Koch entworfenes Gemälde ziert, das in schöner Allegorie den Einzug Apollos mit den Musen in das Heim der Justiz darstellt. Der nach Norden gelegene Speisesaal gefällt durch seine reichverzierte kassetierte Eichenholzdecke und ein hohes prächtiges Eichenholzpaneel. Vom Speisesaal aus durchs Fenster genießt man einen herrlichen Blick auf die hohe Kuppel, die in der Stadt aus weiter Ferne schon sichtbar ist und majestätisch in die Lüfte ragt. In den Skulpturen der Kuppel, welche das ganze Bauwerk krönt, ist der Gedanke der Einigkeit im Reiche und auch die Bedeutung des Reichsgerichts für die Entwicklung des Reiches zum Ausdruck gekommen. Die der Kuppel aufsitzende Laterne trägt ein in Kupfer getriebenes 51/2 Meter hohes Kolossalbild der Wahrheit, die mit der Rechten die Fackel hoch emporhebt und, wie schon erwähnt, in einer Höhe von 68,5 Metern den gewaltigen Monumentalbau abschließt.

Es ist hier nicht möglich, alle architektonischen und sonstigen künstlerischen Schönheiten des neuen Reichsgerichtsgebäudes so eingehend zu würdigen, wie es die treue, hingebende Arbeit der Künstler verdient, die ihre beste Kraft darein setzten, dem deutschen Reichsgericht ein stolzes, seiner würdiges Heim zu geben. Man könnte ein Buch allein über die tiefe Symbolik der Ornamente schreiben, welche zeigen, daß auch die moderne deutsche Kunst reich an Gedanken ist und diese Gedanken in schöner Form zum Ausdruck zu bringen die Kraft hat. Die deutsche Kunst hat im neuen Reichsgerichtsgebäude von neuem bewiesen, daß sie auch in einer Zeit, da auf ihrem Gebiete gefährliche Stürme einherbrausen, noch unerschütterlich festhält am Edlen, Schönen und Erhabenen.

Mit dem 16. September dieses Jahres ist der oberste Gerichtshof des Reiches bereits in sein neues Heim, dessen Baukosten nahe an 6000000 Mark betragen, übergesiedelt, nachdem er bislang in einem Gebäude an der Promenade für 32000 Mark zur Miete wohnte.

Und am 26. Oktober soll nun das Gebäude durch den Kaiser und den König Albert von Sachsen und unter Mitwirkung vieler anderer hoher Würdenträger seine festliche Weihe erhalten.

Möge die Thätigkeit des Gerichtes in seinem Palaste eine reich gesegnete sein. Möge es, wie die Hammerschläge Kaiser Wilhelms II. bei der Grundsteinlegung, gewidmet sein: „Der Ehre des allmächtigen Gottes, dem Rechte uud seinen allezeit getreuen Dienern.“


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Sturm im Wasserglase.

Roman aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.

     (Schluß.)

Die dunkelste Nachtstunde war gekommen. In tiefem Schlafe lag die Stadt.

Da hob ein Huschen auf dem Pfarrhofe an. Die alte Kirchenpforte, über der die fröhliche Guirlande noch schwebte, knarrte.

Die Kerzen auf dem Altar, die am Mittag vorher unter Trauer verlöscht worden waren, flammten auf. Ihr mildes Licht fiel auf die schon welkenden Blumen, das herb duftende Laub, mit dem die grauen Grmbsteinplatten des Fußbodens festlich bestreut worden waren, und flimmerte an dem Tabernakel empor, von dem die weißen Gestalten der Evangelisten hernieder schauten.

In gerauschlosem Zuge nahte die Hochzeitsgesellschaft.

„Welchen Choral befiehlt Hochehrwürden?“ fragte der Kantor Bach, der mit der heiteren Anteilnahme eines verlobten Bräutigams die Hochzeiter an sich vorübergehen ließ.

„Mein lieber Kantor: ‚Es ist gewißlich an der Zeit‘.“

Olearius trat vor den Altar, aber er schlug die Agende zu.

„Es ist gewißlich an der Zeit!“ schallte die machtvolle Stimme.

Brausend fiel die Orgel ein.

