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Blätter und Blüten.


Jägerpech. (Zu dem Bilde S. 817.) Jagdglück und Jagdpech, das sind die beiden Extreme im Jägerleben, die dem Weidmann so manche Freude, so manches Leid bereiten, die sein Herz langen und bangen lassen in schwebender Pein – das Hoffen und dann die Erfüllung seiner Wünsche, oder aber, wenn er schon glaubt, ja fest überzeugt ist, daß die keusche Diana das Füllhorn ihrer Gunst über ihn ergießen wolle, eine oft jähe Enttäuschung! Durch dieses wechselvolle Spiel versteht es die hehre Göttin, ihre Jünger zu sich heranzuziehen, zu reizen und fest und unzertrennlich an sich zu ketten.

Wohl jedem Grünrock, der lächelnd das lustige Gräbheinsche Bild betrachtet, auf welchem der vom Aste rieselnde Schneeanhang im entscheidenden Augenblicke dem Jäger auf den Kopf fällt und ihn am Schießen hindert, wo endlich, endlich nach vielleicht stundenlangem Harren bei eisiger Kälte Erdmännchen den Fuchs aus dem Bau sprengt, ziehen unwillkürlich selbsterlebte Geschichten am Geiste vorüber, wo ihm gerade, wie jenem Jäger, ein vollkommen unerwarteter Zwischenfall all seine jägerischen Hoffnungen vernichtete. — — —

Es war August, Feistzeit, die Hirsche hatten „geschlagen“, d. h. den Bast vom reifen Geweih gescheuert und geschlagen, und ich hatte mir einen guten Zwölfender ausgemacht, der allabendlich auf einem Ausläufer des Süntels, „der Katzennase“, austrat. Jeden Morgen saß ich schon lange vor Tagesgrauen vor der am Hange sich hinziehenden Dickung, und wenn der erste Sonnenstrahl die Gipfel der Bäume goldig überhauchte und ich leise pirschend meinen Schirm verließ, fand ich die Einfährte des Hirsches, der schon lange vor meinem Kommen in das schützende Dickicht zurückgewechselt war. Noch stand die Sonne am Himmel und ich saß schon wieder hundert Schritt von der Dickung an einen Buchenstamm gelehnt und wartete, bis es Nacht geworden. So hatte ich vierzehn Tage lang jeden Abend und jeden Morgen den Hirsch erwartet und nur festzustellen vermocht, daß er regelmäßig Wechsel hielt – nein! eines Morgens in der ersten Dämmerung hatte ich ihn sogar gesehen, wie er langsam, vorsichtig zur Dickung zog, ein schwarzer Schatten in düsterer Nacht — — — Wohl klopft in solchem Augenblicke das Herz stürmisch in der Brust und befiehlt dir gebieterisch, die Büchse zur Wange zu heben, und das Auge strengt sich an, die Finsternis zu durchdringen, aber es sieht das Visier nicht einmal, viel weniger die Mündung der Büchse und das Korn — und langsam senkt sich die Büchse wieder aufs Knie. Das Glas zeichnet dir aber die Umrisse des Hirsches scharf ab, sogar das Geweih siehst du sich wiegen über dem Kopfe sich hin und her bewegen — — ach, wäre es doch Büchsenlicht! Es dämmert so langsam, so langsam und der Hirsch zieht nach der Dickung hin – auch so langsam, langsam — der Jäger nennt es: „er macht den Kirchgang“ – aber er verschwindet endlich doch viel zu früh im dichten Buschwerk. Deiner Brust entringt sich ein tiefer Atemzug — — und erst zwanzig Minuten später ist’s möglich, Visier und Korn zusammenzubringen.

Ich hatte „geblattet“, einen Bock im Rucksack, und gerade, als die Sonne ihre letzten Strahlen über die Spitze des Süntels ausgoß, hatte ich mein Ziel erreicht und saß in meinem Schirme an der Buche auf der Katzennase. Kaum habe ich mir es bequem gemacht und die Büchse gespannt, da schäkert eine Drossel im Buschwerk, ich blicke hin und 150 Schritt von mir steht der kapitale Hirsch sichernd am Rande der Dickung. Der Wind stand gut – er gehörte schon mir, bevor ich schoß. Jetzt tritt er spitz auf mich zu, bleibt 80 Schritt vor mir stehen, verhofft wieder und fängt zu äsen an. Wenn er nur breit tritt, dann hat er die Kugel! — — Plötzlich wirft er auf – was ist das? Das ist kein Verhoffen, als wenn er nur seine Sicherheit im Auge hätte — — er äugt besorgt nach einem bestimmten Gegenstande – – das Korn liegt auf dem Stich – sobald er sich dreht, fliegen lassen! Plötzlich wirft sich der Hirsch herum, hinter einen Stamm — — in die Dickung zurück! — — und seitwärts hinter mir erklang es: „O Mutter, wat förn Hirsch!“ Auf einem nur äußerst selten und fast niemals des Abends begangenen Fußpfade, der über den Süntel ins Deisterthal führt, kam ein altes Kiepenweib mit ihrem Jungen gegangen und „vergrämte“ mir den Hirsch, der vielleicht wenige Sekunden später die Kugel gehabt hätte. Karl Brandt.     

