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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 50.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Die Lampe der Psyche.

Roman von Ida Boy-Ed.

     (10. Fortsetzung.)

Hortense beschloß, unter dem Eindruck dieser Klatschereien noch heute um eine Unterredung mit der Herzogin zu bitten, und sie war sicher, ihre hohe Gönnerin für die gekränkte Unschuld zu rühren.

„Meine Ahnung, meine Ahnung,“ dachte sie und entsann sich der geringen Freude, mit welcher sie von Renés und Magdas Verlobung gehört. Ihre Gedanken schweiften immer wieder von der Zeitung ab, in der sie beim Frühstück las. Endlich legte sie sie gelangweilt beiseite. Die Welthändel ließen sie kalt, und es war ihr in diesem Augenblicke viel wichtiger, daß Magda zum nächsten Theeabend eine Einladung erhalten müsse, als daß Helgoland gegen ein Stück Afrika eingetauscht werde.

Der Diener kam und räumte ab.

„Der Kunsthändler Werle hat hergeschickt,“ meldete er dabei, „ob gnädige Frau das Bild von dem Maler Nicolai hergeben wollten.“

„Den ‚Sturm‘,“ fragte Hortense erstaunt, „was will er damit?“

Der „Sturm“ war eines von den „menschlichsten“ Bildern Nicolais und stellte einen schönen, nackten Jüngling dar, der mit nach vorn fliegenden Haaren und lachendem Mund auf einem Falben dahin jagte, indes Strauch und Pflanzenwerk auf dem Bild alles vom Wind in derselben Richtung, die der Reiter nahm, niedergestrichen war.

„Wegen der Ausstellung. Es steht doch in der Zeitung.“

Hortense griff nach der Leopoldsburger Zeitung. Sie sah unter „Lokalem“ nach und ihr Herz erschrak.

„Heute mittag ist der Maler Nicolai durch einen sanften Tod von seinem Leiden, das er bekanntlich mit bewundernswertem Humor ertrug, erlöst. In dem Verstorbenen besaßen wir ein eigenartiges Talent, das sich seine besonderen Wege suchte. Doch kann man sagen, daß seine Richtung bezeichnend war für die Abkehr von dem Naturalismus, die man neuerdings, besonders auch in Frankreich, beobachtet. Wir werden auf seine Art zurückkommen gelegentlich der Ausstellung, mit welcher die Kunsthandlung von Werle den verstorbenen Künstler zu ehren gedenkt. Alle hiesigen Kunstfreunde – es dürften nicht viele sein – die im Besitz von Nicolaischen Werken sind, werden gebeten, solche Herrn Werle zur Verfügung zu stellen.“

Hortense schüttelte mit herbem Lächeln den Kopf als sie diese Notiz las.

„Mit Humor! Da

Gerda.
Nach dem Gemälde von Gabriel Max.
Photographie im Verlag der Photographischen Union in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_841.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)