Vor dem Altar, an dem sie als Kind des ersten Geistlichen getauft, als oberste Schülerin konfirmiert worden war in aller würdigen Form, stand Magdalene nun als Braut, auch wieder wie es sich gehörte: im Besitz eines makellosen Kranzes, eines standesgemäßen Brautkleides und eines den Eltern willkommenen Bräutigams, und empfiug den Segen mit der unumstößlichen Gewißheit, daß sie ihn bis an ihr Lebensende als getreue deutsche Gattin und Hausfrau unfehlbar verdienen werde.

Fest war die kleine Hand mit dem schweren goldnen Trauring in die kräftige Hand Struves gefügt. Und er hielt sie in der vertrauensvollen Ueberzeugung, daß sein Herz, seine Ehre, seine Seligkeit da wohl geborgen seien.

Neben ihnen, demütig gebeugt, stand Kiliane mit ihrem Bräutigam. Sie dachte nicht daran, wie dürftig ihr geborgter Brautstaat war, wie ungehörig die Eheringe erschienen: der Reif mit dem Wappen der Eichfeld, den die Superintendentin erst durch ein umgewickeltes Fädchen hatte passend machen müssen, und ihr dünnes Ringlein, das der Junker nur am kleinen Finger tragen konnte.

Aus ferner Zeit kam eine Erinnerung, wie ihre Mutter den Spruch nannte, den sie in der Taufrede erhalten hatte: ‚Ich bin nicht wert aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an mir gethan hast!‘ Wie hatte sie oft darüber gespottet! ‚wo ist Barmherzigkeit und Treue an mir gethan worden?‘ Ach, wie hatte sie sich versündigt! Der Spruch behielt recht. Ohne ihr Verdienst und Würdigkeit hatte der barmherzige Gott sie aus selbst gedrehten Fallstricken befreit. Und ihr zukünftiger Eheliebster hielt so warm ihre Hand in seiner treufesten Rechten. Sie wollte es ihm vergelten mit unwandelbarer Liebe.

Die Superintendentin stand in Sorgen. Sie wußte, daß ihr Eheherr in diesem Augenblick abermals sein Amt aufs Spiel setzte, um ohne Menschenfurcht als Pfarrherr zu walten.

Seine Stimme füllte die leere dunkle Kirche, wie an den höchsten Festen des Jahres, wo er die Herzen in den verborgensten Winkeln erschütterte. Und dazu dröhnte die Orgel. Der Kantor hatte alle Register gezogen.

„Es ist gewißlich an der Zeit,“ flehten die hohen, forderten die kräftigen Mittelstimmen, bis alle Töne jubelnd anstürmten: ‚Es ist gewißlich an der Zeit.‘

Aber aus der tiefsten Tiefe der Bässe erhob sich noch ein „Es ist gewißlich an der Zeit.“ Ernst, unbeugsam, als schreite ein eherner Schritt vorwärts, langsam, aber unabwendbar stieg es empor.

Die besorgte Frau überlief es eiskalt.

Was war das nur? Das Schicksal, das ihnen allen drohte für die Gewaltschritte, die sie der Gewalt entgegennsetzten?

Nein, es klang anders, feierlich. Was war es, das der gottbegnadete Mann dort oben verkündete?

Der Segen war gesprochen. Amen! klang es.

In mächtigen Harmonien gingen die Orgelklänge zur Ruhe.

Es war, als sammelten sie sich auf dem wunderbaren tiefen Ton. Der hielt noch eine Weile aus – dann brach er ab, als habe eine unüberwindbare Macht gelassen das letzte Wort gesprochen.

Und die Kerzeu verloschen wieder. Dunkle Gestalten huschten über den Pfarrhof. Die Kirchenpforte schlug zu.

In der Superintendentur schüttelten sich die Genossen dieses stürmischen Tages noch einmal die Hände.

„Wo ist Märteu?“ riefen die jungen Ehemänner.

„Gleich fort,“ berichtete Fieke. „Er hat sich längst mit dem Nachtwächter am andern Ende der Stadt geprügelt.“

„Geprügelt! warum?“ rief Struve erschrocken.

„Der muß doch bezeugen, daß er diese Nacht hier gewesen ist.“

„Wenn ihn der Wächter aber gefangen nimmt?“ fragte Magdalene ängstlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_752.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)