Drei Tage Kasten! (Zu dem Bilde S. 805.) Nicht etwa Noahs Arche ist, wie in dem bekannten Volksliede, mit dem „Kasten“ gemeint, sondern vielmehr das von den Soldaten also benannte Militär-Arrestlokal. Es macht kein Vergnügen, darin drei Tage zu „brummen“, und der arme Sünder auf unserem Bilde sieht wahrlich nicht aus, als ob er in der Stimmung wäre, „Ha, welche Lust, Soldat zu sein!“ zu singen. Man gelangt aber mitunter dazu, ehe man sich’s versieht. Verspätete Heimkehr in die Kaserne, ein Versehen beim Wachtdienst oder bei einer Besichtigung kann schon für den Betreffenden den gefürchteten Spruch aus dem Munde des gestrengcn Compagniechefs: „Feldwebel, drei Tage!“ zur Folge haben. Der wackere Vaterlandsverteidiger auf unserem Bilde ist aber auf ganz besondere Art „hinter die schwedischen Gardinen“ gekommen. Bei einer größeren Felddienstübung sollte auch die Sanitätskolonne mitwirken, und es waren vorher bei jeder Compagnie Leute bestimmt worden, welche die Toten und Verwundeten zu „markieren“ hatten. Unser Arrestant sollte einen Toten darstellen und übernahm diese Dienstpflicht sobald wie möglich, während seine Kameraden im heißen Sonnenbrand tapfer weitermarschieren mußten. Es lag sich ja so wohlig am schattigen Rande eines Gehölzes, und der „Tote“ konnte der Versuchung nicht widerstehen, seine Pfeife hervorzuholen, um bis zum Herankommen der „Medizinmänner“, auf dem Rücken liegend, behaglich zu schmauchen. Plötzlich ruft eine strenge Stimme ganz in der Nähe: „Was macht der Kerl da?“ Die Pfeife entfällt seinem Munde, blitzschnell fährt er in die Höhe und steht vor – dem Obersten, der mit dem Bataillonskommandeur ganz unbemerkt herangekommen ist und ihn durchdringend mustert. „Melde mich als Toter von der ersten Compagnie, Herr Oberst!“ stammelt er. Der Gefürchtete kann ein Lächeln nicht unterdrücken, aber „drei Tage“ sind für den so rasch wieder zum Leben gebrachten „Toten der ersten Compagnie“ doch abgefallen. Nun hat er Muße, über die Veränderlichkeit des Kriegsglücks nachzudenken, und das „Brummen“ kommt ihm um so bitterer vor, als er es zum erstenmal kennenlernt. Wäre das Lokal nur nicht so furchtbar ungemütlich! Die Militärverwaltung ist ja grundsätzlich jedem Luxus abhold, aber hier ist die spartanische Strenge gar zu weit getrieben. Das einzige Möbel in dem engen Raume, dessen geschwärzte Wände mit allerlei Kritzeleien früherer Schicksalsgenossen bedeckt sind, ist die harte Holzpritsche, auf welcher der Häftling sitzt. Dann ist noch ein Wasserkrug da, den man bei dem spärlichen Lichte kaum sieht, das durch das hoch oben angebrachte vergitterte Fenster hereinfällt. Verpflegung: Wasser und Brot, und daß man „keine Ruh’ bei Tag und Nacht“ hat, dafür sorgen gewisse ungebetene, sprunggewandte Gäste, die sich alsbald einstellen. Nein, fürwahr: im Arrest ist’s keine „Lust, Soldat zu sein!“ R.     

Weihnachtsgeheimnisse. (Zu dem Bilde S. 809.) Wer mag es wohl sein, der sich draußen leise und listig heranschleicht, um plötzlich den Ueberfall auf die Klinke zu machen? Sind’s die kleinen Evastöchter, deren Puppen hier von der Mama herrlich neu gewandet werden, oder ist’s der junge Doktor, der vielgeneckte Vetter des Hauses, für welchen soeben die jüngere Schwester der Hausfrau voll „Bosheit und Plaisier“ das Pantoffelungeheuer mit dem scharlachroten Herzen fertig stellt? Der neben ihr sitzende Backfisch horcht vom Stickrahmen weg ergötzt nach den vergeblichen Bemühungen draußen hin, aber die an der Thür stehende Freundin – die sieht sehr verdächtig aus! Auch sie lächelt ja und will ganz unbefangen scheinen, aber in ihren Augen leuchtet es dabei so merkwürdig, gerade als wenn sie noch ein Weihnachtsgeheimnis wüßte, das mit Pantoffeln und Puppenkleidern nichts zu thun hat. Hoffen wir, daß es samt diesen zum fröhlichen Bescherabend ans Licht der Weihnachtskerzen kommt. Bn.     

Zum erstenmal auf dem Weihnachtsmarkt. (Zu dem Bilde S. 813.) Weihnachtsmarkt! Paradies der Kinder, der reichen wie der armen! Wer könnte sich deinem Zauber wohl entziehen, wen hätte deine bunte, liebe, armselige und doch stets Seligkeit weckende Herrlichkeit nicht schon froh und festlich und gebefreudig gestimmt? Der dralle, kleine Schelm auf trautem Mutterarm, der den Mittelpunkt der anmutigen Scene zwischen den erleuchteten Budenreihen bildet, schaut zum erstenmal in die Märchenwelt, vor welcher Pelzmärtel und Knecht Ruprecht in allerlei Gestaltung Wache halten. Das muntere Schwesterchen, die frohe junge Mutter, sie lächeln dem Liebling zu. Er selber sieht auf den Hampelmann, den die freundliche Alte vor ihm zappeln läßt, mit so klug verschmitztem Blick, daß wir vermuten dürfen, er wird dereinst auch sehr rasch all die Fäden erkennen, an denen die Menschenpuppen tanzen, all die Schnüre und Drähte, die das große Weltgetriebe in Bewegung setzen. A. S.     

Der Gartenlaube-Kalender 1896. Ein guter Kamerad im Wandel der Jahre erprobt von Tausenden unserer Leser, lädt sie wiederum ein, sich an seiner Hand für den Gang durch ein neues Jahr zu rüsten. Praktisch in seiner Einrichtung, schmuck und gediegen in seinem Aeußern, von wahrhaft künstlerischem Wert und anregender Abwechslung in den Erzählungen und Bildern, die ihn ausstatten, ist der „Gartenlaube-Kalender“ seit Jahr und Tag zu einem treuen Hausfreund in ungezählten Familien geworden, wo das Erscheinen jedes neuen Jahrgangs mit freudigem Willkomm begrüßt wird. Was man in einem guten Volkskalender an Nachweisungen und Ratschlägen, chronologischen Uebersichten und statistischen Tabellen suchen kann, findet sich in ihm aufs praktischste zum Nachschlagen geordnet, und auch im eigentlichen Kalendarium haben Kunst und Poesie für anmutigen Ausschmuck gesorgt; zu den reizenden Monatsvignetten von Unger hat Gustav Falke form- und gedankenschöne Spruchgedichte geliefert. Der unterhaltende Teil hat sich auch diesmal der Mitarbeit ganz besonders beliebter Autoren der „Gartenlaube“ zu erfreuen. W. Heimburg setzt den Cyklus „Aus meinen vier Pfählen“ fort und bietet in „Großmutters Whistkränzchen“ ein Kabinettstück feingestimmter und liebenswürdiger Charakterzeichnung von ungemein anheimelnder Wirkung. Frische Jugendfröhlichkeit atmet „Maien“ von Ernst Lenbach, eine Humoreske aus dem Universitätsleben. Von Schwarzwaldtannenduft durchweht ist „Johann Baptist“ von A. v. Freydorf, eine treffliche Volkserzählung, halb Dorf-, halb Künstlergeschichte, die in ihren Motiven an Auerbachs „Frau Professorin“ anklingt. Diese Erzählungen sind sämtlich reich illustriert, jede von einem anderen bewährten Künstler, es sind Fritz Bergen, P. Rieth und C. Liebich. Sehr „nützlich zu lesen“ sind die humoristischen Zeitglossen „Die Gesundheitsangst“ vom Emil Peschkau. Die schönen Kunstbeilagen sind mit feinem Geschmack ausgewählt, auch in ihnen kommt der Humor zu seinen Recht. Und so können wir den Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1896 in der gesunden Volkstümlichkeit und reizvollen Gediegenheit seines Inhalts allen Kreisen unserer Leser aufs wärmste empfehlen.


Inhalt: Die Lampe der Psyche. Roman von Jda Boy-Ed (8. Fortsetzung). S. 805. – Drei Tage Kasten! Bild. S. 805. – Weihnachtsgeheimnisse. Bild. S. 809. – Die Armenier. Von Emil Jung. S. 812. – Zum erste mal auf dem Weihnachtsmarkt. Bild. S. 813. – Gymnastik in der Kinderstube. S. 815. – Als ich noch „wanderte“. Eine Jugenderinnerung von Max Grube. S. 816. – Jägerpech. Bild. S. 817. – Blätter und Blüten: Jägerpech. Von Karl Brandt. S. 820. (Zu dem Bilde S. 817.) – Drei Tage Kasten! S. 820. (Zu dem Bilde S. 805.) – Weihnachtsgeheimnisse. S. 820. (Zu dem Bilde S. 809.) – Zum erstenmal auf dem Weihnachtsmarkt. S. 820. (Zu dem Bilde S. 813.) – Der Gartenlaube-Kalender 1896. S. 820.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_820.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)